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Die Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR)

Ein Seminar zum Thema „Die Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR)“ fand vom 8. bis 11. Juni 2025 Leiria/Portugal statt. Es wurde von der LOC/MTC – Liga Operária Católica/Movimento de Trabalhadores Cristãos in Zusammenarbeit mit EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert. Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Portugal, Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien nahmen an dem Seminar teil.

Américo Monteiro dankte allen für die Unterstützung bei der Organisation des Seminars, begrüßte die Anwesenden und die zu den einzelnen Sitzungen eingeladenen RednerInnen. Er stellte das Thema, die Bedeutung der Debatte und das Seminarprogramm vor. 

In der ersten Sitzung, „Die europäische Säule sozialer Rechte, die Gegenwart und Zukunft der sozialen Rechte in Europa“, sprach François Martin-Chave, Mitglied der Jugendkommissionen des CFTC zur ESSR, erläuterte, was sie ist und dass sie darauf abzielt, den legitimen Bestrebungen der europäischen Arbeitnehmenden nach mehr Gerechtigkeit und Würde gerecht zu werden. Er betonte die Bedeutung der Ausbildung, des Konzepts des lebenslangen Lernens, der Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben und der besseren Verteilung der familiären Pflichten. Er hob das Ziel einer größeren Lohngleichheit, der Inklusion und der Solidarität, der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Entscheidungsfindung, des sozialen Dialogs, eines mit diesen Zielen verbundenen ökologischen Wandels und dass der technologische Fortschritt dem menschlichen Fortschritt dienen soll. Die ESSR sollte verbindlich sein und es sollte mehr Möglichkeiten zur Überwachung ihrer Umsetzung geben.

In der zweiten Sitzung zum Thema „Die Anwendung der 20 Grundsätze und Rechte der ESSR und ihrer 3 Kapitel" beschrieb Dr. Carla Murteira, Professorin an der Wirtschaftsfakultät der Universität Coimbra, in ihrer Analyse den Kontext, in dem die Säule entstand, die damals als Proklamation der europäischen Sozialrechte vorgestellt wurde, deren Erfolg jedoch bis heute nicht bewertet werden kann. Eine Abschwächung der neoliberalen Wirtschaftspolitik ist nur mit sozialpolitischen Maßnahmen möglich, und die Säule erreicht dies nicht. In Europa ist die Senkung der Arbeitskosten zur wesentlichen Achse für die Eindämmung der Sozialpolitik geworden. Eine ganze Ideologie der antisozialen Wirtschaftspolitik, ein Wirtschaftsmodell, das den Spielraum der Sozialpolitik einschränkt, sollte uns Sorgen machen. Der Gedanke des sozialen Schutzes, des Schutzes vor den Märkten, ist interessant, aber die ESSR wird dies nicht erreichen. Sie verweist auf ein „Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialschutz“, auf zu hohe Investitionen in das Humankapital und nicht in den Schutz des Einzelnen. Kollektive Rechte fehlen völlig, daher der Pessimismus.

In der dritten Sitzung fand eine Podiumsdiskussionzum Thema „Wie wird die europäische Säule sozialer Rechte gesehen, wie wurde sie bisweilen umgesetzt und welche Auswirkungen hat sie auf die Arbeits- und Sozialbeziehungen und auf das Leben der Arbeitnehmer“ statt. Wifried Wienen von der KAB Deutschlands sagte, dass es in Deutschland keine bekannte Initiative zur ESSR gibt, dass sie kein Thema ist. Sie wird nur von einigen wenigen Experten diskutiert. Der KAB ist besorgt über das Ausmaß an prekärer Beschäftigung und Arbeitnehmenden ohne feste Verträge in den Bereichen Produktvertrieb, Bestellungen, Kurierdienste und Lkw-Fahrer. Es wurden einige Sensibilisierungsmaßnahmen zu wichtigen Jahreszeiten, wie Weihnachten, usw. durchgeführt. Maria Del Mar der HOAC Spanien wies darauf hin, dass fast die Hälfte der spanischen Bevölkerung nicht genug verdient, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die soziale Ausgrenzung liegt bei über 25 %. Es gibt ein Wirtschaftswachstum, aber keine Verringerung der Armut. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, aber die Unsicherheit hat zugenommen. Es gibt positive Maßnahmen, aber sie sind unzureichend. Wie kommt es, dass es arme Menschen gibt, obwohl sie Arbeit haben? Es gibt viel Schattenwirtschaft, es gibt Menschen, die zusätzlich zu ihrer Arbeit arbeiten, um ihre Schwierigkeiten zu lindern. António Brandão Guedes - Base/Fut aus Portugal stellte Überlegungen zum Bericht über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz an. Er betonte, dass die Gesetzgebung in Portugal noch immer nur auf dem Papier stehe und dass diesem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Der Bericht, der von EZA-Mitgliedsorganisationen aus Portugal, Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland erstellt wurde, verweist auf die Zunahme von tödlichen Unfällen, Berufskrankheiten und psychischen Erkrankungen aufgrund der Arbeitsbedingungen. Das Problem ist umso schwerwiegender, als es keine angemessene soziale Absicherung gibt und die Unsicherheit und Not groß sind.

In der vierten Sitzung ging es um das Thema „Welche Wege lassen sich aus der konkreten Lebensrealität der Arbeitnehmer erkennen, um die sozialen und Lebensbedingungen in Europa zu verbessern? Werte und Herausforderungen, um sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird“. Rafael Allepuz Capdevila, Absolvent der Universität Barcelona und ACO-Aktivist in Spanien, begann seine Überlegungen mit der Feststellung, dass die Löhne nicht an die Menschen, sondern an die Arbeitsplätze gebunden sind, weshalb Frauen stärker diskriminiert werden, und den Kürzeren ziehen, weil sie in den am schlechtesten bezahlten Sektoren arbeiten. Es ist notwendig, die Steuerprogression zu erhöhen und nicht die Mehrwertsteuer, die die Armen benachteiligt. Die Lebenssituationen von Menschen mit Migrationshintergrund sind ähnlich denen von Frauen und Menschen über 55, die nicht mehr für eine Anstellung in Betracht kommen. Es gibt vier Achsen, die die Lebenswirklichkeit und ihre Folgen widerspiegeln: 1 - Beschäftigungsmöglichkeiten; 2 - Arbeitslose Bevölkerung; 3 - Strukturelle Arbeitslosigkeit; 4 - Langzeitarbeitslosigkeit. Einige der Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt: Europa ist ein Mosaik von Situationen, es fehlt ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital, es gibt viel Ungleichheit am Arbeitsplatz, die höchsten Löhne steigen stärker als die niedrigeren. In Spanien sind 11,6 % der Erwerbstätigen arm, obwohl sie von ihrem Lohn leben. Wir müssen die Ausbildung an die Bedürfnisse anpassen, die Schattenwirtschaft eindämmen, die Privatisierung der öffentlichen Dienste stoppen, den Sozialschutz verbessern, eine effiziente öffentliche Verwaltung erreichen, den Menschen in den Mittelpunkt stellen, zum Gemeinwohl beitragen, den sozialen Dialog und die Bürgerbeteiligung fördern.

Die fünfte Sitzung war Gruppenarbeit, organisiert in drei Gruppen, die koordiniert und in verschiedenen Sprachen arbeiteten, und zwar zu dem Thema „Die europäische Säule sozialer Rechte – Ihre Meinung und die Ihrer Mitgliedsorganisationen“. Jede der Gruppen befasste sich mit einem der folgenden Kapitel der ESSR: 1. Chancengleichheit; 2. Faire Arbeitsbedingungen; 3. Sozialer Schutz und Inklusion. Nach der Präsentation und der Diskussion im Rahmen des Seminars wurden verschiedene Aspekte hervorgehoben. Die Überlegungen wurden anschließend im Plenum vorgestellt, die verschiedenen Standpunkte wurden geklärt, einige Kompromisse aufgezeigt und beschlossen, die Arbeit in den verschiedenen Organisationen fortzusetzen und die Ergebnisse der Debatten zu verbreiten.