Das EZA-Startseminar 2025 zum Thema „Wettbewerbsfähigkeit mit einer sozialen Dimension: Die Prioritäten der Arbeitnehmer:innen für die Zukunft Europas” fand vom 20. bis 21. November in Belgrad/Serbien statt. Rund 100 Expert:innen, Vertreter:innen von Gewerkschaften und anderen Arbeitnehmerorganisationen sowie Wissenschaftler:innen diskutierten darüber, wie Europa seine Wettbewerbsfähigkeit stärken und gleichzeitig die Arbeitnehmerrechte und die soziale Dimension der EU wahren kann. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit RS BOFOS (Republican Trade Union of Employees in Banks, Insurance Companies and other Financial Organizations of Serbia) organisiert und von der Europäischen Union finanziert.
Das Seminar startete mit einer klaren Aussage: Die Wettbewerbsfähigkeit steht wieder ganz oben auf der Agenda der EU, aber sie kann nicht losgelöst von der Frage des sozialen Zusammenhalts betrachtet werden.
EZA-Präsident Luc Van den Brande mahnte, dass Europa sein eigenes Modell nicht aufgeben darf: „Wettbewerbsfähigkeit ist kein Selbstzweck, sondern ein Weg zu nachhaltigem Wohlstand für alle.“ Das europäische Sozialmodell, das auf fairen Arbeitsbedingungen und sozialem Dialog aufbaut, bleibt ein strategischer Wettbewerbsvorteil und ist kein Hindernis.
Einleitung – Der EU-Kompass für Wettbewerbsfähigkeit
Im einleitenden Teil gab Marco Buti, Professor für wirtschafts- und währungspolitische Integration am Europäischen Hochschulinstitut (European University Institute – EUI) und ehemaliger Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen bei der Europäischen Kommission, Einblicke und betonte, dass Wettbewerbsfähigkeit nicht gleichbedeutend mit Deregulierung oder Kostensenkung sei, sondern für die Fähigkeit Europas stehe, in einer von den USA und China geprägten Welt technologisch und wirtschaftlich mitzuhalten. Der EU-Kompass für Wettbewerbsfähigkeit soll Investitionen fördern, den Binnenmarkt stärken und strategische Partnerschaften in den Bereichen Energie, Rohstoffe und Spitzentechnologien beschleunigen. Die Teilnehmenden erklärten jedoch, dass die Bedeutung der Arbeitsplatzqualität, der Arbeitnehmerbeteiligung und des sozialen Dialogs – wesentliche Säulen des europäischen Modells – im Kompass weiter unterbewertet würden. Dies bildete den Rahmen für die anschließende Debatte: Kann Europa Innovationen beschleunigen, ohne sein soziales Fundament zu schwächen?
Welche Art von Wettbewerbsfähigkeit für welche Art von Europa?
In den Wortmeldungen wurde angemerkt, dass Europa vermeiden müsse, eine falsche Entscheidung im Spannungsfeld zwischen „grünen Ambitionen” und „wirtschaftlichem Pragmatismus” zu treffen. Die eigentliche Herausforderung bestehe darin, kurzfristige Sachzwänge mit langfristigem Wandel in Einklang zu bringen.
Marija Bartl, Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität Amsterdam, argumentierte, dass Europas Wettbewerbsfähigkeit nicht durch die Absenkung der Arbeitsstandards wiederhergestellt werde. Sie forderte eine umfassendere „Vision von Wohlstand“, die auf dem Zugang zu Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, einer starken sozialen Infrastruktur und einem gemeinsamen Gefühl einer sicheren Zukunft basiert. Daten der EU-Agentur für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (EU-OSHA) belegen, dass unsichere Arbeitsplätze die EU 3,4% ihres BIP kosten, wohingegen jeder in die Arbeitssicherheit investierte Euro eine Rendite von 2,20 Euro bringt. Dies zeigt, dass sichere und gesunde Arbeitsplätze ein Motor für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit sind.
Die Innovationskluft schließen
Prof. Reinhilde Veugelers, Professorin für Managementökonomie, Strategie und Innovation an der KU Leuven, eröffnete die Podiumsdiskussion zu diesem Thema. Sie meinte, dass Europa Dekarbonisierung, Wachstum und sozialen Zusammenhalt nur dann in Einklang bringen könne, wenn es „seinen Innovationsmotor auf vollen Touren laufen ließe“. Europas seit langem bestehendes „Innovationsparadoxon“ – herausragende Forschung, aber schwache Umsetzung bis zur Serienreife – bleibt eine zentrale Herausforderung Clark Parsons sprach als Geschäftsführer des European Startup Network über die zentrale Rolle von Start-ups. Ihr Anteil am BIP der EU hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht, doch kleinteilige Regulierungssysteme behindern nach wie vor ihr Wachstum. Er betonte das Potenzial des 28. Regimes – eine EU-weit einheitliche Unternehmensform, die Startups die Expansion in ganz Europa vereinfacht.
Die Teilnehmenden sprachen auch darüber, wie die KI den Arbeitsmarkt verändert, wobei Arbeitnehmende mit mittlerer Qualifikation am stärksten betroffen sind. Algorithmische Transparenz, Datenschutz und rechtzeitige Qualifizierungsangebote wurden als Mindestvoraussetzungen für einen gerechten digitalen Wandel genannt.
Europas Zukunft gestalten: ESSR 2.0 als Pfeiler der Wettbewerbsfähigkeit
Kevin Flanagan, Direktor des St. Antony’s Centre, mahnte, dass Europa seine Wettbewerbsfähigkeit nicht durch höheren Druck, schlechtere psychische Gesundheit und Erwerbsarmut aufbauen könne. Zunehmend diktiere die Technologie das Entgelt und Arbeitstempo, insbesondere im Plattform- und Logistiksektor. Enrique Saludas, Kommunikationsreferent der spanischen Gewerkschaft USO, hob in seinem Beitrag hervor, dass der industrielle Wandel nur dann gelingen kann, wenn die Arbeitnehmenden voll einbezogen werden. Nach der Schließung des Nissan-Werks in Barcelona konnten 1.700 Arbeitnehmende dank jahrelanger Mobilisierung Beschäftigung in anderen Industrien finden – ein Beleg, wie wichtig Übergänge sind, die sowohl hochqualifizierte als auch breit gefächerte Industriearbeitsplätze schaffen. Srđa Keković, Generalsekretär des Bunds der Freien Gewerkschaften Montenegros, erklärte, dass die künftige Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR 2.0) ein Eckpfeiler der europäischen Wettbewerbsfähigkeit sein muss. Für die Länder des westlichen Balkans ist der EU-Kompass für Wettbewerbsfähigkeit eine große Chance – sofern die EU-Erweiterung voranschreitet, der soziale Dialog gestärkt wird und die Arbeitnehmenden Zugang zu hochwertigen Arbeitsplätzen, bezahlbarem Wohnraum und betrieblicher Mitbestimmung bekommen.
Fazit
In seiner Zusammenfassung stellte EZA-Co-Präsident Pier Giorgio Sciacqua das Seminar in das historische Kontinuum des europäischen Einigungsprozesses und erinnerte an Alcide De Gasperis Beschreibung Europas als „Zivilisation in Bewegung, die sich keine Pausen erlauben oder vor der Verantwortung zurückweichen darf“. Er erklärte, dass das Gleichgewicht zwischen Staat und Markt nicht mehr die zentrale Herausforderung sei, sondern das Gleichgewicht zwischen Mensch und Maschine. Digitale Systeme dürften die Arbeitnehmenden nicht auf Datensätze reduzieren. Unter Verweis auf Papst Leo XIV. forderte er: „Gestalten Sie die Regulierung der künstlichen Intelligenz, denn Technologie kann niemals ersetzen, was menschliche Beziehungen wirklich ausmacht.” Sciacqua schloss mit den Worten, dass Europas Wettbewerbsfähigkeit nur nachhaltig sein kann, wenn sie in der Menschenwürde, im sozialen Dialog und in einer ethischen Regulierung der Technologie verankert ist – Werte, für die sich EZA und andere Arbeitnehmerorganisationen seit langem einsetzen.