Vom 6. bis 8. Juli 2025 fand in Sofia / Bulgarien ein Seminar zum Thema „Jenseits der Krisen: ein starker sozialer Dialog für einen wirksameren Schutz der Arbeitnehmer:innen“ statt, das vom Gewerkschaftsbund PODKREPA in Zusammenarbeit mit EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde. Am Seminar nahmen 47 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Bulgarien, Deutschland, Belgien, Zypern, Frankreich, Serbien, Rumänien und Albanien teil.
Die Ziele des Seminars waren:
Erfassung der Herausforderungen, mit denen die Gewerkschaftsbewegung in Krisenzeiten und in Zeiten großer Unsicherheit konfrontiert ist, insbesondere im Bereich der Aufrechterhaltung eines wirksamen sozialen Dialogs.
Austausch zu spezifischen Initiativen, die auf eine größere Abdeckung durch Tarifverträge als bester Weg für hochwertige Arbeitsplätze und für den Wandel nicht nur der Arbeitsplätze, sondern der gesamten Gesellschaft ausgerichtet sind.
Erarbeitung von Maßnahmen zur Erneuerung der Gewerkschaften mit konkreten Hilfsmitteln zur Unterstützung der Organisation und zur Belebung des Geistes der Solidarität, damit jeglicher Angriff auf die erwerbstätige Bevölkerung und ihre Rechte abgewehrt werden kann.
Das zweitägige Arbeitsprogramm war folgendermaßen gegliedert:
- Eröffnungssitzung mit Begrüßungsansprachen und politischen Botschaften
- Grundsatzreden:
Bessere Arbeit für bessere Gesellschaften – Strategien der Gewerkschaften zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in Zeiten geopolitischer Turbulenzen und multipler Krisen.
Die EU-Mindestlohnrichtlinie und der europäische sektorale soziale Dialog.
- Vortrag der bulgarischen Gewerkschaftsführer:innen zur Einführung in das Thema: Sozialer Dialog und Tarifverhandlungen gegen Arbeitsplatzunsicherheit, Ungleichheit und Niedriglöhne.
- Expertenvortrag: Solidarität und kollektive Maßnahmen sind die wirkungsvollsten Möglichkeiten, um den Interessen der erwerbstätigen Menschen Gehör zu verschaffen und sie zu verteidigen.
- Zwei Podiumsdiskussionen mit nationalen Beiträgen: Sozialer Dialog in Zeiten des Wandels – die aktuelle Situation, Errungenschaften und Herausforderungen, Frage & Antwort-Runden.
- Runder Tisch zum Thema „Ein guter Arbeitsplatz besteht aus einer Mischung an wichtigen Zutaten“
- Expertenbeiträge:
Die Rolle der KI bei der Stärkung des sozialen Dialogs und der Arbeitsbefähigung.
Akademie zur Erneuerung der Gewerkschaften: Strategie des Europäischen Verbandes der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT).
- Denkfabrik-Podiumsdiskussion mit Meinungsaustausch zum Thema „Ausblick auf neue Gewerkschaftsstrategien“
- Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Schlussbemerkungen.
Die zentralen Ideen
In den vergangenen Jahren musste die EU eine Reihe von Krisen meistern. In diesen turbulenten Zeiten waren der soziale Dialog und die Sozialpolitik entscheidend für die Linderung der negativen Auswirkungen, indem sie nicht nur gefährdete Personen unterstützten, sondern auch die Wirtschaft stabilisierten. Um auch in der Zukunft eine Resilienz garantieren zu können, muss die EU weiterhin ihre sozialpolitischen Rahmenbedingungen stärken und sich an aufkommende Bedrohungen anpassen. Zusätzlich verschärft sich hauptsächlich aufgrund des Aufstiegs rechtsextremer politischer Bewegungen die Aushöhlung der Demokratie, einschließlich der Arbeitnehmerrechte. Neben diesen Angriffen auf die Grundsätze und Rechte hält auch die Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Arbeitgeber:innen an. Eine solche Situation ist offensichtlich nicht produktiv, sie erzeugt lediglich Armut, Angst, Spaltung und Hass. Logischerweise sind die Gewerkschaften verpflichtet, auf ähnliche Rückschritte bei sozialen und arbeitsrechtlichen Errungenschaften mit Einheit, Mut und Bestimmtheit zu reagieren. Die Zeiten verlangen von den Gewerkschaften, die volle Stärke der vereinten Arbeiterschaft zu demonstrieren, damit die Bedürfnisse der Arbeitnehmer:innen sichtbar werden und unmöglich ignoriert werden können.
Der Mehrwert des sozialen Dialogs ist hinreichend bewiesen – er ist ein Faktor, der die Gesellschaft stabilisiert und dabei hilft, Krisen zu überwinden. Ohne sozialen Dialog beginnen die Konflikte. Er ist der wichtigste Mechanismus, um Rechte am Arbeitsplatz nicht nur zu einer Formalität, sondern durchsetzbar zu machen. Um hervorzuheben, dass es sich beim Dialog und bei Verhandlungen um bilaterale Prozesse handelt, ist ein aktives Engagement erforderlich. Daher ist ein radikaler Wechsel in der Einstellung der Arbeitgeber:innen und Institutionen gegenüber dem sozialen Dialog notwendig. Der soziale Dialog sollte nicht mehr nur aus leeren und willkürlichen Konsultationen bestehen. Er muss zu einer konstanten Praxis des sinnvollen Austausches und Verständnisses werden. Ein Forum, in dem alle Meinungen und Interessen, darunter auch diejenigen der Arbeitnehmer:innen oder ihrer Vertreter:innen, berücksichtigt und respektiert werden. Denn ohne einen sinnvollen Dialog sind konkrete Ergebnisse für die erwerbstätigen Menschen nicht möglich.
Die Notwendigkeit für eine ständige Anpassung der Kompetenzen und Arbeitsplätze ist keine Frage des Wünschens oder Wählens mehr. In diesem Sinne geht es bei der Position der Gewerkschaften in Bezug auf Veränderungen im Bereich der Beschäftigung nicht nur um Änderungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch um den Aufbau eines festen Fundaments für sichere Arbeitsplätze, die auf Menschenwürde, Wohlbefinden und gemeinsamem Wohlstand basieren. Für die Gewerkschaften muss das feste Fundament eine ausgewogene Mischung aus politischen Instrumenten zur Unterstützung von Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie zusätzlich sorgfältig geplante Netze zur sozialen Sicherheit enthalten. Eine ähnliche Kombination aus einer gut geplanten Politik und gut geplanten Maßnahmen wird Investitionen in die richtigen Kompetenzen erlauben, um Chancen zu schaffen, nach denen auf dem Arbeitsmarkt ein Bedarf und ein Mangel besteht.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Der Kontext, in dem die Gewerkschaften agieren, ist schwierig – Wettbewerbsfähigkeit und Deregulierung stehen ganz oben auf der politischen Agenda. Die Gewerkschaften bleiben die einzigen Organisationen, die sich für die Verteidigung der Arbeitnehmer:innen einsetzen, die zunehmend von den Sorgen bezüglich der steigenden Unsicherheit und den steigenden Lebenshaltungskosten erfasst werden. Es ist an der Zeit, bei der Bewältigung der drängendsten Probleme der Arbeitswelt – Gleichstellung, existenzsichernde Löhne, Klimawandel, Regulierung der Plattformwirtschaft – Resilienz, Stärke und Anpassungsfähigkeit zu demonstrieren.
Der Sparkurs in der EU ist nachweislich sowohl sozial als auch wirtschaftlich gescheitert. Die Gewerkschaften haben lange seine schwerwiegenden Folgen für die erwerbstätigen Menschen betont. Um die multiplen Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen zu können, ist es für die Gewerkschaften wichtig, klare und ehrgeizige Prioritäten zur Förderung des Dialogs gegenüber einer Spaltung zu setzen. Zu diesen Prioritäten sollte die konstante Überwachung gehören, wie öffentliche Gelder verwendet werden. Es ist wichtig sicherzustellen, dass Unternehmen, die öffentliche Gelder erhalten, auch faire Löhne zahlen und Arbeitsplätze schaffen, anstatt die Gelder nur in die Konten der Anteilseigner fließen zu lassen. Das bedeutet, auch eine Überarbeitung der Steuervorschriften vorzuschlagen, um sicherzustellen, dass öffentliche Gelder an Organisationen gehen, die Arbeitnehmer- und gewerkschaftliche Rechte einhalten, die mit Gewerkschaften verhandeln und deren Arbeitnehmer:innen durch Tarifverträge abgedeckt sind.
Es ist höchste Zeit, sich der Dominanz der Arbeitgeber:innen gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer:innen und der bestehenden Ablehnung von Tarifverhandlungen direkt entgegenzustellen. Hier muss die Gewerkschaftsstrategie zeigen, wie veraltet die Idee der „Zerschlagung um jeden Preis“ ist, und die Möglichkeit des Aufbaus einer kooperativen Beziehung fördern. Denn dabei handelt es sich nicht nur um ein Instrument zur Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität für die Arbeitnehmer:innen, sondern es entwickelt auch einen Sinn für die Teilhabe unter den Arbeitnehmer:innen und hilft dabei, Streitigkeiten zu lösen. Es ist entscheidend, dass sich alle beteiligten Parteien einem konstruktiven Dialog verpflichten und zusammenarbeiten, um Lösungen entwickeln zu können, die den Interessen der Arbeitnehmer:innen, Arbeitgeber:innen und der Gesellschaft dienen.
Die rückläufigen Zahlen in Bezug auf die Mitgliedschaft in Gewerkschaften und auf die Abdeckung durch Tarifverhandlungen sind alarmierend. Daher müssen sich die Gewerkschaftsstrategien auf die Organisation, das Lernen am Arbeitsplatz und den Beschaffungsprozess als zentrale Antworten auf den Mitgliederrückgang konzentrieren. Hier ist die Organistionsagenda die zentrale Strategie – die Gewinnung neuer Mitglieder sollte sich auf die unterrepräsentierten Arbeitnehmer:innen und auf diejenigen konzentrieren, die in prekären Beschäftigungsformen tätig sind. Zusätzlich muss ein neuer, inklusiverer Ansatz verfolgt werden, um die Arbeitnehmer:innen zu befähigen, anstatt ihnen einfach nur zu „dienen“, indem eine Kultur des Aktivismus am Arbeitsplatz aufgebaut wird und die Arbeitnehmer:innen Kompetenzen an die Hand bekommen, um ihre organisatorische Stärke aufrechtzuerhalten.
Das mögliche Vorgehen zur Wiederbelebung der Gewerkschaften kann auch für eine größere Sichtbarkeit der positiven Ergebnisse aus dem sozialen Dialog über umfassende ansprechende Themen wie die Verbesserung der Kompetenzen, Menschenwürde und Inklusion werben. Dies wird positive Assoziationen verstärken und das Bewusstsein der Öffentlichkeit hinsichtlich der Kompetenz der Gewerkschaften bei der Lösung von Streitigkeiten am Arbeitsplatz, beim Finden von Kompromissen und bei der Linderung der negativen Auswirkungen aus den Krisenzeiten erhöhen.
Eine weitere Möglichkeit zur Gewinnung neuer Mitglieder ist die Umsetzung von Projekten zur Erhöhung der gewerkschaftlichen Kompetenz im Wirtschaftsbereich, bei Verhandlungen und bei der Unterstützung eines stärkeren Einsatzes neuer Technologien in der Kommunikation – sowohl mit Mitgliedern als auch mit der Gesellschaft. Zusätzlich müssen grundlegende Maßnahmen ergriffen und sich stärker auf die tatsächliche Situation am Arbeitsplatz konzentriert werden. So wird es möglich sein, direkt von den Schwierigkeiten der erwerbstätigen Menschen und den harten Umständen, mit denen sie zurechtkommen müssen, zu erfahren.
Es besteht eine chronische Unterinvestition in hochwertige Arbeitsplätze, in die Industriepolitik und in den öffentlichen Dienst. In diesem Sinne verlassen sich die Gewerkschaften nun sehr stark auf den Vorschlag der EU-Kommission für einen Fahrplan für hochwertige Arbeitsplätze. Dieser muss Gesetzesinitiativen, Investitionen und Maßnahmen enthalten, die notwendig sind, um hochwertige Arbeitsplätze in allen Sektoren und Regionen sicherzustellen. Darüber hinaus schlagen die Gewerkschaften vor, dass Indikatoren für hochwertige Arbeitsplätze ergänzt werden, um die Entwicklungen und die Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen zu überwachen.