Unter dem Titel „Arbeit und Wohnen - die Herausforderung leistbares Wohnen“ befasste sich die diesjährige Tagung von AFB (Arbeiter-, Freizeit- und Bildungsverein) und EZA am 29. und 30. Mai 2025 in Brixen (Italien) mit dem europaweit vordringlichen Problem der Wohnungsnot. Wohnbauexpert:innen sowie Vertreter:innen von Politik und Gewerkschaften sowie Sozialverbänden aus verschiedenen Ländern beleuchteten die Situation auf dem Wohnungsmarkt in einzelnen Ländern, die Entwicklung der Wohnbaupolitik und die sozialen Aspekte der Problematik. EU-Parlament (2021), Europäische Kommission (2023), die zuständigen Landesminister für die Wohnbaupolitik (Erklärung von Lüttich 2024) haben die Wohnungsnot und ihre Auswirkungen auf Beschäftigung, Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt in den politischen Fokus gerückt. Die einzelnen Mitgliedsstaaten wurden aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, damit das Recht der Menschen auf Wohnraum eingelöst wird, die akuten Probleme der Wohnungsnot behoben und erschwingliche Wohnlösungen für die verschiedenen Bevölkerungsschichten umgesetzt werden. Die Daten zum Wohnungsbedarf zeigen, dass einerseits Menschen mit geringem Einkommen, aber auch Arbeitnehmerhaushalte oder Selbständige aus der Mittelschicht aufgrund der Preisentwicklung nicht in der Lage sind, ihren Traum vom Eigenheim auf dem privaten Wohnungsmarkt zu finanzieren. Müssen sie mehr als 40% ihres Einkommens für die Miete aufbringen, so ist die Abdeckung der Lebenshaltungskosten gefährdet. Das Auseinanderdriften der Einkommenssituationen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen wird zu einem allenthalben spürbaren Problem für die soziale Kohäsion. Auf staatlicher und regionaler Ebene sind konsistente Wohnbauprogramme erforderlich, um die Preissteigerungen für den Kauf einer Wohnung einzudämmen und Bewegung in den blockierten Mietmarkt zu bringen.
An der Tagung nahmen über 70 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Südtirol/Italien, Deutschland, Österreich, Luxemburg, Tschechien und Belgien teil. Das Symposium wurde durch die Europäische Union finanziert.
Die Tagung hat gezeigt, dass drei zentrale Problemstellungen zeitgemäße Antworten benötigen. Die erste ist: die Einordnung des Wohnraumbedarfs. Expertinnen und Experten halten es für unumgänglich, von dem idealisierten Wunschbild des Eigenheims im Grünen für eine Familie mit zwei Kindern Abstand zu nehmen. In der Realität ist der Wohnungsbedarf sehr vielfältig. Die Größe der Familien und der Haushalte nimmt kontinuierlich ab. Die Wohnlösungen müssen unterschiedliche Anforderungen in den einzelnen Lebensabschnitten und ebenso die Entwicklung der Einkommenssituation berücksichtigen. Wichtige Variablen sind Arbeitsort und Arbeitskontext: Saisonniers im Gastgewerbe wohnen vielfach im Betrieb. Auch Pflegekräfte werden dort untergebracht, wo sie im Einsatz sind. In vielen Branchen ist zunehmend ein Mix mit Tagespendeln oder Wochenpendeln mit einzelnen Homeworkingfenstern anzutreffen. Mit einem Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe zur Wohnung gehen andere Anforderungen einher als beim täglichen Wechsel in Ballungsräume, wo Produktions- und Dienstleistungsunternehmen angesiedelt sind. Die Erwerbsbiografie junger Menschen ist gegenüber früher von häufigeren Arbeitswechseln und höherer Mobilität geprägt. Dieser Umstand und die Einordnung in niedrigere Einkommenskategorien erfordern flexiblere Wohnlösungen. Diese liegen hauptsächlich in einem Angebot erschwinglicher Mietwohnungen. Neue Wohnmodelle wie Co-Housing bzw. generationenübergreifendes Wohnen bringen Bewegung in den Wohnungsmarkt, indem sie von der einseitigen Ausrichtung auf den Bedarf junger Familien abrücken, und der Zunahme der Einzelhaushalte Rechnung tragen. Es ist angebracht, in der Wohnraumplanung auch Spielraum für die Erweiterung zugunsten der älteren Generation zu berücksichtigen. Angebracht sind zudem Angebote, um den Wechsel von einer größeren Wohnung in eine kleinere zu fördern, die auch deren steigenden Versorgungsbedarf abdeckt. Die letzthin wieder vermehrt ins Auge gefasste Errichtung von Arbeiterwohnungen ist nur eine Ad-hoc-Lösung, um den unmittelbaren Bedarf abzudecken. Zahlreiche Unternehmen haben diesbezüglich selbst die Initiative ergriffen, um damit die Unterbringung ihrer Mitarbeiter:innen zu gewährleisten. Außer Acht gelassen wird dabei, dass Arbeitsmigrant:innen in stabilen Beschäftigungsverhältnissen an einer dauerhaften Wohnlösung im Rahmen der Familienzusammenführung interessiert sind.
Das zweite Problemfeld ist die massive Veränderung der Nachfrage nach Wohnraum. Der Schwung in der Wohnraumbeschaffung, der die Jahrzehnte am Ende des vergangenen Jahrhunderts geprägt hatte, ist verloren gegangen. Das Phänomen der Migration bewirkte einen massiven Zuzug von Arbeitskräften, aber auch von Flüchtlingen und Asylwerber:innen. Das hat die soziale Zusammensetzung der Nachfragekomponente massiv verändert. Menschen, die aus Ländern mit weit geringerem Lebensstandard und Einkommensniveau kommen, um in den EU-Ländern zu arbeiten oder zumindest dort die Chance auf eine materiell abgesicherte Zukunft in Sicherheit sehen, weisen gegenüber der einheimischen Bevölkerung natürlich überproportional höhere Rechtsansprüche auf die Bereitstellung von Wohnraum auf. Dazu kommt die soziale Sprengkraft des massiven Zuzugs von Geflüchteten und Asylwerber:innen, die eine Unterkunft benötigen und in Inklusionsprogramme einzubinden sind. Diese Konstellation hat bewirkt, dass Staaten und Regionen zurückhaltender bei der Umsetzung von sozial ausgerichteten Wohnbaupolitiken sind. Diese werden beispielsweise auf sozialpolitisch unbedenkliche Zielgruppen wie den Mittelstand ausgerichtet, mit Voraussetzungen, die sozial Bedürftige nicht erfüllen, oder auf die lange Bank geschoben. Die Intervention der öffentlichen Hand beschränkt sich auf Veränderungen in der Wohnbaupolitik, indem generell urbanistische Regelwerke überarbeitet und an den Schrauben der Wohnbauförderung gedreht wird ohne auf die Marktdynamik im Wohnungssektor entscheidend Einfluss zu nehmen.
Ein weiteres Spannungsfeld ist das Lavieren zwischen dem Vertrauen darauf, dass der Wohnungsmarkt einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herstellt, und der gezielten Modulierung der öffentlichen Wohnbaupolitik. In einem blockierten Wohnungsmarkt mit geringem Angebot an Mietwohnungen, überhöhten Preisen und dem Konkurrenzdruck ausländischer Wohnungskäufer wird ohne signifikante Einflussnahme auf die relevanten Marktfaktoren einfach der Status quo fortgeschrieben. Das heißt, dass die Marktregel bestimmend bleibt, wonach bei stagnierendem oder schrumpfendem Angebot und gleichzeitig expandierender Nachfrage die Preise nicht zurückgehen, während die Gewinnspannen von Bauträgern, Spekulanten und Investoren weiter anwachsen. Mietzuschüsse sind in dieser Situation eine unverzichtbare Hilfestellung, um ein auskömmliches Wohnen für einkommensschwache Bevölkerungsschichten sicherzustellen. Sie sind allerdings mit dem Risiko verbunden, dass sie ihrerseits an der Preisspirale drehen.
Die Erfahrungen in den einzelnen Ländern zeigen, dass der Markt die Schaffung von leistbarem Wohnraum, vor allem für Niedriglohnempfänger und Menschen ohne Einkommen nicht als Aufgabe wahrnimmt. Es sind einzelne Marktakteure und vor allem öffentliche Einrichtungen und gemeinnützige Strukturen, die hier in die Bresche springen. Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe der Politik, den Auftrag und die Spielräume entsprechender Einrichtungen abzustützen, die aus einer sozialen Verantwortung heraus dem Gemeinwohl gegenüber dem Profit den Vorrang einräumen. Solche Akteure können die Gemeinden selbst oder von der öffentlichen Hand getragene Bauträger sein, aber auch private Stiftungen und Genossenschaften. Entsprechende Anreize könnten auch private Kapitaleigner für ein „social investment“ im Wohnungsmarkt mit geringerer Profitmarge sensibilisieren. Strategisch erweist es sich als hilfreich, wenn gemeinnützige Wohnbauträger aus der Nischenfunktion einer auf den Bedarf des Niedriglohnsektors und der Migrant:innen beschränkten Struktur herausgelöst und mit einem umfassenderen Wohnraumbeschaffungsauftrag ausgestattet werden. Das kommt der sozialen Durchmischung in den Wohnanlagen zugute und fördert die Akzeptanz als Wohnbauträger. Dank einer klugen Planung, der Vereinbarung von qualitativen Standards und der Nutzung ausgereifter bautechnischer Methoden können gemeinnützige Bauträger, wie auf der Tagung beispielhaft aufgezeigt wurde, kostengünstigere Wohnbauprojekte realisieren und in Abstimmung mit den Gemeinden sowohl für Kauf wie für die Miete günstigere Bedingungen aushandeln.
Zentrale Zielsetzung muss in jedem Fall sein, dass die errichteten Wohnungen dauerhaft eine gemeinnützige Bindung erhalten und somit ein marktrelevanter Prozentsatz für den Wohnungsbedarf der sozial Schwachen und des Mittelstandes in der Disposition der öffentlichen Hand sowie von gemeinnützigen Wohnbauträgern steht. Diese sind bei der ökokompatiblen Sanierung des Wohnbestandes und beim Umstieg auf umweltverträgliche Heiz- und Kühltechniken zu unterstützen. Die entsprechenden technischen Neuerungen sind für Wohnungseigentümer:innen und für Mieter:innen mit hohen Kosten verbunden, die die finanziellen Möglichkeiten von Normalverdiener:innen übersteigen. Die steuerfinanzierte Förderung des Baus energieneutraler Wohnungen sowie der energetischen Sanierung des Wohnungsbestandes benötigt deutlich mehr Schubkraft. Als Problem erweist sich dabei, dass auch rein spekulative Preissteigerungen an der Tagesordnung sind. Deshalb ist hier eine Kontrolle und Koordinierung durch die öffentliche Hand erforderlich.
In Großstädten hat sich der Ansatz bewährt, dass die öffentliche Hand massiv als Wohnbauträger auftritt. Damit ist es gelungen, einen größeren Anteil der Mietwohnungen der Profitlogik des Marktes zu entziehen und für breite Bevölkerungsschichten günstige Mietwohnungen anzubieten. Konsistente Wohnbauprojekte werden im Rahmen eines breiten Beteiligungsprozesses der Bevölkerung und der Marktakteure entwickelt, wobei die Aufteilung in Baulose dafür sorgt, dass nicht nur ein privater Bauträger zum Zug kommt. Insbesondere erweist es sich als vorteilhaft für die gemeinnützigen Ziele, wenn jeweils ein Budgetrahmen festgelegt wird, innerhalb diesem die einzelnen Bauträger in Konkurrenz gesetzt werden, qualitativ hochwertige Baulösungen anzubieten. Genossenschaften mit ungeteiltem Eigentum stellen das Wohnen von der privatrechtlichen Verfügbarkeit der Wohnungen auf eine neue Basis. Das Eigentum an der Wohnung bleibt nämlich bei der Genossenschaft, womit dieser dauerhafte Wohnraum für Mitglieder zur Verfügung hat, falls die Mieter den Vertrag kündigen.
Öffentliche Wohnbauprogramme benötigen längere Planungszeiten und erfordern das Zusammenwirken von Raumplanung, Ausweisung von Baugründen, privaten oder öffentlichen Bauträgern sowie Gemeinden. Bei der Vielfalt der Akteure stellt sich die Frage, wer dafür sorgt, dass die Planungs- und Entscheidungsprozesse zügig vorangebracht werden. Da und dort werden diese nämlich in den entsprechenden Gremien und in der öffentlichen Debatte durch Argumentationslinien eingebremst, die auf Leerstände und die Möglichkeiten der Bestandssanierung und der Nachverdichtung verweisen. Deshalb ist darauf zu achten, dass die entsprechenden Informationen frühzeitig in die Bedarfserfassung einfließen und als Planungsfaktor berücksichtigt werden.