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Ein soziales Europa und ein Europa der Arbeit, der Beitrag der Arbeitnehmerorganisationen

Vom 14. bis 16. Mai 2019 fand in Paris ein Seminar zum Thema „Ein soziales Europa und ein Europa der Arbeit, der Beitrag der Arbeitnehmerorganisationen“ statt, das mit der Unterstützung des EZA und der Europäischen Union von der ACLI - ENAIP (Associazioni Cristiane Lavoratori Italiani - Ente Nazionale ACLI Istruzione Professionale) organisiert wurde.

 

Einige Tage vor den Europawahlen und angesichts der starken Verbreitung nationalistischer Tendenzen war es wichtig, diesen Moment der Reflektion zum Thema der Zukunft Europas und zu der Frage, wie Arbeitnehmerorganisationen zur Entwicklung der ursprünglichen Daseinsberechtigung Europas beitragen können, nämlich dem Frieden. Frieden kann durch die Solidarität zwischen Menschen, Akzeptanz, guter Arbeit für alle, Umweltschutz, Ausbildung, Unterstützung für Familien und allgemeines Gemeinwohl gewahrt werden.

 

Aus diesen Gründen ist es wichtiger denn je, die assoziativen Gegebenheiten zu stärken, die sich durch langjährige Erfahrungen verfestigt haben, sowie diejenigen Gegebenheiten, die neu aufblühen und sich weiterentwickeln. Es muss der Griff der Einsamkeit gebrochen, der Solidarität und Zusammenarbeit Raum gegeben und neuen kollektiven Subjekten neues Leben verliehen werden, um das Leben von Gesellschaften und das Funktionieren von Institutionen hin zu einem sozialen Zusammenhalt und einem wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt auszurichten.

 

Das Seminar war deshalb wichtig, weil es nicht schwer ist, unter den Menschen in den EU-Ländern ein Gefühl des Verlustes und sogar der Angst aufgrund der unaufschiebbaren Veränderungen und deren unvorhersehbaren Folgen, die unsere heutige Welt erzeugt, zu erkennen.

„Globalisierung“ bedeutet nicht nur, dass alles miteinander verbunden ist, sondern es lässt einen begreifen, dass die Machtzentren und die Lenkung der Entscheidungs-prozesse anonym sind bzw. auf jeden Fall abseits stattfinden und sich zunehmend nicht nur vom einzelnen Bürger, sondern auch von denselben Akteuren der nationalen Politik entfernen.

Die plötzlich ausbrechenden Manifestationen sozialer Unruhen sind ein Signal für einen Zustand des kollektiven Leidens, der sich nur schwer ausführen und heilen lässt, da sie aus der tiefliegenden Ebene eines desorientierten und ruhelosen kollektiven Bewusstseins stammen, in der die Folgen einer lang anhaltenden Wirtschaftskrise eine signifikante Rolle spielen.

In diesen drei Tagen waren ca. 80 Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, der Schweiz (als Gäste), Brasilien (als Gäste), Argentinien (als Gäste), Luxemburg und den Niederlanden vor Ort.

Es wurde über die Arbeit diskutiert: die Arbeit, die sich verändert, und die Risiken, die die Arbeit von Frauen, Fürsorge, Unterstützung für Familien, Bildung, soziale Gerechtigkeit, allgemeine Fürsorge ausschließen, anstatt sie zu integrieren, sowie über den Beitrag, den Arbeitnehmerorganisationen leisten können, um den Aufbau eines gleichberechtigteren und bürgerfreundlicheren Europas zu fördern, in einer Zeit der zunehmenden Unterordnung der sozialen Ziele der politischen Integration hinter die Notwendigkeiten von Haushaltsdisziplin und wirtschaftlichem Wettbewerb.

Auch der Aspekt des Populismus wurde diskutiert sowie die Frage, wie er aus der gesellschaftlichen Wut derjenigen heraus entsteht, die ins Hintertreffen geraten, um einen Konsens zu erreichen.

Alle Berichte nährten die Debatte, angefangen bei Lectio Magistralis von Mons. Crociata, erster Vize-Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE), der die Wichtigkeit des sozialen Dialogs betonte und die Worte des Papstes zitierte: „Die Förderung des Dialogs – jeglichen Dialogs – ist eine grundlegende Verantwortlichkeit der Politik und leider erleben wir allzu oft, wie er zu einem Konflikt zwischen widerstreitenden Kräften wird. Die Stimme des Dialogs wird durch die Rufe nach Ansprüchen ersetzt. Aus vielen Teilen kommt das Gefühl, dass das Gemeinwohl nicht mehr das vorrangig verfolgte Ziel ist. Dieser Mangel an Interesse wird von vielen Bürgern wahrgenommen.“

Er bezog sich auch auf das Dokument der COMECE über die Zukunft der Arbeit, das einen sozialen Dialog zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf gleich-berechtigter Basis verlangt, um die Arbeitswelt zu gestalten, aber auch einen sozialen und Bürgerdialog, der die europäische Politik dazu bringen kann, die Interessen beider Seiten ins Gleichgewicht zu bringen. Arbeitnehmerorganisationen und die Verbände der Zivilgesellschaft tragen besondere Verantwortung in diesem Bereich, da es nicht nur soziale, sondern auch moralische und kulturelle Aspekte gibt und die Zukunft Europas auf dem Spiel steht.

Marc Lazar veranschaulichte die Ursprünge des Populismus, Tommaso Vitale die territorialen Ungleichheiten und die gesellschaftliche Wut, Mirella Giannini die Geschlechterdistanzen zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt.

Mit Mauro Montalbetti, David Lopez und Ali Hamnache ergab sich eine Diskussion über Einwanderung anhand konkreter Beispiele für Erfahrungen und mit dem Vorschlag für eine offenere EU, die die Menschenrechte stärker achtet.

Ergebnisse des Seminars:

Wie der ACLI-Präsident Roberto Rossini abschließend feststellte, ist es unter Berücksichtigung der Situationen in den EU-Ländern absolut notwendig, einen Vorschlag zur Überarbeitung der Maastricht-Parameter zu unterstützen, um weitere wichtige Fragen der europäischen Realität in Verbindung mit Armut, Beschäftigungslosigkeit aber auch andere dringende Fragen, wie CO2-Emissionsraten, mit einzubeziehen, da die Situation derjenigen, die in Gebieten mit starker Luftverschmutzung leben, ebenso stark berücksichtigt werden sollten. Es wäre gut, wenn alle zusammenarbeiten würden, um die ganzheitliche Gesundheit der Menschen, ihre existenziellen und sozialen Verhältnisse zusammen mit den Verhältnissen der Orte, an denen sie leben, zu schützen, und man sich nicht nur um die Gesundheit des Bankensystems kümmern würde. Es muss daran gearbeitet werden, dass Europa eine Politik annimmt, welche die wirtschaftlich-finanzielle Dimension mit der Sicherung des menschlichen und sozialen Befindens verknüpft.

Es wäre zudem interessant und wünschenswert, dass die Migrationspolitik sowie die Umweltpolitik aus dem Kompetenzbereich der einzelnen Mitgliedsstaaten entfernt werden und in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen könnten. Hinsichtlich dieser Politik haben einzelne Länder aufgrund des engen Handlungsspielraums ihrer Interventionen tatsächlich Schwierigkeiten: Italien dient als deutliches Beispiel dafür. Würde der Migrationsfrage nicht, wie es aktuell geschieht, mit einer beschränkten und individuellen defensiven Politik begegnet werden, sondern sie zu einem Thema werden, das auf europäischer Ebene umfassend behandelt werden würde, wäre es vielleicht möglich, durch eine gegenseitige und gemeinsam übernommene Verantwortung einen besseren Umgang mit diesem Thema zu erreichen. Dasselbe gilt für das Thema Umwelt, das alles und insbesondere das zukünftige Leben neuer Generationen umfasst, insbesondere am Vorabend einer sehr nahen Zukunft, in der sich die Knappheit von Wasser, dem vorrangigen Lebensgut, mit aller Kraft aufdrängen wird und auch im reichen und zivilisierten Europa zum Dreh- und Angelpunkt für Spannungen und Konflikte werden wird.

Arbeitnehmerorganisationen stellen eine wichtige Verbindung zwischen der Zivilgesellschaft und den Institutionen dar und können deshalb die Bedürfnisse, das Unbehagen, aber auch die Energien und den Änderungsbedarf erfassen und deren Wortführer sein. Um weiter bestehen und sich weiterentwickeln zu können, muss ein soziales Europa allerdings als ein Projekt der „Anti-Elite“ konzipiert sein, das hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, den zu großen Ungleichheiten entgegenzuwirken, welche die Lebensqualität der Bürger gefährden. Aus diesem Grund sind Arbeitnehmerorganisationen dazu aufgerufen, auf kultureller und politischer Ebene zu unterscheiden und auszuarbeiten, um für die Verbesserung der Bedingungen von EU-Bürgern einen sozialen Dialog auf funktionale und wirksame Art und Weise umzusetzen und um eine umfassende europäische Identität aufzubauen.