Die Arbeitswelt erlebt einen grundlegenden Wandel, der vom Vormarsch der Digitalisierung und durch das rasante Aufkommen der künstlichen Intelligenz (KI) angetrieben wird. Diese Entwicklungen gestalten ganze Branchen um, definieren Aufgabengebiete am Arbeitsplatz neu und verändern die ureigene Art der Arbeit und Arbeitnehmerrechte grundlegend.
Mehr als 60 Gewerkschaftsvertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Europa und darüber hinaus nahmen an einem zweitägigen Seminar mit dem Titel „Digitalisierung und künstliche Intelligenz: Welche Folgen haben sie für den Wert der Arbeit und die Rechte der Arbeitnehmer:innen?“ teil. Das Seminar fand vom 6.-8. Oktober 2025 in Porto, Portugal, statt und wurde von der Weltorganisation der Arbeitnehmer (WOW-Europe) in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen organisiert und von der Europäischen Union finanziert.
Es bot die einzigartige Gelegenheit, Klarheit über die tatsächlichen Folgen von KI zu erhalten, inspirierende Beispiele für erfolgreiche Navigationsstrategien kennenzulernen und konkrete Maßnahmen zum Schutz des Wertes von menschlicher Arbeit und der grundlegenden Arbeitnehmerrechte in diesem sich verändernden Umfeld zu ermitteln.
Zentrale Erkenntnisse von Expert:innen und Politiker:innen
Auf dem Seminar kamen unterschiedliche Referent:innen zu Wort, die über die Chancen, Gefahren und notwendigen Rahmen für eine verantwortungsvolle Regierungsführung für das Zeitalter der KI sprachen.
Das Seminar wurde mit einer wichtigen Videoansprache von Niels Flemming Hansen (EVP), dänisches Mitglied des Europäischen Parlaments, eröffnet, der betonte, wie wichtig es ist, sicherzustellen, dass sich die europäische Gesetzgebung – insbesondere die EU-Verordnung über künstliche Intelligenz – mit den tatsächlichen Folgen für die Arbeitnehmer:innen befasst und die Grundrechte schützt.
Evelyn Oberleitner, Geschäftsführerin & Mitgründerin bei ProcessONE (Österreich), stellte das Konzept der Automatisierung als richtungsweisende Neuerung vor und erläuterte ausführlich, was KI genau ist und welche unterschiedlichen Stufen der Automatisierung es gibt, die von der automatisierten E-Mail-Verarbeitung bis hin zur Rechnungsverwaltung reichen. Sie konzentrierte sich dabei auf die praktische Anwendung von KI und hob hervor, dass diese Technologie für „jedes Unternehmen“ bereits Realität ist.
Dr. Wouter Vandenabeele, Dozent an der Universität Utrecht (Niederlande), referierte zum Thema „Wer gestaltet die Zukunft der Arbeit im Zeitalter der KI? Ein Gleichgewicht zwischen Empowerment, Nachhaltigkeit und Demokratie.“ Er zeigte auf, wie generative künstliche Intelligenz zwar beispiellose digitale Fähigkeiten hervorbringt, aber auch eine Gefahr für die Beschäftigung und das Ökosystem des Arbeitsmarktes darstellt. Sein Fokus lag auf der Notwendigkeit zur Entwicklung und Förderung von Institutionen als Leitplanken im Umgang mit den Gefahren, die künstliche Intelligenz für die Demokratie und Nachhaltigkeit auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt.
Dr. Gerhard Bremm, Leiter der Abteilung für betriebliche Interessenvertretung in der österreichischen Arbeiterkammer (Österreich), blickte auf „Die zwei Seiten der KI-Medaille – Chancen und Gefahren für Arbeitnehmer:innen und das (inter)nationale Arbeitsrecht.“ Er nahm Bezug auf das Gesetz von Amara und erklärte: „Wir neigen dazu, die Auswirkungen einer Technologie kurzfristig zu über- und langfristig zu unterschätzen“. Er argumentierte, dass die grundlegende Frage lautet, ob KI einfach „nur“ ein Hilfsmittel oder doch eine Infrastruktur, eine Branche, eine Idee und eine Form der Machtausübung ist.
Arturo Quiñoa, Vize-Präsident der WOW und Generalsekretär von FELATRABS (Argentinien), lieferte „Eine lateinamerikanische Perspektive“ auf die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz. Er definierte KI als die Fähigkeit eines Systems, externe Daten zu interpretieren, daraus zu lernen und das Gelernte zu nutzen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Er äußerte Bedenken hinsichtlich generativer KI-Modelle wie ChatGPT und verwies auf Zuverlässigkeitsprobleme und das Phänomen der „Halluzinationen“, die es Nutzer:innen schwer machen, falsche und irreführende Informationen abzugrenzen.
Pedro Leão Aguiar, Geschäftsführer von iS – Intelligent Solutions Lda (Portugal), gewährte einen Branchenblick auf „Das Navigieren durch die digitale Wende: Der Einfluss von KI und menschenzentrierten Strategien im Sektor des Automobilhandels.“ Er sprach sowohl aus der Sicht der Kund:innen als auch aus der Sicht der Händler:innen ausführlich über die aktuelle Lage des Sektors. Er beendete seinen Vortrag damit, dass das Ziel der Implementierung von KI darin besteht, sie als Katalysator für einen ganzheitlichen Geschäftswandel zu nutzen, und dass die Zukunft denjenigen gehört, denen es gelingt, die Stärken von künstlicher Intelligenz mit den unersetzbaren menschlichen Elementen von Vertrauen, Fachwissen und persönlichen Beziehungen zu verbinden.
Janine Berg, leitende Ökonomin bei der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) (Schweiz), sprach über „Generative KI und Arbeitsplätze: Auswirkungen auf die Arbeitsquantität und -qualität.“ Sie widersprach dem Narrativ der „KI-Apokalypse“, indem sie betonte, dass der Kontakt mit KI nicht automatisch auch Auswirkungen nach sich zieht. Laut ihren Daten haben sechs Mal so viele Arbeitsplätze das Potenzial, „einen Wandel zu erleben“ als verloren zu gehen. Dieser Wandel erfordert jedoch eine verantwortungsvolle Regierungsführung, um ein positives Ergebnis sicherzustellen. Dazu gehören auch der Ansatz „Workers in the loop“, bei dem der Mensch Teil des automatisierten Prozesses ist und die Kontrolle behält. Er erfordert zudem Tarifverhandlungen und „rote Linien“ zum Schutz von Grundrechten.
Gestaltung der Zukunft: Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Das Seminar schloss mit einer Arbeit in Gruppen und einer internationalen Debatte am runden Tisch, die eine klare Strategie und eine Reihe von Empfehlungen für politische Entscheidungsträger:innen und die Sozialpartner hervorbrachten.
Der allgemeine Konsens lautete, dass künstliche Intelligenz nicht mehr aufzuhalten ist und in vielen Bereichen menschliche Fähigkeiten übertreffen wird. Laut dem Wunsch der Weltorganisation der Arbeitnehmer (WOW) werden Arbeitsplätze dadurch allerdings bereichert und nicht ersetzt. Der Weg nach vorn muss auf einem verstärkten Dialog zwischen den Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen basieren.
Die WOW unterstützt nachdrücklich die EU-Verordnung über künstliche Intelligenz in Bezug auf ihre Bemühungen, sicherzustellen, dass KI-Systeme sicher sind und die Grundrechte achten, da die Organisation ihren ausgewogenen und risikobasierten Ansatz anerkennt. Aufbauend auf dieser starken rechtlichen Grundlage setzt sich die WOW für legislative und gemeinsame Maßnahmen zur Sicherung der Menschenwürde und Kontrolle ein, die von drei Kernprinzipien geleitet werden:
Werteausrichtung: KI-Ziele müssen immer auf die menschlichen Werte ausgerichtet sein.
Menschenwürde: KI muss die Ideale von Menschenwürde, Rechten und Vielfalt respektieren.
Menschliche Kontrolle: Der Mensch muss wählen können, welche Entscheidungen er an die KI überträgt.
Sechs starke Empfehlungen
Um sicherzustellen, dass künstliche Intelligenz eine Bereicherung für die Arbeitsplätze darstellt, wurden den EU-Gesetzgebern, Mitgliedern des Europäischen Parlaments und nationalen Entscheidungsträger:innen die folgenden konkreten Empfehlungen gegeben:
Recht auf und Pflicht zu lebenslangem Lernen im Bereich KI: Die EU sollte einen speziellen, gesetzlich vorgeschriebenen und vollständig finanzierten KI-Weiterbildungsfonds für alle Arbeitnehmer:innen einrichten, um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer:innen künstliche Intelligenz vernünftig nutzen und ihre Ergebnisse kritisch bewerten können.
Stärkung von kritischem Denken als Verteidigung der Demokratie: Kritische Untersuchung digitaler Quellen, ethisches KI-Verständnis und Medienkompetenz müssen ein dauerhafter und obligatorischer Bestandteil in allen Bildungsstufen werden, um als beste Verteidigung gegen Falschinformationen und Manipulationen dienen zu können.
Gemeinsame Sicherheit und Investitionen in der Arbeitsmarktpolitik: Erarbeitung eines EU-Rahmens, der das Recht von Gewerkschaftsvertreter:innen stärkt, in den Entscheidungsgremien tatsächlichen Einfluss in Bezug auf KI nehmen zu können. Gleichzeitige Erhöhung der EU-Mittel für lebenslanges Lernen und den Aufbau einer stabilen sozialen Sicherheit für vorübergehend entlassene Arbeitnehmer:innen.
Gesetzliches Recht auf Information und Konsultation zum algorithmischen Management: Einführung einer Gesetzgebung, die die Arbeitgeber:innen dazu verpflichtet, Arbeitnehmervertreter:innen über die Einführung eines KI-Systems zur Überwachung, Bewertung oder Steuerung von Arbeitnehmerleistungen zu informieren und zu konsultieren.
Tarifverträge als Motor für eine Lernkultur: Politische und wirtschaftliche Anreize zu Tarifverträgen, um Bestimmungen für arbeitgeberfinanzierte, dauerhafte digitale Weiterbildungsprogramme zu berücksichtigen, damit Wissbegierde und eigenständiges Lernen als tatsächliche Arbeitszeit anerkannt werden.
Positive Einstellung gegenüber KI und Verantwortung für das psychosoziale Arbeitsumfeld: Aktualisierung von EU-Richtlinien zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, um sich speziell mit den psychosozialen Risiken zu befassen, die durch KI entstehen, wie eine erhöhte Arbeitsintensität und algorithmischer Leistungsdruck. Die Arbeitgeber:innen müssen dazu verpflichtet werden, in enger Zusammenarbeit mit den Vertreter:innen aus dem Arbeitsumfeld spezifische Risikobewertungen durchzuführen.