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Evaluierungsseminar im Rahmen des EZA-Sonderprojekts für Arbeitnehmerorganisationen im Westlichen Balkan

Vom 27. Februar bis 1. März 2023 fand das Evaluierungsseminar im Rahmen des EZA-Sonderprojekts für Arbeitnehmerorganisationen im Westlichen Balkan statt, das von PODKREPA CL (Confederation of Labour PODKREPA) in Zusammenarbeit mit EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde.

Die Ziele des Seminars waren wie folgt:

1. Erfahrungsaustausch im Bereich des sozialen Dialogs auf verschiedenen Ebenen zwischen Gewerkschaftsführern und Experten aus den WB-Ländern und den EU-Mitgliedstaaten.

2. Entwicklung von Strategien für den Aufbau und die Anpassung tragfähiger Strategien für den sozialen Dialog in der WB-Region sowie Strategien, die für europäische Praktiken geeignet sind.

3. Passendes Wissen und europäische Werte zu vermitteln und diskutieren sowie Bewusstsein für Verhaltensansätze und Lösungsansätze im Kontext Sozialpartnerschaft erweitern

4. Stabilisierung und Stärkung von Arbeitnehmerorganisationen aus dem Westbalkan durch Stärkung ihrer Position im nationalen sozialen Dialog.

Beschreibung des Seminars

Das Seminar begann mit Begrüßungsreden und Hauptvorträgen über die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation und Herausforderungen in der WB-Region und innerhalb der EU.

Auf das Eröffnungspanel folgte eine Einführungspräsentation „Wer bleibt, wenn alle gehen? Was bleibt, wenn alle gehen?“, die sich auf die beiden schwierigsten und langwierigsten Probleme in der WB-Region konzentrierte – das Phänomen der Abwanderung hochqualifizierter Kräfte und der Entvölkerung des Westbalkan.

Das zweite Panel vertieft das Thema Armut und Ungleichheit in der Region mit zwei Expertenvorträgen:

-Armut und Ungleichheiten im Integrationsprozess.

-Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden und Organisationen der Zivilgesellschaft in Bezug auf Verbraucherrechte.

Das dritte Panel analysierte die Genese der intensiven Auswanderung aus dem Westbalkan und versucht, Antworten auf die Frage zu finden, warum Menschen ihr Land verlassen. Die Rolle von Beschäftigung, Perspektiven und Lebensbedingungen wurde von Gewerkschaftsführern aus Serbien, der Republik Nordmazedonien, Montenegro und Albanien vorgestellt.

Das vierte Panel Braindrain und Entvölkerung in verschiedenen Ländern – Erfahrungen in den Westbalkanländern und der EU mit einer stärkeren praktischen Orientierung, Vergleich der Situation in Rumänien, Serbien, Frankreich, Slowenien, RN Mazedonien, gefolgt von einer allgemeinen Diskussion.

Am zweiten Tag Expertenpräsentation „Stoppt Entvölkerung und Brain-Drain – Perspektiven, Ideen und Aktionen von Arbeitnehmerorganisationen“ mit anschließender Denk-Danke-Sitzung: „Arbeitnehmerorganisationen und andere Gruppen der Zivilgesellschaft vereint, um die Entvölkerung zu stoppen. Bevölkerung und Braindrain“ mit Beiträgen aller teilnehmenden Gewerkschaften und Länder.

Abschlussveranstaltung und Auswertung des Seminars.

Schlüsselideen

* Alle WB-Länder haben bereits ihre Ambitionen erklärt, der EU beizutreten, aber es bedarf noch starker Zusagen und konkreter Maßnahmen zur Einhaltung der Beitrittskriterien, insbesondere bei der Umsetzung, zur Begrenzung der Korruption, zur Förderung der Grundsätze der guten Nachbarschaft und der Achtung der Menschenrechte. Gleichzeitig muss die EU selbst ihre Resilienz gegenüber den ständig aufkommenden Krisen stärken: dem militärischen Konflikt in der Ukraine, der Inflation, den neuen Technologien und dem Cyberspace. Um widerstandsfähig zu sein, muss unsere Union außerdem ihre innere Spaltung überwinden – in einen reichen Teil und eine arme Peripherie. In diesem Zusammenhang muss die EU die Unterstützung der Weltbanken als integralen Bestandteil ihrer Strategie zur Sicherung eines einzigartigen Raums der Demokratie, des Friedens und des wirtschaftlichen Wohlstands intensivieren. Neben der Unterstützung des sozialen Zusammenhalts muss die EU einen länderübergreifenden Politikansatz bei der Regulierung bestimmter Bereiche der Arbeit – wie angemessene Bezahlung, Auswanderung, Sozialdumping, Saisonarbeit – fördern.

* In einem Zeitalter offener Märkte und des relativ freien Arbeitsflusses über die Grenzen hinweg ist die Präsenz einer groß angelegten Auswanderung aus den Westbalkanstaaten in die reichen europäischen Länder keine Überraschung. Wie Bulgaren und Rumänen wandern Bürger vom WB in großen Wellen nach Westeuropa aus. Um den wirtschaftlichen Fußabdruck abzuschätzen, müssen wir erwähnen, dass allein die mit der Bildung dieser Personen verbundenen Kosten etwa 2,46 Milliarden Euro betragen, ohne den potenziellen Verlust an BIP-Wachstum und Investitionen zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass vor allem junge und aktive Menschen ins Ausland gehen, was erstens die Entvölkerung der Region beschleunigt, zweitens den Mangel an gut qualifizierten Arbeitskräften, kurz gesagt, die armen Länder des Westbalkans investieren in die reichen Aufnahmeländer. Dies ist ein zentrales Problem, das enorme Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hat, aber seit Jahrzehnten nicht gelöst wird – die Bürger verlassen weiterhin die Region, um in anderen europäischen Ländern zu arbeiten, auf der Suche nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen, hervorgerufen durch Perspektivlosigkeit, die weitverbreitete Korruption und politischen Absprachen.

* Die Auswanderung wird mit einer Hoffnungsreise für Menschen im WB verglichen. Denn in WB-Ländern sind eine gute Ausbildung und Beschäftigung keine Garantie für Wohlstand. Die Kombination aus Armut, Braindrain und Perspektivlosigkeit führt zu sehr fragmentierten und enttäuschten Gesellschaften. Anstatt wirksame Mechanismen vorzuschlagen, halten die politischen Eliten beharrlich an falschen und unfairen Mechanismen der Verteilung und Umverteilung des öffentlichen Reichtums mit einem hohen Maß an Korruption fest. In der Praxis sind politische Einmischung und Korruption aufgrund des Mangels an starken und unabhängigen zivilgesellschaftlichen Institutionen und angemessenen Kontroll-/Sanktionsmechanismen schwer aufzudecken.

* Investitionen in Bildung und Kultur sind entscheidend, um das Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die soziale Entwicklung im WB voranzutreiben. Hier ist die Rolle der Gewerkschaften bei der Förderung der gemeinsamen Werte der EU entscheidend für die Stärkung der lokalen, nationalen und europäischen Identitäten. Der soziale Dialog ist die stärkste Kraft beim Brückenbau, damit Regierungen und Arbeitgeber gemeinsam arbeiten können. Bildung und Kultur sind auch ein Garant für mehr Solidarität und das beste Gegenmittel gegen die Gefahr des Zerfalls von WB-Gesellschaften. Diese Prioritäten müssen sich in allen von den Gewerkschaften durchgeführten Programmen und Kampagnen widerspiegeln.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

* Abwanderungs- und Entpopularisierungstrends in der Region der Westbalkan sind zweifellos besorgniserregend – seit vielen Jahren sind die Westbalkanstaaten ein Exporteur intelligenter, gebildeter Menschen nach Westeuropa. Doch der öffentliche Diskurs über die Ursachen dieses Phänomens wird von den nationalen Regierungen und Politikern vernachlässigt. Schlimmer noch – es wird zu Überweisungen vereinfacht, um die Entwicklungschancen der Region zu verbessern. Wenn man die Situation vernachlässigt, verfügen die nationalen Regierungen logischerweise nicht über die entsprechenden Strategien und Instrumente, um ihre Auswirkungen einzuschränken, ja sogar, um ihre Auswirkungen abzuschätzen.

* Zudem fehlt eine landesweite politische Debatte über die Abwanderung und ihre Folgen. Die politischen Führer müssen noch damit beginnen, die Frage zu beantworten, warum Menschen gehen, geschweige denn das Problem anzugehen. Gewerkschaften aus dem Westbalkan müssen dieses Schweigen zum Phänomen der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte und der Entvölkerung brechen und die schwierige Debatte über die Komplexität des Themas anstoßen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Abwanderung der qualifiziertesten Arbeitskräfte zum Rückgang der Steuereinnahmen führen und somit zur Schwächung lokaler Wirtschafts- und Sozialsysteme. In dieser Debatte müssen Gewerkschaften, ähnlich wie staatliche Institutionen und Politiker, die unbequeme Wahrheit über die Gründe anerkennen, aus denen Menschen die Region verlassen, und die Debatte zu ihrem Vorteil gestalten, indem sie leere Phrasen dreschen, die die Realität verdecken. Die Gewerkschaften müssen auch an der Ausarbeitung von Politiken und Strategien zur Auswanderung oder an der Entwicklung konkreter Maßnahmen zur Bewältigung des Problems beteiligt werden.

* Es wäre ein Fehler zu glauben, dass wohlhabende Staaten ihre Einwanderungspolitik ändern werden, solange sie eine Nachfrage nach Arbeitskräften und die Fähigkeit haben, Arbeitskräfte aus dem Ausland aufzunehmen. Dies ist die EU, die versuchen muss, die schwerwiegenden Auswirkungen der Auswanderung besser zu verstehen, und um seine Investitionsstrategie und seine Unterstützung für den Kapazitätsaufbau in der Region zu verbessern. Beispielsweise kann die EU von ihren gut etablierten Kooperationsmechanismen innerhalb der Region profitieren und den nationalen Regierungen Leitlinien für beide Seiten vorteilhafte Maßnahmen zur Migration anbieten. Man kann auch bereits bestehende Plattformen nutzen, um Arbeitsmärkte zu verbinden und Beschäftigungsnachfrage und -möglichkeiten klar zu kommunizieren.

* Gewerkschaften aus der Region müssen die Initiative ergreifen und den Weg für eine stärker institutionalisierte Emigration ebnen, indem sie rechtliche und praktische Lösungen vorschlagen, wie z. B. die Unterstützung der EU-Hilfsprogramme zur Schaffung langfristiger Beschäftigungsmöglichkeiten und die Stärkung der unterentwickelten Industriesektoren der Region. Gewerkschaften müssen ihre Anstrengungen bündeln, um langfristige Wirtschafts- und Beschäftigungsstrategien zu formulieren, um Wohlstand zu schaffen und ihren Ländern schließlich die EU-Mitgliedschaft anzubieten.

* Die Weiterentwicklung der Westbalkanstaaten hin zu einer demokratischeren Entwicklung in der Region kann nicht ohne     konkrete Schritte zur Achtung der Rechtsstaatlichkeit und zur Bekämpfung der Korruption erfolgen. Denn die Duldung von Korruption durch die breite Öffentlichkeit und staatliche Vereinnahmung bedrohen weiterhin die sich entfaltenden Bemühungen um entschiedenere Maßnahmen zur Umsetzung systemischer Reformen. Die Bekämpfung der Korruption erfordert langfristige Arbeit auf vielen Ebenen (regional, national und lokal) und bezieht mehrere Interessengruppen ein. Eine besser informierte und anspruchsvollere Öffentlichkeit, eine Zivilgesellschaft mit einer stärkeren Rolle bei der Überwachung der Politik in korruptionsanfälligen Gebieten sowie sichtbaren wirtschaftlichen Fortschritt und ein verbessertes Geschäftsumfeld sind weitere notwendige Elemente, um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.

Das kontinuierliche Engagement der EU für den Beitrittsprozess wird entscheidend bleiben, um die Reformen und die wirtschaftliche Entwicklung in den Westbalkanstaaten voranzutreiben. Es sind jedoch neue Wege zur Stärkung der Beziehungen mit der Region und zur Erhöhung ihrer Glaubwürdigkeit erforderlich. Die EU sollte alle verfügbaren Mechanismen nutzen und alle beteiligten Akteure, einschließlich der Arbeitnehmerverbände, zu vereinen, um eine neue EU-Strategie für den westlichen Balkan zu formulieren und ihre Struktur- und Kohäsionsfonds an den Bereich Massenauswanderung, anhaltende Armut und Entpopularisierung koppeln.