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Inklusiver Arbeitsmarkt und die Beschäftigung junger Menschen: eine europaweite Analyse

Vom 31. Mai bis 2. Juni 2018 fand in Jūrmala, Lettland, ein Seminar zum Thema „Inklusiver Arbeitsmarkt und die Beschäftigung junger Menschen: eine europaweite Analyse“ statt, das mit der Unterstützung von EZA und der Europäischen Union von LKrA (Latvijas Kristīga Akadēmija) organisiert wurde.

64 Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen aus Lettland, Litauen, Estland, Deutschland und Norwegen (als Gäste) waren vor Ort.

Der wichtigste Aspekt des Projekts lautete: a) dessen Beitrag zur Weiterverfolgung der Ziele der Europa 2020-Strategie der Europäischen Kommission; Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit und Beitrag zur Herausstellung aktueller ökonomischer und politischer Aufgaben in Bezug auf Leitlinien, Grundsätze, Gesetze und sonstige Maßnahmen, welche die für das Gemeinwohl leitfähigen Lebensbedingungen betreffen, wie beispielsweise die Lebensqualität junger Menschen und andere Antworten auf die sozialen Bedürfnisse nach Gerechtigkeit; Bekämpfung von Ungleichheit im Arbeitsbereich; Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der Solidarität zwischen EU-Ländern für die Beschäftigung junger Menschen, b) basierend auf soziologischen Analysen zur Beschäftigung junger Menschen in verschiedenen europäischen Ländern und unter Betrachtung der Defizite und Versäumnisse in der Sozial- und Bildungspolitik der EU-Mitgliedsländer in der Jugendarbeit analysierten die LKrA und die Seminarteilnehmer die Ursachen für diese Defizite:

  1. Hohe Abbruchsquote in allen Bildungsstufen, von der Primarstufe, obligatorischen Bildung, Sekundarstufe und Hochschulbildung. Die Bekämpfung von Schulabbrüchen ist ebenfalls ein Ziel der Europa 2020-Strategie.
  2. In den baltischen Ländern dauert die Ausbildung an der Universität zu lang, was in Bezug auf die Studienjahre zu verspäteten Abschlüssen führt.
  3. Die Fach- und Berufsausbildung weist in den baltischen Ländern immer noch eine schlechte Qualität auf.
  4. Infolgedessen vermittelt das Bildungssystem sowohl in der oberen Sekundarstufe als auch in der Hochschulbildung vorwiegend allgemeine anstelle von berufsbedingten Kompetenzen. Die Bildungssysteme sehen eine allgemeine Ausbildung anstelle des allumfassenden Humankapitals nach wie vor als ihre Aufgabe an.
  5. Dies verlangsamt den Übergang zu einer Festanstellung extrem, da Unternehmen berufsbedingte Kompetenzen und keine allgemeinen Fertigkeiten verlangen.
  6. Infolge des Wissensdefizits müssen junge Menschen nach dem Ende ihrer Ausbildung auf eigene Faust Arbeitserfahrungen sammeln, was bedeutet, dass sie leichter allgemeine Arbeitserfahrungen in Kurzzeit-Jobs entwickeln können als sich jobspezifische Erfahrungen anzueignen, die eine langfristige Arbeitserfahrung erfordern.

c) das Seminar gewährte einen guten Einblick, wie wir die soziale Integration junger Menschen im beruflichen Umfeld der Organisationen erleichtern können. Wir sprachen die politischen Optionen zur Unterstützung der Maßnahmen zur Beschäftigung junger Menschen im Kontext des europäischen Semesters an und befassten uns damit, wie sich die berufliche Ausbildung auf die Arbeitsmarktanforderungen anpassen lässt, wie die Notwendigkeit zur Umsetzung von Reformen des Bildungssystems in verschiedene Richtungen: Umsetzung einer Bewegung zu einer flexibleren Bildung, die es ermöglicht, einfach von einem Fach zu einem andern und von einem Studiengebiet zu einem anderen zu wechseln. Zweitens bewerteten wir die Bedürfnisse der Bologna-Reform neu, um zu verstehen, was nicht funktioniert hat und wie man es zum Laufen bringen kann. So sollte beispielsweise das duale Prinzip anstelle von aufeinander folgenden Bildungsgrundsätzen auf allen Ebenen des Bildungssystems eingeführt werden. Die verschiedenen Bestandteile des Humankapitals ersetzen sich nicht, sie ergänzen sich gegenseitig. Und sie können besser weiterentwickelt werden, wenn sie gemeinsam erzeugt werden. Arbeitsbedingtes Lernen geht mit der aktuellen Umsetzung der Europäischen Garantie für jungen Menschen einher.

Schließlich befasste sich das Seminar mit der Frage, wie wir die Jugendarbeit und -gesellschaft so organisieren können, dass zwischenmenschliche Beziehungen in einem Klima aus Solidarität und Menschlichkeit wachsen und sich entwickeln können.

Eine moderne Politik zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, einschließlich der Beschäftigung junger Menschen, trägt in Übereinstimmung mit den EU-Prioritäten, die sich in den Zielen der Europa 2020-Strategie widerspiegeln, und mit den Prioritäten der Europäischen Kommission für Beschäftigung und Wachstum, die in den politischen Leitlinien des Kommissionspräsidenten Junker dargelegt wurden, zur Verbesserung der Beschäftigungsquoten und zur Reduzierung von Armut und sozialer Ausgrenzung bei.

Es wurde über die folgenden Themenbereiche diskutiert:

Vergleichsanalysen aus EU-Ländern zu qualitativen Aspekten der Maßnahmen für die Beschäftigung junger Menschen, berufliche Ausbildung; Integration junger Menschen als Arbeitskraft in den baltischen Ländern; Umsetzung von „Garantien für junge Menschen“ durch die öffentliche Arbeitsvermittlungsstelle; Beschäftigung junger Flüchtlinge; praktische Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt für junge Menschen mit geistigen Gesundheitsproblemen; praktische Initiativen von Ausbildungsstätten für die Beschäftigung junger Menschen; Betrachtung der Beschäftigung junger Menschen durch das lettische Parlament und „Garantien für junge Menschen”.

Wichtige Aufgaben wurden bereits vor dem Seminar erledigt, eine einvernehmlich vereinbarte Vorbereitung durch gemeinsame Konsultation durch das EZA und Vertreter der LKrA – zusammen mit dem LBAS (lettischer freier Gewerkschafts-verband) und Mitgliedern aus Litauen und Estland. Alle Vorträge waren perfekt vorbereitet und erstklassig. Alle Vortragstexte standen für die Seminarteilnehmer in gedruckter Version zur Verfügung. Wir wollen an dieser Stelle den Berichterstatter und Soziologen Juris Osis, Assistenzprofessor an der LKrA, mit seinem Bericht zur Lage der Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung für Jugendliche, die weder in Arbeit noch in Ausbildung sind (NEET = not in employment, education or training), in Europa erwähnen. Außerdem Pēteris Krīgers, ehemaliger Vorsitzender des LBAS und aktuelles Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, mit seinem Bericht über die Beschäftigung junger Menschen durch das Europäische Semester und nationale Reformprogramme. Imants Lipskis des lettischen Ministeriums für das Gemeinwohl und Direktor der Abteilung für Arbeitsmarktpolitik, mit seiner Vergleichsanalyse zur Beschäftigung junger Menschen im Kontext der EU-Länder. Laura Iveta Strode des  lettischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft, Abteilung für berufliche und Erwachsenenbildung, über die berufliche Ausbildung junger Menschen und soziale Eingliederung. Professor Marju Medar von der Universität Tallinn zu Erfahrungen junger Menschen mit geistigen Gesundheits-problemen auf dem estnischen Arbeitsmarkt.

Als besonderer Höhepunkt galt die Exkursion in das lettische Nationalparlament und das Treffen mit Aija Barča, Vorsitzende des nationalen Parlamentsausschusses für soziale und Beschäftigungsangelegenheiten, zur Bewertung der Beschäftigungs-situation junger Menschen auf nationaler Ebene.

  • Ergebnisse
  1. Es gab schriftliche Ergebnisse aus 2 Arbeitsgruppen – Antworten in Fragebögen, die vor dem Seminar per E-Mail verteilt worden waren. Während informativer Vorlesungen wurden die Teilnehmer aus verschiedenen Gewerkschaften gebeten, Lösungen für thematisch passende Fragen zu finden und diese im Laufe des zweiten Seminartages einzureichen. Es gingen 24 Antworten in schriftlicher Form ein: 10 aus der ersten Arbeitsgruppe, 14 aus der zweiten. Beide Gruppen empfahlen die digitale Wirtschaft als faszinierende und sich weiterentwickelnde Möglichkeit für Maßnahmen betreffend die Beschäftigung junger Menschen und plädierten für eine stärkere Förderung praktischer Ergebnisse aus verschiedenen EU-Projekten.
  • Beschluss
  1. Am zweiten Tag wurde ein Empfehlungsschreiben (siehe Anhang) an den Ausschuss für Beschäftigungs- und Sozialangelegenheiten des lettischen Nationalparlaments zu Händen von dessen Vorsitzender, Aija Barča, geschickt. In dem Schreiben wurden die Schlussfolgerungen des Seminars zur Beschäftigung junger Menschen genannt und Empfehlungen zur Verbesserung der Maßnahmen betreffend die Beschäftigung junger Menschen gemacht: zur Anregung einer weiteren Vernetzung zwischen den drei baltischen Ländern durch eine gemeinsame nachhaltige Plattform; Empfehlung dazu, wie sich der beschädigte soziale Zusammenhalt, der durch die Probleme bei der Integration junger Menschen in ein berufliches Umfeld entstanden ist, wieder „reparieren“ lässt; Initiativen des lettischen ländlichen Beratungs- und Schulungszentrums für die Beschäftigung junger Menschen wurden als innovative Anstrengungen empfohlen.
  • Folgen
  1. Alle Seminarteilnehmer unterstützten die Ansicht, dass das Seminar äußerst informativ gewesen sei und einen ganzheitlichen Überblick über die Beschäftigung junger Menschen gegeben habe. Es war daher sowohl aus theoretischer Sicht als auch für die tägliche Arbeitspraxis relevant. Die Teilnehmer wurden dazu ermuntert, bestimmte tägliche Anstrengungen am Arbeitsplatz in den Geist der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts zur Verbesserung des beruflichen Umfeldes für junge Menschen zu investieren. Die Teilnehmer erwarben praktisches Wissen zu verschiedenen Generationen junger Menschen und deren unterschiedlichen Erwartungen an den Arbeitsmarkt.
  2. Die Teilnehmer der Organisationen werden die Ergebnisse des Seminars durch die Verbesserung ihrer Kenntnisse, die Ermutigung zu einem innovativen Ansatz für sozialen Zusammenhalt und soziale Verantwortung vor der politischen EU-Agenda anwenden, um das in die Tat umzusetzen, was im Seminar gelehrt wurde.

 

ANHANG: EMPFEHLUNGSSCHREIBEN AN DAS LETTISCHE PARLAMENT

AUSSCHUSS FÜR SOZIALE ANGELEGENHEITEN UND BESCHÄFTIGUNG, FRAU VORSITZENDE AIJA BARČA.

Mit diesem Schreiben wenden wir uns im Anschluss an das von der lettischen christlichen Akademie und vom EZA (Europäisches Zentrum für Arbeitnehmerfragen) organisierte internationale Seminar mit dem Titel „Inklusiver Arbeitsmarkt und Beschäftigung junger Menschen: eine europaweite Analyse“ (31. Mai - 2. Juni 2018 an der lettischen christlichen Akademie) an Sie.

Der analytische Seminarteil basierte auf Schlussfolgerungen der international anerkannten Experten im Zusammenhang mit der Beschäftigung junger Menschen in den EU-Ländern. Die praktische Grundlage für den analytischen Teil bildete eine unabhängige Analyse der tatsächlichen Situation in Lettland im Vergleich zu anderen EU-Ländern.

Die Seminarteilnehmer trugen Daten zu den folgenden Fragen zusammen:

  1. Vergleichsanalyse zur Beschäftigung junger Menschen im Kontext der EU-Länder
  2. Umsetzungswirksamkeit der Garantien für jungen Menschen in Lettland, Litauen und Estland.
  3. Situation der Berufsausbildung und Ausbildungsqualität.
  4. Überwachung der Beschäftigung junger Menschen in Lettland durch das Europäische Semester: Beteiligung am sozialen Dialog zu nationalen Reformprogrammen.
  5. Komplexitäten der Beschäftigung junger Menschen und Erfahrungen von Menschen mit geistigen Gesundheitsproblemen und Dienstleistungsanbietern.
  6. Positive Initiativen des lettischen ländlichen Beratungs- und Schulungs-zentrums und Beschäftigung junger Menschen.

64 Teilnehmer besuchten das Seminar, 45 von ihnen vertraten verschiedene Berufe und die jeweiligen Gewerkschaften, die sich mit dem beruflichen Schicksal junger Menschen in armen Ländern befassen.

Gemäß den Leitlinien der europäischen Sozialagenda im Zusammenhang mit der Beschäftigung junger Menschen und der Wirksamkeitsanalyse der Garantien für junge Menschen erkennen wir die Wichtigkeit der zusammengefassten Seminarergebnisse an, um sie dem Ausschuss für soziale Angelegenheiten und Beschäftigung unter Ihrem Vorsitz zu übergeben, damit so dessen Mitwirkung gefördert wird.

Die Teilnehmer ließen sich konkrete und realistische Lösungen einfallen, mit deren Umsetzung sie direkt im Anschluss an das Seminar beginnen könnten. Wir können unter Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen und Analysen Folgendes empfehlen:

  1. Auf dem Seminar wurde die Initiative der Jugendmediatoren vorgestellt. Zuvor arbeitslose junge Menschen, die eine Hochschulausbildung in Sozialwissen-schaften, Pädagogik, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften genossen hatten, erhielten nun eine Ausbildung zu Sozialarbeitern oder Arbeitsmediatoren. Sie können bei lokalen Gemeinden für einen bestimmten Bezirk beschäftigt werden. Beispiele aus verschiedenen EU-Ländern, denen es gelungen ist, junge Menschen bei der Kontaktaufnahme mit Arbeitsmarkt-organisationen zu unterstützen, zeigten gute Ergebnisse.
  2. Aufbau von Bündnissen und Definition von Rollen. Feststellung, welcher Akteur in jedem Bündnis die Führung übernimmt.
  3. Für einen Wandel des Denkens in Bezug auf nachhaltige Prozesse, im Gegensatz zu isolierten Maßnahmen und Projekten, die dann enden, wenn auch die monetäre Unterstützung wegfällt.
  4. Zunehmende Flexibilität zur Unterstützung eines integrierten Weges, Vermeidung von Hindernissen für die Modernisierung relevanter Verwaltungen. Stärkere informelle Kontrolle der ergebnisorientierten Projekte der Europäischen Kommission, wobei ein stärkerer Fokus auf die Nachhaltigkeits-entwicklung jedes Projektes gelegt wird.
  5. Schaffung zentraler Anlaufstellen.

Teilnehmer, welche die Bereiche Beschäftigung, soziale Angelegenheiten, Jugend und Bildungsverwaltung vertraten, sowie der private Wirtschaftssektor und Sozialpartner teilten eine große Bandbreite an Vorschlägen. Wir freuen uns auf eine engere Zusammenarbeit in der Zukunft, um Wege zu finden, mit denen wir die jungen Menschen, die am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernt sind, wirksamer erreichen können. Wir brauchen eine vielfältige Herausforderung und Partnerschaft als Schlüsselrezept für den Erfolg.

Prof. Skaidrīte Gūtmane, Rektor der lettischen christlichen Akademie

Pēteris Krīgers, Mitglied des EWSA (Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss), ehemaliger Vorsitzender des freien Gewerkschaftsverbandes (Lettland)