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Entwicklung der Arbeitsbeziehungen und Arbeitsformen im digitalen Zeitalter. Konzepte „Arbeit“, „Arbeitnehmer/in“, „Unternehmen“ – Organisation und Vertretung der Arbeitnehmer/innen

Ein von LOC/MTC - Liga Operária Católica/Movimento de Trabalhadores Cristianos (Katholische Arbeiterliga/Christliche Arbeiterbewegung) veranstaltetes Online-Seminar fand vom 11. bis 14. März 2021 in Aveiro statt, unter Beteiligung von Arbeitnehmerorganisationen aus Portugal, Deutschland, Spanien, Frankreich, der Tschechischen Republik und der Schweiz zu dem Thema: Entwicklung der Arbeitsbeziehungen und Arbeitsformen im digitalen Zeitalter. Konzepte „Arbeit“, „Arbeitnehmer/in“, „Unternehmen“ – Organisation und Vertretung der Arbeitnehmer/innen. Das Seminar wurde unterstützt von EZA und der Europäischen Union.

An der Eröffnungssitzung nahmen António Moiteiro, Bischof von Aveiro, der den Vorsitz hatte, Ribau Esteves, Oberbürgermeister von Aveiro, Nelson Santos, Bürgermeister von Cacia, Américo Monteiro, Nationaler Koordinator von LOC/MTC, sowie Maria Reina Martin, Vize-Präsidentin von EZA.

Der Koordinator der LOC/MTC begrüßte die Teilnehmenden und die von ihnen vertretenen Organisationen, gab einen kurzen Überblick über die Situation der Arbeitnehmer:innen in Portugal und zeigte einige Ziele des Seminars auf. Maria Reina Martin vom EZA-Verwaltungsrat sprach über die Aktivitäten von EZA, die Lage in Europa und die Bedeutung solcher Seminare. Der Bürgermeister von Cacia Nelson Santos wiederum begrüßte die Teilnehmer:innen, dankte LOC/MTC dafür, dass Cacia als Austragungsort auserkoren wurde und wünschte dem Seminar allen erdenklichen Erfolg. Ribau Esteves, Oberbürgermeister von Aveiro, beglückwünschte LOC/MTC für diese weitsichtige Themenwahl und ihren Aktivismus und unterstrich, dass man gut beraten sei, den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, sei dieser doch die Grundlage des Lebens und der Arbeit, und dass der Mindestlohn in Portugal erschreckend niedrig und es dringend geboten sei, den sozialen und territorialen Zusammenhalt zu fördern. Bischof António Moiteiro wiederum stellte eine Reflexion über die digitale Kultur und Arbeit an, welche Chancen sie berge, doch nicht alles sei positiv, da diese auch geschlossene Kreisläufe darstellen, die Fake News beflügeln.

In der ersten Einheit wurde über die Entwicklung der Arbeitsbeziehungen und -formen im digitalen Zeitalter nachgedacht und daran erinnert, dass wir Erben mehrerer Revolutionen seit der Dampfmaschine, dem Verbrennungsmotor, der Elektrizität, der drahtlosen Kommunikation und den Halbleitern sind, bei denen die Arbeit immer das schwächste Glied war - ein armer Verwandter, den man gern unter den Teppich kehrt. Was sich durchzusetzen scheint, sind digitale Integration, Information, künstliche Intelligenz, flexible Produktion, Produktanpassung, Dematerialisierung und Sharing Economy, die Arbeit hingegen bleibt dereguliert zurück, traditionelle Arbeitsplätze werden zerstört, es häufen sich vielmehr Prekarität und irreguläre Arbeitsverhältnisse. Diese Art, auf die Arbeit herabzublicken, erzeugt Ängste, Ausgrenzung, ist eine Quelle von Ungleichheiten und schafft keine egalitärere Gesellschaft.

In der zweiten Einheit befassten wir uns mit den Begriffen Arbeit, Arbeitnehmer:innen und Unternehmen heute, den Folgen für die Arbeitnehmer:innen und für soziale Absicherung in Portugal und in Europa, allesamt Themen von größter Brisanz in Europa. So haben wir Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle erörtert, Beschäftigungsformen, Telearbeit als Werkvertrag, Solo-Selbstständigkeit in der Plattformökonomie. Dies sind Beschäftigungsformen, die nicht vollkommen neu sind. Neu ist hingegen, dass solche Selbständigkeit Visionen entspricht, die in der EU die Oberhand gewinnen.

In der dritten Einheit wurden wir uns über ein Rundtisch-Gespräch bewusst, was gerade in den europäischen Ländern Deutschland, Spanien, Tschechien und Portugal passiert und wie dort die Belange der Umwelt und die neuen Arbeitsmodelle gerade junge Leute umtreiben. So lässt sich feststellen, dass die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen sich inzwischen mehr Sorgen über Umweltprobleme macht. Im speziellen Fall von Portugal zeigen sich 89% der jungen Menschen heute besorgt, wesentlich mehr als noch vor 10 Jahren. In Spanien wird mittlerweile auf neue Modelle der Arbeit, des Lebensstils, der Gesellschaft und der Politik reagiert. So gibt es Gerichte, die Scheinselbständigkeit sanktionieren und Unternehmen zu Geldstrafen verurteilt haben. Viele junge Menschen verlieren die Motivation zum Studium, weil sie danach keine Zukunft für sich sehen. Doch eine Mehrheit bleibt optimistisch und glaubt, dass sie beruflich erfolgreich sein wird. Auch wenn sie nicht über große Mittel verfügen, ziehen junge Leute auf die Straße und setzen sich verstärkt für die Umwelt ein, wie dies etwa in Deutschland mit eindrucksvollen Demonstrationen gegen die Zerstörung von Dörfern zur Ausweitung des Kohleabbaus geschieht.

In der vierten Einheit diskutierten wir über die Rolle von Arbeitnehmerorganisationen und -bewegungen bei der Aufwertung von Arbeit. Uns wurde eine Reflexion über die Realität des Einsatzes und Engagements mit den Arbeitnehmern:innen präsentiert; Kämpfe, die einflussreich in der spanischen Gesellschaft geführt werden. Dabei wurde die Wichtigkeit betont, das Krebsgeschwür der Korruption auszumerzen und angemahnt, dass wir verstärkt zur Solidarität erziehen müssen.

In der fünften Einheit ging es darum, welche Arbeitnehmerfragen wie auf die politische, gewerkschaftliche und unternehmerische Agenda gesetzt werden können, um den sozialen Dialog und eine ausgewogene Entwicklung zu fördern. Die Stärkung des Sozialdialogs ist ein Mittel zur Erzielung von sozialem und wirtschaftlichem Fortschritt. Er verleiht doch den Gemeinschaften eine Stimme und versetzt sie in die Lage, sich aktiv in ihren Gesellschaften und Arbeitsplätzen einzubringen und ist somit ein zivilgesellschaftliches Anliegen. Sozialer Dialog existiert immer, die Frage ist, ob er sich auch mit der notwendigen Breite und Tiefe entfaltet. Dies setzt aufgeklärte, wissensbasierte Standpunkte voraus. Geht es im Sozialdialog wirklich um „Belange von gemeinsamem Interesse"? Wird er zu aktuellen Themen geführt? Verändert der gesellschaftliche Wandel die Themen, oder wird dieser ausgeblendet? Die Welt hat sich verändert und tut dies weiterhin rasend schnell. Die Instrumente des Dialogs brauchen, obwohl sie durchaus effektiv sind. Es braucht Zeit, um ihre Agenden zu ändern. Automatisierung, Digitalisierung, Demografie und Globalisierung sind hierbei Triebfedern des Wandels.

Schlussfolgerungen:

Was können wir in dem Bewusstsein, dass es Alternativen zur aktuellen Situation gibt, im Hinblick auf die vor uns liegenden Herausforderungen tun?

  1. Hinter der aktuellen Realität steht ein Prozess der digitalen Technologien, die Globalisierung der Wirtschaft und ideologische Fragen. Wir sollten nicht wie ein Strauß den Kopf in den Sand stecken, sondern vielmehr der Methodik des Erkennens, Urteilens und Handelns folgen. Fünf Mythen wurden in diesem Zusammenhang entzaubert: 1. Die Industrie gehöre der Vergangenheit an; 2. Das Internet sei revolutionärer als die Waschmaschine; 3. Das digitale Zeitalter sei der Weg zu mehr Chancen und gerechteren Gesellschaften; 4. Weniger Staat sei gleich besserer Staat; 5. Technologie sei die Mutter aller Dämonen. Nichts ist nur schwarz und weiß. Der technologische Wandel wird nicht rückgängig zu machen sein, daher gilt es, unser eigenes Leben in die Hand zu nehmen, die Zivilgesellschaft zu vertiefen, mehr Inklusion zu schaffen, der Prekarität Einhalt zu gebieten, neue Kompetenzen zu entwickeln, eine proaktive Haltung gegenüber Technologie und Einheit als Arbeitnehmerschaft einzunehmen. Eine neue Art und Weise, wie wir an Arbeit herangehen, ist im Entstehen begriffen, und es gibt Anlass zu einer relativ optimistischen Sicht der Entwicklung, wenn wir die Geschichte berücksichtigen und Vertrauen in die Dynamik haben, die die Gesellschaft aufzubauen gewusst hat.
  2.  Angesichts des Trends zum Wegfall von geregelten Arbeitsbeziehungen ist die erste wichtige Schlussfolgerung, dass wir weiterhin Arbeit mit Arbeits- und Sozialrechten verteidigen müssen. Es ist dringend geboten, Arbeitsrechte mit sozialen Rechten zu verbinden, und Arbeitnehmer:innen sollten sich solidarisch organisieren und für ihre Anerkennung und Rechte kämpfen.
  3. Um die Ungleichheiten zu bekämpfen, einschließlich der Lohnungleichheiten, die Asymmetrien noch verstärken, gilt es, uns für Arbeitsgesetze stark zu machen, die die Rechte der Arbeitnehmer:innen schützen, und für die Verteidigung der Daseinsvorsorge, die wichtige Errungenschaften darstellen und hier müssen wir auf den Plan treten. So ist es notwendig, dass die Gewerkschaften ihre politische und soziale Aufgabe noch besser wahrnehmen und die Erhöhung der Steuerprogression, des Mindestlohns und der Altersrenten, die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie den Klimaschutz einfordern. Dafür müssen sich die Gewerkschaften mehr an die heutigen Realitäten anpassen und sehen, wie sie sich die Belange aller Werkstätigen zu eigen machen können.