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Kompetenzaufbau für Arbeitnehmerorganisationen im Baltikum

Vom 5.-7. Juni 2025 fand in Vilnius/Litauen ein internationales Seminar mit dem Titel „Kompetenzaufbau für Arbeitnehmerorganisationen im Baltikum“ statt. Das Seminar wurde von der litauischen Gewerkschaft Solidarumas in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen (EZA) organisiert und von der Europäischen Union finanziert. Am Seminar nahmen 70 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Litauen, Lettland, Polen, Albanien, den Niederlanden und Estland teil. 

Es begann mit einer Diskussion zum Thema „Die Umsetzung der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne und die Stärkung der Kompetenzen der Sozialpartner“. Inga Ruginienė, Mitglied des litauischen Parlaments Seimas und Ministerin für soziale Angelegenheiten und Arbeit, stellte die Aktionspläne der Regierung und ihres Ministeriums vor. Sie legte zudem die Fortschritte der Steuerreform dar. 

Dr. Vygantas Malinauskas, Dozent an der Fakultät für Rechtswissenschaften und Katholische Theologie der Vytautas-Magnus-Universität, hielt vor den Zuhörer:innen einen anregenden Vortrag mit dem Titel „Die Rolle von Arbeitnehmerorganisationen in der modernen Gesellschaft bei der Schaffung des Allgemeinwohls“, der sich auf die Bedeutung von Arbeitnehmerorganisationen bei der Schaffung des Allgemeinwohls konzentrierte.

Barbara Surdykowska, Expertin der polnischen Gewerkschaft Solidarność, Mitglied des Büros für Expert:innen, Dialog und Sozialpolitik sowie des Teams für Sozialpolitik, erzählte von den polnischen Erfahrungen beim Aufbau des sozialen Dialogs. Sie hielt einen Vortrag zum Thema „Sozialer Dialog in Regionen und Sektoren unter modernen, sich verändernden Bedingungen“. 

Nach der Kaffeepause moderierte Daiva Kvedaraitė, Generalsekretärin der litauischen Gewerkschaft Solidarumas, eine Diskussion mit dem Titel „Arbeitnehmer:innen in der sich verändernden Arbeitswelt von heute. Neue Beschäftigungsformen: Fernarbeit, Teilzeitarbeit, Selbstständigkeit, Arbeitszeiten, Digitalisierung“. 

Auf diese Diskussion folgte ein Vortrag zum Thema „Strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und neue Beschäftigungsformen“, der von Dr. Tadas Leončikas, Leiter der Abteilung Beschäftigung bei Eurofound, gehalten wurde. Der Referent hielt daran fest, dass in der Europäischen Union trotz des schnellen technologischen Fortschritts immer noch ein Arbeitskräftemangel herrscht.

R. Keršys, Vertreter des litauischen Ministeriums für soziale Sicherheit und Arbeit, erklärte, dass auch dann ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wenn eine Person Plattformarbeit ausführt. Robin van de Poll aus den Niederlanden, Direktor von Nehem International, hielt einen Vortrag mit dem Titel „Plattformarbeit als Beschäftigungsform: praktische Erfahrungen in den Niederlanden“. Er behauptete darin, dass die Anzahl der Personen, die in den Niederlanden selbstständig und auf Online-Plattformen tätig sind, in den letzten Jahren stark zugenommen hat und weiter wächst. 

In der Sitzung am Nachmittag fand eine Diskussion zum Thema „Interne Mobilität von Arbeitnehmer:innen als Mittel zur Bewältigung des Arbeitskräftemangels und von Beschäftigungsproblemen“ statt. Ramunė Grigienė, Beraterin der Abteilung für die Organisation von Maßnahmen bei der Arbeitsverwaltung des Ministeriums für soziale Sicherheit und Arbeit, stellte die Mobilitätsmaßnahmen vor, die vom Ministerium eingeführt worden sind, um die Arbeitslosigkeit in Regionen, in denen es keine Arbeitsplätze gibt, zu senken. Genauer gesagt, erhalten Arbeitnehmer:innen Zuschüsse, wenn sie in Städten einer Arbeit nachgehen, in denen ein Arbeitskräftemangel herrscht. 

Olga Pūkienė, stellvertretende Leiterin der Personalabteilung bei Vilniaus Paukštynas AB, und Ligita Maleckienė, Leiterin der Abteilung für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz bei Vilniaus Paukštynas AB, sprachen über die Vorteile, die staatlich unterstützte Mobilitätsmaßnahmen den Unternehmen und Arbeitnehmer:innen gebracht haben.

Während seines Vortrages stellte Robertas Encius, Vize-Präsident des litauischen Bauherrenverbandes, klar, dass die Mitglieder seines Verbandes derzeit ernsthaft über Pläne zum Abschluss von Tarifverträgen nachdenken. Florie Marini, Vorsitzende des Frauenforums SAUATT, der unabhängigen albanischen Gewerkschaft für Ernährung, Landwirtschaft, Handel und Tourismus, erzählte von den Erfahrungen ihrer Gewerkschaft beim Umgang mit saisonaler Beschäftigung in Albanien und von der Umschulung von Arbeitnehmer:innen mit dem Ziel, aus traditionellen Sektoren wie der Landwirtschaft und der Industrie in neue Berufe im Bereich der Dienstleistungen, des Tourismus, der grünen Ökonomie und in die Hochtechnologie-Sektoren zu wechseln sowie die Probleme im Zusammenhang mit der Mobilität, die sich aus den globalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ergeben, zu lindern.

Während der Abendsitzung gab es eine Diskussion mit dem Titel „Repräsentativität von Arbeitnehmerorganisationen. Warum ist das wichtig?“, die von Jovita Pretzsch, stellvertretende Vorsitzende der litauischen Gewerkschaft Solidarumas, moderiert wurde. An der Diskussion beteiligten sich Slavomir Adamczyk, Vertreter der polnischen Gewerkschaft Solidarność, Anna Bondare, Projektmanagerin beim lettischen freien Gewerkschaftsbund LBAS, und Maria Jeskova, Vertreterin des estnischen Gewerkschaftsbundes (EAKL), die über die bewährten Methoden und Probleme ihres jeweiligen Landes sprachen sowie über die Maßnahmen, die von den Gewerkschaften ergriffen wurden, um ihre Repräsentativität und die Vertretung ihrer Mitglieder auf nationaler, sektoraler und Unternehmensebene zu erhöhen.

Am Folgetag fand eine herausfordernde Diskussion zum Thema „Gewinnung und Organisation neuer Mitglieder. Erneuerung der Gewerkschaften und des sozialen Dialogs“ statt, die von Kristina Krupavičienė, Präsidentin der litauischen Gewerkschaft Solidarumas, moderiert wurde. 

Tomas Tomilinas, Mitglied des litauischen Parlaments Seimas, sprach über den Gesetzentwurf zum sozialen Dialog, den er während seiner vorherigen Amtszeit erarbeitet hatte. Er hörte sich verschiedene Vorschläge und Bemerkungen von den Seminarteilnehmer:innen an, beantwortete zahlreiche Fragen und versprach, die von den Gewerkschaften vorgebrachten Ansichten zu berücksichtigen, wenn es um die Verbesserung des Gesetzes zum sozialen Dialog und um die Verabschiedung weiterer Änderungen an arbeitsrechtlichen Gesetzen im litauischen Parlament Seimas geht. Lukas Čapas, Rechtsanwalt bei der litauischen Gewerkschaft Solidarumas, stellte die Änderungen am litauischen Arbeitsgesetzbuch vor.

Zusammenfassend wurden beim Seminar die folgenden Schlussfolgerungen gezogen und bekräftigt:

1. Eine anhaltende Schulung und Aufklärung von Arbeitnehmer:innen und ihrer organisatorischen Vertreter:innen zu den Veränderungen auf dem europäischen und nationalen Arbeitsmarkt sind notwendig.

2. Staatlich subventionierte Maßnahmen sind sehr wichtig, da sie dabei helfen, die Beschäftigungszahlen zu erhöhen. Sie sollen die Arbeitslosigkeit in Regionen ohne Arbeitsplätze reduzieren, indem Arbeitnehmer:innen Zuschüsse für Fahrten in Städte mit Arbeitskräftemangel erhalten. Einige Arbeitgeber:innen übernehmen selbst die Kosten für die Fahrten ihrer Arbeitnehmer:innen zur Arbeit.

3. Tarifverträge bieten sowohl für die Arbeitgeber:innen als auch für die Arbeitnehmer:innen Vorteile und verbessern die Leistungsfähigkeit der Unternehmen, da sie eine flexiblere Anwendung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen erlauben, als es im Arbeitsgesetzbuch geregelt ist. Tarifverträge verhindern eine nicht angemeldete Erwerbstätigkeit, insbesondere in der Baubranche.

4. Unterstützung für die Umsetzung der Richtlinie zur Verbesserung der Bedingungen für Plattformarbeiter:innen, die am 13. Oktober 2024 verabschiedet wurde, in nationales Recht ist notwendig.

Plattformarbeiter:innen genießen keinen Sozialschutz, obwohl diese Art von Tätigkeit für sie attraktiv ist, da sie es ihnen ermöglicht, ihre Arbeitszeit frei zu organisieren. Beim Seminar wurde jedoch festgestellt, dass es in Bezug auf Steuerzahlungen deutliche Unterschiede zwischen einheimischen und zugewanderten Arbeitnehmer:innen gibt.

5. In Europa sind zwischen 2000 und 2023 viele Arbeitnehmer:innen aus der Industrie und Landwirtschaft in den Dienstleistungssektor gewechselt. Trotz eines schnellen technologischen Fortschritts herrscht in der Europäischen Union immer noch ein Arbeitskräftemangel.

6. Es ist notwendig, nationale Arbeitsgesetze zum Verfahren für die Regulierung von Streiks zu ändern, den Schutz von Gewerkschaftsführer:innen zu stärken, den Abschluss von Tarifverträgen zu fördern und die Arbeits- und Vergütungsbedingungen von Arbeitnehmer:innen zu verbessern, wie es auch in der Mindestlohnrichtlinie geregelt ist.

7. Für die Tätigkeit von Arbeitnehmerorganisationen müssen gute Voraussetzungen geschaffen werden. Die Verabschiedung der jeweiligen Gesetze zur Förderung des sozialen Dialogs in den EU-Mitgliedsländern wird daher unterstützt. Die Verabschiedung dieser Gesetze würde die Vertretung von Arbeitnehmer:innen verbessern, Arbeitnehmerorganisationen stärken und ihre Mitgliederzahl erhöhen. Die Idee für ein derartiges Gesetz entstand aus einem Austausch von Erfahrungen mit der polnischen Gewerkschaft NSZZ Solidarnošč.