Vom 18. bis 20. September 2025 fand in Limonest / Frankreich ein Seminar statt zum Thema „Die Digitalisierung dient dem Menschen und nicht der Mensch der Digitalisierung! Die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen für die Frage der Arbeitssicherheit im digitalen Transformationsprozess“, organisiert von ECWM - EBCA - MTCE (European Christian Workers Movement), in Zusammenarbeit mit EZA und finanziert von der Europäischen Union.
45 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Österreich, Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, Tschechien, Luxemburg, Portugal und (also Gäste) aus der Schweiz) nahmen an dem Seminar teil.
Im Zentrum des Seminars stand die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung bzw. der Rolle der Arbeitnehmer:innenorganisationen für die Frage der Arbeitssicherheit im digitalen Transformationsprozess. Es wurde der Rahmen dafür geschaffen, dass die Teilnehmer:innen mit ihrer Expertise anhand konkreter Fragestellungen in Austausch gebracht werden konnten. Ein Beispiel dafür waren die bereits im Vorfeld eingeholten Videobeiträge aus diversen europäischen Ländern, in denen Arbeitnehmer:innen (von Leitungspersonen, Hausmeistern, Reinigungskräften über Sekretariatspersonal etc.) zur Bedeutung der Digitalisierung in der jeweiligen Arbeitswelt Aussagen treffen. Diese bildeten den Ausgangspunkt der Überlegungen und wurden durch die Erfahrungen der Teilnehmenden ergänzt. Prof. Pascal Marin von der Katholischen Universität Lyon (UCLY) referierte zum Thema „Herausforderungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz“. Er nahm auch mit folgenden weiteren Personen an der Podiumsdiskussion zum Thema „Die Digitalisierung im Dienste des Menschen im Kontext des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz“ teil: Joachim Kerer (Geschäftsführer der IT-Firma Kerer, Südtirol – Italien) und Marc Andreu Acebal (Mitglied des Verwaltungsrates der Gewerkschaft CCOO – Spanien). Die Vizepräsidentin der Metropole Lyon, Frau Émeline Baume, besuchte das Seminar und stellte den umfassenden Digitalisierungsprozess des Gemeinwesens Lyon dar und auch Maßnahmen zur Unterstützung der Bürger:innen in diesem Prozess.
Die Videobeiträge aus unterschiedlichen europäischen Ländern haben die Bandbreite der Relevanz der Digitalisierung in der Arbeit verdeutlicht. Die massive Beschleunigung und das Verschwimmen der Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem wurden dabei u.a. als besondere Spannungsfelder diagnostiziert. Die Erklärung und Einordnung der „KI“ aus philosophischer Perspektive entzauberte die Prozesse und unterstrich die wesentlichen gesellschaftlichen Grundfragen einer Anthropologie, die der Menschenwürde Rechnung trägt.
Ein besonderer Akzent auf das Thema wurde durch die thematischen Begegnungen in drei Einrichtungen gesetzt. Die Exkursionen zur Maison Sésame – einer Ausbildungsstätte, die Migrant:innen den Zugang zu IT-Tools ermöglicht – , zu CFDT – mit der Vorstellung von Maßnahmen der Gewerkschaft zu Fragen des Einsatzes digitaler Tools am Arbeitsplatz – und zur Métropole de Lyon – mit Einblick in die Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen – hat die Überlegungen durch konkrete Einblicke geerdet und diente zum Knüpfen eines solidarischen Netzwerkes.
All diese Anregungen wurden am Samstag in weiteren Arbeitsgruppen vertieft und flossen schließlich in die Abschlusserklärung ein, die hier angehängt wird.
Abschlusserklärung EBCA 2025
„Die Digitalisierung im Dienste des Menschen und nicht der Mensch im Dienste der Digitalisierung”
Wir, die Mitglieder der EBCA aus Deutschland, Österreich, Spanien, Frankreich, Italien, Portugal, der Tschechischen Republik und der Schweiz, sind in Lyon zu unserem Seminar zusammengekommen und beschäftigen uns mit den Auswirkungen digitaler Tools auf die Arbeit und das tägliche Leben der Menschen.
Wir stellen fest, dass diese digitalen Werkzeuge heute in allen Bereichen unseres Lebens unverzichtbar sind. Diese digitalen Werkzeuge erleichtern bestimmte Aufgaben und reduzieren bestimmte Wege. Sie können für viele Menschen, insbesondere für Arbeitnehmer, auch entmenschlichend sein. Bestimmte Personengruppen sind davon ausgeschlossen: ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, Migranten, Menschen in prekären Verhältnissen, Menschen ohne Internetzugang (weiße Flecken).
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind einem erhöhten Druck ausgesetzt:
• der Notwendigkeit, schnell zu reagieren, der Beschleunigung von Prozessen
• einer Hyperkontrolle der Arbeitnehmer durch die Arbeitgeber (totale Überwachung der Arbeitnehmer, beispielsweise bei Amazon)
• der Telearbeit, die manchmal entmenschlichend wirkt, da sie soziale Beziehungen unterbricht (Isolation)
• der Aufhebung der Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben.
Wir haben festgestellt, dass künstliche Intelligenz im Alltag und im Arbeitsleben immer mehr präsent ist.
Der Begriff „künstliche Intelligenz” ist illusorisch: Es handelt sich lediglich um eine Datensammlung, die menschliches Verhalten imitiert, aber nicht über kreative Fähigkeiten verfügt. Er lässt glauben, dass der Mensch durch Maschinen ersetzt werden könnte. Diese pseudo-„künstliche Intelligenz” verfügt weder über ein Bewusstsein noch über Handlungsfähigkeit. In diesem Sinne ist sie entmenschlichend und dient unter anderem multinationalen Konzernen als Instrument zur Ausbeutung und Beherrschung von Arbeitnehmern.
Multinationale Unternehmen und GAFAM[1] sammeln Daten und privatisieren sie zu wirtschaftlichen und politischen Zwecken (indem sie extreme Ideen verbreiten) in einem zügellosen Ultra-Kapitalismus: Die „Künstliche Intelligenz” garantiert ihnen eine Welt ohne Regulierung.
Diese Instrumente der „Künstlichen Intelligenz” haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt, sowohl in ökologischer Hinsicht (erforderliche Ressourcen und erheblicher Energieverbrauch) als auch in menschlicher Hinsicht (körperliche und geistige Gesundheit). Sie sind auch eine Quelle der Ausbeutung von Arbeitnehmern weltweit, die Daten erfassen oder die im Internet veröffentlichten Inhalte kontrollieren (die „Klickarbeiter”).
Dies zwingt uns zu einer „technokritischen” Haltung, die digitale Werkzeuge nicht ablehnt, sondern deren umsichtige Nutzung fordert.
Die Herausforderungen für unsere Bewegungen und für die EBCA sind zahlreich: Die Herausforderung besteht heute darin, über die gemeinsame Welt nachzudenken.
Wie können wir auf persönlicher und institutioneller Ebene handeln?
• durch den Schutz von Daten, die für kommerzielle Zwecke verwendet werden (z. B. die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auf europäischer Ebene
• durch die Begleitung und Sensibilisierung der Menschen in unserem Umfeld und in unseren Bewegungen
• durch Ausbildung und Volksbildung
• durch die Förderung des sozialen Dialogs und die Aufwertung gewerkschaftlicher Maßnahmen
• durch die Forderung nach Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union (2024/1760) über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit: Hergestellte oder importierte Produkte müssen soziale und ökologische Kriterien erfüllen
Wir sind wachsam, wenn es um die Verteidigung der Demokratie geht. Diese ist heute durch den Aufstieg von Populisten und Rechtsextremen bedroht, die soziale Netzwerke nutzen, um Falschmeldungen zu verbreiten.
Lokale Behörden, Verbände, Gewerkschaften und Institutionen haben bereits Maßnahmen ergriffen. Einige lehnen die Nutzung der von GAFAM angebotenen Tools ab und verwenden stattdessen freie Software, die ethisch vertretbarer ist.
Und was werden wir tun?
[1] GAFAM = Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft