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"Wir sollten das als Anerkennung unserer Arbeit betrachten"

EZA-Präsident Luc Van den Brande kommentiert die Rede zur Lage der EU.

Luc Van den Brande

EZA: Luc, heute (16.09.2020) hielt die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ihre erste Rede zur Lage der Union. Sie sprach zunächst über die Rechte der Arbeitnehmer*innen und die Würde der Arbeit in Krisenzeiten. Was bedeutet das für die Rolle der Sozialpolitik?

Luc Van den Brande: Präsidentin von der Leyen sagte zu Recht, dass unsere Sozialsysteme der Motor unserer Wirtschaft und der Motor unserer Erholung von der Krise sind. Wir als EZA stimmen dem voll und ganz zu. EZA befürwortet eine Soziale Ökonomie auf der Grundlage des sozialen Dialogs. Wenn sie sich gleich zu Beginn ihrer Rede auf diesen Punkt konzentriert, zeigt das deutlich, wie wichtig Sozialpolitik und Arbeitnehmerrechte für die Zukunft der EU sind. Wir sollten das als Inspiration und als Anerkennung unserer Arbeit verstehen.

EZA: Sie erwähnte auch den Vorschlag der EU-Kommission, einen Rahmen für Mindestlöhne zu schaffen. Wie wichtig ist ein solcher Rahmen für die Arbeitnehmer*innen in der EU?

Luc Van den Brande: Ich denke, er ist ein entscheidendes Instrument, um die Ausbeutung von Arbeitnehmer*innen zu verhindern, während junge Menschen und Frauen am meisten gefährdet sind. Aber das müssen wir klug erreichen. Wie von der Leyen sagte, gibt es verschiedene Wege, wie wir zu Vereinbarungen kommen können. Sie sieht die Stärke in Tarifverhandlungen, aber auch in staatlichen Tarifverträgen. Wir können uns auf beide Wege einigen. Aber die Gewerkschaften stehen unter Druck, und in einigen Mitgliedstaaten werden die Sozialpartner vernachlässigt. Das Wichtigste ist, dass sich Arbeit für die Arbeitnehmer*innen auszahlt und einem menschenwürdigen Leben dient. Sie stärkt auch die Wirtschaft und die Beschäftigungsperspektive. Es bleibt noch viel zu tun für die Aufwärtskonvergenz

EZA: Von der Leyens zweites Versprechen ist wirtschaftliche und soziale Stabilität. Sie erwähnte sogar, dass wir dank unserer Sozialwirtschaft die Krise viel besser bewältigt haben als andere. Deiner Meinung nach: Ist das richtig? Und wenn ja, wie können wir das stärken?

Luc Van den Brande: Das ist vollkommen richtig. Natürlich gab es anfangs einige beunruhigende Herausforderungen, aber dennoch hat die Krise gezeigt, dass die europäischen Länder in Solidarität miteinander leben. Sie beweist auch, dass europäische Instrumente, wie die Kurzarbeit, massive Arbeitsplatzverluste verhindert haben, wie wir sie in anderen Teilen der Welt erlebt haben. Ich denke, Präsidentin von der Leyen hat nicht übertrieben, als sie sagte, dass wir sehr stolz auf unsere einzigartigen Errungenschaften wie das Next-Generation-EU-Programm oder den europäischen Green Deal sein können. Die Entscheidung, 750 Milliarden Euro für den Wiederaufbau von COVID -19 bereitzustellen, ist ein wichtiger Schritt hin zu fortgesetzter Solidarität, solange sie fair und unter Berücksichtigung der am stärksten von der Pandemie betroffenen Menschen umgesetzt wird.

EZA: Apropos Green Deal: Die Kommission will mehr als 37 Prozent des EU-Haushalts der nächsten Generation direkt in die Ziele des europäischen Green Deal und in einen gerechten Übergang investieren. Was bedeutet das für die Arbeitnehmer*innen?

Luc Van den Brande: Die Kommission will mehr als 37 Prozent des EU-Haushalts direkt in die Ziele des Green Deal investieren: Die EU will einen Weg finden, wie die Kohlenstoffemissionen bis 2030 um 55 Prozent gesenkt und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erhöht werden kann. Es scheint zunächst ein Paradoxon zu sein, aber wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir, dass es enorme Chancen und Möglichkeiten gibt - insbesondere für Arbeitnehmer*innen. Nehmen wir das Beispiel des Bausektors, das sie in ihrer Rede erwähnt hat. Wenn wir diesen riesigen Sektor mit innovativer Technologie von einem Kohlenstoffproduzenten in eine Kohlenstoffsenke verwandeln können, tragen wir nicht nur dazu bei, den Klimakollaps zu verhindern, sondern wir bieten Millionen von Menschen menschenwürdige Arbeitsplätze. Bis wir das erreichen, müssen wir sicherstellen, dass es einen gerechten, fairen Übergang für alle Regionen in Europa gibt.