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Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Beschäftigung und Soziales

Das Thema „Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Beschäftigung und Soziales“ stand am 14. und 15. Mai 2021 im Mittelpunkt einer Tagung, die von AFB (Arbeiter-, Freizeit- und Bildungsverein) in Zusammenarbeit mit EZA organisiert wurde. Aufgrund der Pandemie wurde die Tagung online durchgeführt. An der Tagung nahmen über 70 Teilnehmer*innen aus Südtirol/Italien, Deutschland, Österreich, Luxemburg und Belgien teil. Das Symposium wurde in zwei Sprachen (Deutsch und Italienisch) gehalten und durch die Europäische Union unterstützt.

Die Corona-Pandemie hat die Bedeutung von zwei grundlegenden gesellschaftlichen Regelungsmechanismen bestätigt. Der Staat als gemeinwohlorientierte Governancestruktur und das universelle Sozialstaatsmodell erwiesen sich als Bollwerk gegen die Folgen des am 30. Januar von der Weltgesundheitsorganisation ausgerufenen internationalen Notstandes. Seit März 2020 haben die einzelnen europäischen Staaten umfassende Hilfestellungen auf den Weg gebracht, um durch die Covid-19-Pandemie geschädigte Betriebe und von Entlassung bedrohte Arbeitnehmer*innen sowie Familien und sozial schwache Bevölkerungsgruppen zu unterstützen. Um Soforthilfen bereitzustellen, haben die Staaten nicht gezögert, neue Schulden aufzunehmen. Und sie bewiesen Flexibilität, wenn es um den Ausbau bestehender Instrumente zur Krisenbewältigung wie der Kurzarbeit oder um die Einführung neuer bedarfsorientierter Finanztransfers an bedürftige Familien ging.

Für die Zukunft sind neue Weichenstellungen zu drei Kernfragen erforderlich: Leistungsfähigkeit des Sozialstaates und des Gesundheitssystems, faktische Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt und in der Aufteilung der Familienverantwortung, wirksame Reduzierung der wachsenden Einkommensdisparitäten.

Die Corona-Pandemie führte in vielen Ländern Europas dazu, dass 2020 und 2021 wiederholt die Produktions- und Dienstleistungssysteme heruntergefahren, Kindergärten und Schulen geschlossen und einschneidende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für die Bevölkerung verhängt wurden. Die Tätigkeit im Gastgewerbe, Tourismus, in Handels- und Dienstleistungsbetrieben sowie in der Freizeit- und Kulturbranche kam zeitweise zum Erliegen. Die industrielle Produktion, etwa in der Lebensmittelverarbeitung, bei den Autoherstellern und anderen Sparten mit deutlichen Umsatzeinbußen oder Unterbrechungen der Lieferketten wurde gedrosselt. Der eingespielte Ablauf der ineinandergreifenden Räder der wirtschaftlichen Tätigkeit kam ins Stocken, ebenso die Routine in den Bildungseinrichtungen und der familiäre Alltag.

Die Kurzarbeit war der Schlüssel für die Einbremsung der drohenden Massenarbeitslosigkeit. Unternehmen erhielten ebenso eine Überbrückungshilfe wie auf Kurzarbeit umgestellte bzw. arbeitslose Arbeitnehmer*innen, aber auch an Familien und sozial schwache Bevölkerungsgruppen. Für Steuern und Gebühren wurde ein Zahlungsaufschub gewährt, bei den Wohnkosten Vergünstigungen auf die Ratenzahlungen. Die Regeln für den Bezug des Arbeitslosengeldes wurden elastischer gestaltet, ebenso die Möglichkeiten zur Beanspruchung der Kurzarbeit bzw. des Lohnausgleichs. Wo dieses Instrument zur Bewältigung von Betriebs- bzw. Marktkrisen bereits eingeführt war, ist es großzügig gehandhabt worden. In Italien wurde den Arbeitnehmer*innen im Gegensatz zu anderen Ländern ein besonders ausgedehnter Kündigungsschutz gewährt, der noch bis Juli 2021 gilt.

Wo es möglich war, stellten die Unternehmen im Lockdown die Arbeitsorganisation für ihre Belegschaft auf Telearbeit und für prekäre oder Vertragsmitarbeiter*innen auf Homeoffice um, um die Arbeitsprozesse in Gang zu halten: Telearbeit und Telekonferenzen werden inzwischen als selbstverständliche Optionen der Arbeitsorganisation betrachtet. Arbeitsplattformen sind neue digitale Portale für den Zugang zum Arbeitsmarkt. 11 Prozent der Arbeitskräfte haben in der EU bereits Dienstleistungen über eine Plattform erbracht.

Problematisch aus Sicht der Arbeitnehmer*innen ist, dass nationale Regelungen für international aufgestellte Arbeitsplattformen nicht greifen und eine klare Trennungslinie zwischen lohnabhängiger Arbeit und (schein-)selbständiger Beschäftigung fehlt. Um einen EU-weiten Standard für die unterschiedlichen Regelungen auf nationaler Ebene zu etablieren, ist deshalb die Einführung einer entsprechenden Richtlinie im Gespräch.

Die Familien mussten wochenweise in ihren vier Wänden ausharren. Das bedeutete, dass die Eltern, aber vor allem die Frauen vielfach von heute auf morgen zusätzlich zum Haushalt den Spagat zwischen eigener Berufstätigkeit, Kindererziehung und Hausaufgabenbetreuung zu bewältigen hatten. Als sehr herausfordernd erwies sich der Lockdown vor allem für Eltern kleiner Kinder und für Alleinerziehende. Relevante Belastungsfaktoren waren insbesondere enge Wohnverhältnisse, geringes Einkommen und das knappe Zeitbudget zur Bewältigung der verschiedenen Aufgaben. Die Umstellung auf Telearbeit bzw. Homeworking von heute auf morgen erwies sich oft ohne geeignete technische Ausrüstung und ausreichend Platz als abenteuerliches Unterfangen, ebenso die Unterstützung des Online-Lernens der Kinder. Die bereits vor der Pandemie bestehende Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in der Arbeitswelt und in der Rentenabsicherung sowie in der Wahrnehmung der Hausarbeit und der Erziehungs- und Betreuungsaufgaben muss durch strukturelle Reformen korrigiert werden.

In der Pandemie war die Systemrelevanz wesentlicher Orientierungspunkt der Politik. Die Bedürfnisse der Kinder sind gegenüber der Gewährleistung der Funktionalität des Produktions- und Bildungssystems zu wenig in Betracht gezogen worden. Sie litten darunter, dass ihnen die Ausübung ihres Bewegungsdrangs versagt und der gewohnte Rahmen für Lernen und soziale Kontakte entzogen wurde. Internationale Studien belegen inzwischen die Bedeutsamkeit der negativen psychosozialen Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Entwicklung der Kinder. Zentral ist nun, ihnen wieder so viel wie möglich Alltagsnormalität zu bieten. Die Entwicklung muss monitoriert werden, damit passende individuelle psychosoziale Hilfestellungen und gesellschaftliche Unterstützungen angeboten werden können.

Umfassende Hilfestellungen für die Familien sind in Staaten mit gut entwickelten Sozialsystem bereits Standard. Sie beinhalten Unterstützungen, die die Leistung der Familiengründung für die Gesellschaft anerkennen und in den weiteren Lebensphasen jeweils angemessene Ausformungen erhalten. Während der Covid-Krise waren vor allem zusätzliche entlohnte Betreuungszeiten für die Kinder und pflegebedürftige Angehörige von Bedeutung, Beiträge an die Familien für notwendige Anschaffungen, Vergünstigungen bei der Beanspruchung von Betreuungsdiensten. Familien ohne Einkommen ist in der Notsituation der Pandemie eine finanzielle Unterstützung aus bestehenden und aufgestockten (oder erst neu eingerichteten) Notfonds gewährt worden. Das erwies sich als grundlegend zur Armutsbekämpfung und als wichtiger Beitrag zur Stärkung der sozialen Kohäsion. Das Versprechen, dass niemand zurückgelassen wird, ist als Kernbotschaft des europäischen Sozialstaatsmodells soweit zum Tragen gekommen, als es die Haushaltslage zuließ.

Die einzelnen Staaten schnürten, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, Effizienz und Wirksamkeit, zahlreiche Hilfspakete für die Unternehmen, die Arbeitnehmer*innen und die Familien und nahmen hierfür neue Schulden in beträchtlichem Ausmaß auf. Die Schuldenquote der einzelnen Staaten steigt 2021 in Relation zum BIP deutlich an, in Italien auf 160%, in Spanien auf 122%, in Deutschland auf 70%, in Österreich auf 85%, in Belgien auf 117%. Die Rückzahlung der Schulden wird sich noch über viele Jahre hinziehen. Deshalb ist es strategisch wichtig, dass die einzelnen Staaten die Mittel wirksam einsetzen.

Die erst allmählich in Gang gesetzte Hilfestellung der EU ist notwendig, damit wirtschaftlich weniger leistungsfähige Staaten in die Lage versetzt werden, den Neustart erfolgreich zu schaffen und durch Reformen Wirtschaft und Staat zukunftsfit zu machen. Die EU hat über das Programm SURE und mit dem Recovery Plan insgesamt mehr als 850 Milliarden Euro für den wirtschaftlichen Neustart bereitgestellt. Die einzelnen Staaten müssen allerdings die Unterstützungsmaßnahmen mit Reformen verknüpfen, die die Innovation fördern, die Infrastrukturen verbessern und die Erfordernisse des ökologischen Wandels im Sinne des Green Deal und der Nachhaltigkeitsziele der UNO berücksichtigen. Die EU sieht hierfür explizit eine laufende Kontrolle der Ergebnisse vor (impact assessment).