Vom 1. bis 2. Oktober 2025 fand in Tallin/Estland ein Seminar zum Thema „Ein europäischer sozialer Rahmen für die Aktivierung älterer Menschen – eine Antwort auf die Alterung der Bevölkerung in Europa“ statt, das von Europees Forum VZW mit der Unterstützung des EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde. 37 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Frankreich, Polen, Belgien, Serbien, Irland, Estland, Rumänien, Finnland, Albanien, Spanien, Portugal und Österreich nahmen am Seminar teil.
Bedeutung des Seminars
Die Alterung der europäischen Bevölkerung stellt eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft dar. Um auf die Zukunft vorbereitet zu sein, sind auf sozialer, wirtschaftlicher und finanzieller Ebene politische Maßnahmen und ein sozialer Dialog notwendig. Dies sollte allerdings mit Blick auf eine solidarische Gesellschaft, die Synergie zwischen den einzelnen Generationen, die Bekämpfung von Diskriminierung und auf soziale Wertschätzung geschehen.
Der demografische Wandel hat große Auswirkungen auf die Finanzen der EU-Mitgliedstaaten, vor allem auf die Finanzierung der sozialen Sicherheit. Sinkende Einnahmen aus Arbeitnehmerbeiträgen und steigende Kosten für die soziale Sicherheit und Gesundheitsversorgung machen Reformen notwendig und stellen nur einige der Probleme dar. Dies führt zu Diskussionen über eine Reform oder Anpassung der Rentensysteme in den Mitgliedstaaten.
Dabei handelt es sich um tiefgreifende und schwierige Diskussionen, die das Wohlbefinden und den Wohlstand eines großen Teils der Bevölkerung betreffen, nämlich die Arbeitnehmer:innen und Rentner:innen. Diese Reformen können die Identität – die Sozialgeschichte – des Sozialversicherungssystems eines Landes untergraben und dem eigentlichen Grund und der Notwendigkeit für dessen Schaffung widersprechen. Ignoriert man die Identität eines bestehenden nationalen Systems, führt dies häufig zu einem Verlust des öffentlichen Vertrauens und zu enormem Widerstand, so dass ein Scheitern der Reform (wie die Geschichte es zeigt) schon vorprogrammiert ist.
Die Einbeziehung der Bevölkerung über alle Generationen hinweg ist entscheidend, um Anpassungen und Reformen der sozialen Sicherheit und der Rentensysteme zu ermöglichen, ohne Identität und Vertrauen einbüßen zu müssen. Dies erfordert einen gründlichen dreigliedrigen sozialen Dialog und Tarifverhandlungen, bei denen die Allgemeingültigkeit, Solidarität, Angemessenheit, Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit des Systems sichergestellt werden müssen.
Themen
Während des Seminars wurde über internationale und europäische Maßnahmen im Kontext des demografischen Wandels und der alternden Bevölkerung gesprochen. Es wurden zudem EU-Maßnahmen und -Initiativen im Zusammenhang mit der alternden Bevölkerung thematisiert. Auf der anderen Seite bilden die IAO-Leitlinien in Bezug auf die Notwendigkeit für ausgewogene Sozialreformen, die mit den Sozialpartnern verhandelt werden, die Grundlage für nachhaltige Lösungen.
Aufmerksamkeit wurde auch der Entwicklung der sozialen Sicherheit, die auf die Sozialgeschichte und die spezifischen Bedürfnisse jedes einzelnen Landes zugeschnitten ist, gewidmet. Jedes System ist einzigartig und hat seine eigenen Schwerpunkte und Organisationen, so dass Reformen vom öffentlichen Vertrauen abhängen und der soziale Dialog eine entscheidende Rolle spielen kann.
Es wurden auch die Reformen der unterschiedlichen Rentensysteme innerhalb der EU besprochen, wobei der Fokus auf den Herausforderungen lag, mit denen sie jeweils zu kämpfen haben. Eine längere Lebensdauer erfordert auch eine längere Lebensarbeitszeit. Zukünftige Rentenreformen sollten sich daher mit den Herausforderungen der sozialen Nachhaltigkeit befassen. Was noch wichtiger ist: Lebenslaufbezogene Sozialprogramme, Bildungsmaßnahmen und eine Arbeitsmarktpolitik sind erforderlich, um die Lebensarbeitszeit von Anfang bis Ende zu unterstützen.
Die Aktivierung älterer Arbeitnehmer:innen und deren weitere Beschäftigung ist für die Erreichung eines finanziell nachhaltigen Rentensystems unerlässlich. Dies stellt eine sehr schwierige und einzigartige Herausforderung dar, die in Bezug auf die Arbeitsmarktpolitik, die Flexibilität im Rentensystem, praktikable Arbeitsbedingungen, eine lebenslange Karriereplanung, Ausbildungseinrichtungen, Bildung und die Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Arbeitnehmer:innen eine Zusammenarbeit aller Interessengruppen erfordert. Die Einbeziehung der Sozialpartner, Arbeitgeber:innen und Gewerkschaften ist unerlässlich, um ältere Arbeitnehmer:innen zu halten und einzustellen.
Allgemeine Schlussfolgerung
Die Sozialversicherungssysteme und vielmehr noch die Rentensysteme jedes einzelnen Landes sind einzigartig und nicht austauschbar, da sie auf den Besonderheiten dieses spezifischen Landes beruhen. Dies macht es unmöglich, sie durch ein allgemeingültiges System auszutauschen. Anpassungen sind als Reaktion auf den demografischen Wandel zwar notwendig, sie müssen jedoch innerhalb eines dreigliedrigen sozialen Dialogs erfolgen, der die Grundsätze der Allgemeingültigkeit, Solidarität, Angemessenheit, Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit des Systems wahrt. Auch Tarifverhandlungen sind unerlässlich, um ein System entwickeln zu können, das sich mit den finanziellen Herausforderungen befasst, während es gleichzeitig den Wohlstand und das Wohlbefinden der älteren Arbeitnehmer:innen und der Rentner:innen sicherstellt. Die Gewerkschaften müssen neben dem sozialen Dialog und den Tarifverhandlungen ebenfalls eine Rolle bei der Schaffung von nachhaltiger Arbeit, Gesundheit und Sicherheit, Wohlbefinden am Arbeitsplatz, Ausbildung und Unterstützung im Arbeitsumfeld spielen.
Schlussfolgerungen in Bezug auf ältere Arbeitnehmer:innen und die alternde Bevölkerung
• Die Gewerkschaften spielen bei der Reform der sozialen Sicherheit und der Rentensysteme eine entscheidende Rolle. Dies kann nur durch einen dreigliedrigen sozialen Dialog und Tarifverhandlungen erreicht werden.
• Die Reform der Rentensysteme muss sich mit den Geschlechterunterschieden, der Lohnstagnation, prekären Arbeitsverhältnissen sowie einer abnehmenden Beitragsbasis aufgrund von nicht-standardisierter Arbeit (selbstständige, freiberufliche, Plattformarbeit usw.) befassen.
• Welche Rolle spielt die legale Migration in der demografischen Diskussion?
• Die Einbeziehung sozialer Organisationen und von Gewerkschaften in den sozialen Dialog stärkt das Vertrauen.
• Voneinander lernen, aber dabei die eigene Kultur und Geschichte respektieren.
• Der Respekt des historischen Hintergrundes, des kulturellen Umfeldes und bestehender Beziehungen zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen ist eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg der Reformen.
• Die Herausforderung liegt in einer anhaltenden Analyse der demografischen und sozioökonomischen Entwicklungen, der Stärkung der Grundrenten mit einem Schutz für vulnerable Gruppen, der Fokussierung auf einer längeren Lebensarbeitszeit, der Berücksichtigung sozioökonomischer Unterschiede und der Konzentration auf eine lebenslange Beschäftigungsfähigkeit (Bildung, Gesundheitsvorsorge, Qualifikationen und Anpassung des Arbeitsplatzes).
• Die Einbeziehung und Beteiligung junger Menschen an diesem Prozess sind eine Möglichkeit, in die Zukunft, Solidarität und Nachhaltigkeit zu investieren.
• Die Lösungen liegen in der Aufhebung geschlechterspezifischer Unterschiede, in der Erhöhung der Beschäftigungsrate, der Migration und der Bildung. Diese Agenda liegt in der Verantwortung der Regierungen, Arbeitgeber:innen, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft.
• Die Qualität der Arbeit ist ein wesentlicher Faktor, die Menschen dazu zu motivieren, länger beschäftigt zu bleiben.
• Es ist wichtig, dass Antidiskriminierungsgesetze eingeführt und auch durchgesetzt werden.
• Auch ältere Arbeitnehmer:innen müssen Chancen erhalten und sie dann ergreifen, um ihre Fertigkeiten verbessern zu können, und so in der Lage sein, ihre Position im Unternehmen über einen längeren Zeitraum zu halten.