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Stärkung von Kollektivverhandlungen zur Sicherstellung fairer und angemessener Mindestlöhne

Vom 22. bis 24. Mai 2024 fand in Larnaka / Zypern ein Seminar zum Thema „Stärkung von Kollektivverhandlungen zur Sicherstellung fairer und angemessener Mindestlöhne“ statt, das von KIKEA-DEOK (Zypriotisches Institut für Ausbildung/Bildung und Beschäftigung (KIKEA) – DEOK) in Zusammenarbeit mit dem EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde. Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Zypern, Griechenland, Italien, Rumänien, Bulgarien, Spanien und Belgien nahmen am Seminar teil.

Wichtige(r) Aspekt(e) des Seminars

Das Seminar bot den Gewerkschaftsführer:innen und anderen Arbeitnehmerorganisationen sowie Interessenvertreter:innen eine hervorragende Gelegenheit, zuzuhören, zu diskutieren und sich über Maßnahmen auszutauschen, die zur Unterstützung der Richtlinie ergriffen werden müssen. Die am Projekt teilnehmenden Gewerkschaftsführer:innen beschäftigten sich mit Vorträgen und Beobachtungen über die Umsetzung des Projektes in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Ein Vertreter der Europäischen Kommission stellte die Richtlinie und ihren Umsetzungsprozess vor. Das zypriotische Arbeitsministerium stellte zudem den Prozess der Einführung des Mindestlohns in Zypern vor. Der Arbeitgeberverband nahm teil und gab einen Überblick über die Umsetzung des Mindestlohns. Darüber hinaus konzentrierte sich das Seminar auf die Rolle des sozialen Dialogs und die Beratung, die stattfinden muss, bevor die nationalen Maßnahmen bis September 2024 umgesetzt werden können.

Bedeutung des Stattfindens des Seminars in diesem Zeitraum

Das Seminar fand in einer entscheidenden Phase vor dem Stichtag der Europäischen Kommission im September 2024 statt, an dem die Mitgliedstaaten die neuen Vorschriften einhalten müssen. Arbeitnehmer:innen und Gewerkschaften müssen vorbereitet sein und sich mit den Delegierten austauschen, um die Herausforderungen meistern und die Chancen nutzen zu können, die sich ihnen dadurch bieten. Das Seminar befasste sich mit zahlreichen sich überschneidenden Themen, die Arbeitnehmer:innen weltweit betreffen, von wirtschaftlicher Ungleichheit und der Erholung nach einer Pandemie bis hin zu Arbeitsrechten und sozialer Gerechtigkeit. Die Stärkung von Kollektivverhandlungen ist eine Schlüsselstrategie, um sicherzustellen, dass Arbeitnehmer:innen faire und angemessene Löhne erhalten, und trägt zu einer gerechteren und stabileren Gesellschaft bei.

Bereiche für Diskussionsthemen 

  • Europäische Säule der sozialen Rechte: Angemessene Mindestlöhne in der EU

  • Verständnis von Kollektivverhandlungen und Mindestlohn: Herausforderungen und Chancen

  • Gerechte und angemessene Mindestlöhne: Die Situation in den EU-Mitgliedstaaten und die Rolle der Gewerkschaften

  • Stärkung der Kollektivverhandlungen zur Gewährleistung fairer und angemessener Mindestlöhne: Die Rolle der Sozialpartner

  • Die Grundlage der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und von Kollektivverhandlungen

Ergebnisse

Der zypriotische Arbeitsminister stellte fest, dass es in Zypern schon immer eine dreigliedrige Zusammenarbeit gegeben hat und auch in Zukunft geben wird. Der Staat arbeitet in allen arbeitsrechtlichen Fragen eng mit den Gewerkschaften und den übrigen Sozialpartnern zusammen. Für die Regierung sind gesunde Beziehungen zwischen den Sozialpartnern sehr wichtig. Selbst wenn es in Zypern zu Konflikten kommt, gibt es das Arbeitsbeziehungsgesetz, eine Vereinbarung zwischen dem zypriotischen Arbeitgeber- und Industriellenverband, den Gewerkschaften und dem zypriotischen Ministerium für Arbeit und Sozialversicherung, in der Verfahren für die Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten ausführlich festgelegt sind.

Im Namen der Europäischen Kommission wies Christos Koulouteris darauf hin, dass der Mindestlohn in den meisten europäischen Ländern gesetzlich festgelegt ist und in einigen Ländern ausschließlich durch Tarifverträge geschützt wird. Zwischen den einzelnen europäischen Ländern gibt es allerdings große Unterschiede hinsichtlich der Höhe des Mindestlohns. Die Institution der Kollektivverhandlungen ist in den letzten zwei Jahrzehnten in vielen Ländern deutlich zurückgegangen. Die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union aus dem Jahr 2022 soll sicherstellen, dass die Arbeitnehmer:innen in der EU durch angemessene Mindestlöhne geschützt werden und ihnen einen angemessenen Lebensunterhalt ermöglichen, wo auch immer sie arbeiten. Die Herausforderungen bei der Institutionalisierung von Mindestlohnsystemen sind vielfältig. Die Richtlinie ist ein wichtiger Schritt zur Gewährleistung angemessener Arbeits- und Lebensbedingungen für Arbeitnehmer:innen in der EU und zum Aufbau fairer, widerstandsfähiger und integrativer Volkswirtschaften und Gesellschaften. Es ist eines der wichtigsten Ergebnisse des im März 2021 angenommenen Aktionsplans zur Europäischen Säule sozialer Rechte. Sie wird dazu beitragen, die auf dem Gipfel von Porto festgelegten Ziele der EU für 2030 zu erreichen, insbesondere die Ziele in Bezug auf die Beschäftigung (78 % der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren) und die Verringerung der Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen (mindestens 15 Millionen weniger).

Der Zweck des Mindestlohns besteht darin, Armut trotz Erwerbstätigkeit zu verhindern, d. h. eine Situation, in der die Löhne nicht ausreichen, um einen angemessenen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, und die Stabilität des Arbeitsmarktes zu gewährleisten, indem der Lohnwettbewerb begrenzt wird. Einerseits ist es für einige Gruppen von Arbeitnehmer:innen schwierig, Gewerkschaften zu gründen, auch der Mindestlohn schützt sie nicht, andererseits können Arbeitnehmer:innen, die eine Gewerkschaft gegründet haben, beschließen, dass sie keine Gewerkschaften brauchen, da sie ohnehin den Mindestlohn erhalten. Diese Arbeitnehmer:innen werden zu „Springer:innen“, die von den Maßnahmen der Gewerkschaften zur Aufrechterhaltung des Mindestlohns profitieren, ohne jedoch Beiträge zu zahlen oder die Gewerkschaftsbewegung politisch zu unterstützen.

Die Situation in den EU-Mitgliedstaaten und die Rolle der Gewerkschaften

Griechenland

In Griechenland sind der Mindestlohn und der tägliche Mindestlohn seit 2012 gesetzlich geregelt. Es wird darauf hingewiesen, dass Arbeitnehmer:innen, die den gesetzlichen Mindest- bzw. Tageslohn erhalten, der Zeitraum eines abhängigen Arbeitsvertrages oder Arbeitsverhältnisses bei einem beliebigen Arbeitgeber bzw. einer beliebigen Arbeitgeberin und in einer beliebigen Fachrichtung vor dem 14. Februar 2012 und nach dem 1. Januar 2024 als Vorerfahrung anerkannt wird. Für alle Arbeitnehmer:innen werden jedoch 12 Jahre Berufserfahrung nicht angerechnet, da dies der Zeitraum war, in dem das Land während der Finanzkrise von den Beschränkungen des Memorandums betroffen war. Griechenland belegt den achtschlechtesten Platz in der europäischen Rangliste, die die Höhe des Mindestlohns in Kaufkrafteinheiten vergleicht. Das Monatsgehalt in Griechenland erreicht 1.031 Kaufkrafteinheiten und liegt damit unter dem Mindestlohn von Ländern wie Rumänien, Kroatien, Litauen, Slowenien und Polen. Dieses wichtige Element wird im Analysebericht des GSEE-Arbeitsinstituts hervorgehoben, der sich auf den Vorschlag der Organisation bezieht, den Mindestlohn auf 908 Euro zu erhöhen. Die griechischen Gewerkschaften werfen auch die Frage des Rückstands Griechenlands bei Kollektivverhandlungen und Tarifverträgen auf. Nach der jüngsten Schätzung des Arbeitsinstituts wird der Prozentsatz der Arbeitnehmer:innen, die unter Tarifverträge fallen, im Jahr 2023 31 % erreichen. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die einschlägige EU-Richtlinie vorsieht, dass die Mitgliedstaaten unter Beteiligung der Sozialpartner einen Aktionsplan aufstellen, um den Prozentsatz der Kollektivverhandlungen auf mindestens 80 % zu erhöhen.

Belgien

In Belgien sind die Mindestlöhne nicht gesetzlich festgelegt. In einigen anderen Ländern werden die geltenden Mindestlöhne traditionell durch Tarifverträge festgelegt, die in paritätischen Ausschüssen (PC) oder Unterausschüssen (PSC) abgeschlossen werden. Die Tarifverträge enthalten Bestimmungen, in denen die allgemeinen Grundlagen für die Berechnung der Löhne nach unterschiedlichen Qualifikationen und Arbeitsniveaus festgelegt sind. Sieht der Branchentarifvertrag einen Mindestlohn vor, kann der individuelle Tarifvertrag keinen niedrigeren, wohl aber einen höheren Lohn festlegen. Das Lohnfindungssystem im privaten Sektor in Belgien ist im Wesentlichen vertraglich geregelt. Die Löhne in Belgien werden durch Tarifverträge und nach Wirtschaftszweigen festgelegt. Der erste Mindestlohn in Belgien wurde in den 1930er Jahren auf Initiative einer paritätischen Kommission, und zwar der Nationalen Paritätischen Kommission für Bergbau, eingeführt. Die Festlegung eines Mindestlohns wurde nach und nach von anderen paritätischen Kommissionen übernommen, aber einige Arbeitnehmer:innen fielen nicht unter eine paritätische Kommission und hatten daher keinen Anspruch auf den Mindestlohn. In der interprofessionellen Vereinbarung von 1973 stimmten die Arbeitgeberverbände der Forderung der Gewerkschaften zu, um die Autonomie der Sektoren zu wahren: „Die unterzeichnenden Parteien haben die Forderung der Gewerkschaften nach der Einführung eines garantierten monatlichen Mindestlohnsfür alle Arbeitnehmer:innen eingehend geprüft, um ihnen ein existenzsicherndes und soziales Minimum zu garantieren“.

Spanien

Im Jahr 2024 wurde der Mindestlohn in Spanien erhöht. Von dieser Erhöhung profitieren 2,5 Millionen Menschen und sie betrifft vor allem Frauen, junge Menschen, Arbeitnehmer:innen mit befristeten Verträgen, Beschäftigte in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor. Diese neue Mindestlohnerhöhung fällt in eine Zeit hoher Inflation, auch wenn sich der Preisanstieg in den letzten Monaten deutlich verlangsamt hat. Die Inflation lag im Januar bei 5,8 %, nachdem sie im Juli mit 10,8 % den höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen vor 38 Jahren erreicht hatte.

Rumänien

Seit dem Jahr 2000 wird der Mindestlohn unter Berücksichtigung des „monatlichen Grundverbrauchskorbs“ berechnet. Leider kam dieser Prozess 2004 zum Stillstand und führte zu einer Diskrepanz zwischen Lohnpolitik und Lebensstandard. Rumänien hat sich verpflichtet, bis 2024 seine Lohnfestsetzungsmechanismen zu überarbeiten, um einen Mindestlohn zu gewährleisten, der im Einklang mit der EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne dem Kaufkraft- und Produktivitätsniveau entspricht. Rumänien ist eines der ungleichsten Länder in der EU, was die niedrigen Mindestlöhne und die erheblichen geografischen Unterschiede betrifft. Darüber hinaus ist Rumänien das zweite EU-Land mit dem niedrigsten Mindestlohn. Etwa 28 % der Beschäftigten erhalten den Mindestlohn und 70 % weniger als den Mindestlohn.

Bulgarien

In der bulgarischen Wirtschaft ist fast 1/5 der Beschäftigten zum Mindestlohn beschäftigt. Über 2 Millionen Bulgar:innen arbeiten außerhalb des Landes – vielleicht der wettbewerbsfähigste Teil der bulgarischen Arbeitskräfte. Die im Ausland arbeitenden Bulgar:innen sind in der Tat hoch qualifiziert und erhalten Absicherungen auf dem ausländischen Arbeitsmarkt. Von 27 EU-Ländern liegt Bulgarien auf Platz 7 in Bezug auf die Qualität des Arbeitsplatzes. Die Bulgar:innen fühlen sich von ihren Kolleg:innen und ihrem Arbeitgeber bzw. ihrer Arbeitgeberin zwar besser unterstützt, aber liegen unter dem europäischen Durchschnitt bei den Lärmindikatoren am Arbeitsplatz und den Lernmöglichkeiten außerhalb des Arbeitsplatzes.

Die Rolle der Sozialpartner

Um die beste Politik für die Institutionalisierung eines angemessenen Mindestlohns entwerfen und erreichen zu können, müssen die Sozialpartner geeint und stark sein. In einer Zeit des digitalen Wandels gibt es viele Herausforderungen, die nur mit dem Willen aller Beteiligten bewältigt werden können. Die Organisationen der Sozialpartner müssen unterstützt werden. Mit dem Ziel, den Geltungsbereich von Kollektivverhandlungen zu erweitern und die Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zur Festlegung der Löhne und Gehälter zu erleichtern, unternehmen die Mitgliedstaaten unter Beteiligung der Sozialpartner im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Folgendes:

  • Sie fördern den Aufbau und die Stärkung der Fähigkeit der Sozialpartner, um sich an kollektiven Lohnverhandlungen zu beteiligen, insbesondere auf sektoraler oder sektorübergreifender Ebene.

  • Sie fördern konstruktive, sinnvolle und faktengestützte Lohnverhandlungen zwischen den Sozialpartnern zu gleichen Bedingungen, bei denen beide Parteien Zugang zu angemessenen Informationen haben, um ihre Aufgaben im Zusammenhang mit den Kollektivverhandlungen wahrzunehmen.

  • Sie ergreifen gegebenenfalls Maßnahmen, um die Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zur Festlegung der Löhne zu schützen und Arbeitnehmer:innen und Gewerkschaftsvertreter:innen vor diskriminierenden Handlungen zu bewahren, die gegen sie im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung aufgrund ihrer Teilnahme oder ihres Wunsches nach Tarifverhandlungen zur Festlegung der Löhne erfolgen.

  • Sie ergreifen im Hinblick auf die Förderung von Kollektivverhandlungen zur Festlegung der Löhne gegebenenfalls Maßnahmen, um Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die an Kollektivverhandlungen teilnehmen oder teilnehmen möchten, vor Einmischungen zwischen ihnen oder ihren Vertreter:innen oder Mitgliedern bei der Gründung, dem Betrieb oder der Verwaltung von Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden zu schützen.

Darüber hinaus schafft jeder Mitgliedstaat, in dem die tarifvertragliche Deckungsrate unter dem Schwellenwert von 80 % liegt, einen Rahmen, der die Bedingungen für Kollektivverhandlungen ermöglicht, entweder per Gesetz nach Anhörung der Sozialpartner oder durch eine Vereinbarung mit ihnen. Ein solcher Mitgliedstaat erstellt auch einen Aktionsplan zur Förderung von Kollektivverhandlungen. Der Mitgliedstaat erstellt einen Aktionsplan nach Anhörung der Sozialpartner oder nach einer Vereinbarung mit den Sozialpartnern oder nach einem gemeinsamen Antrag der Sozialpartner, wie zwischen den Sozialpartnern vereinbart. Der Aktionsplan enthält einen klaren Zeitplan und konkrete Maßnahmen zur schrittweisen Erhöhung des Deckungsgrads der Kollektivverhandlungen unter voller Wahrung der Autonomie der Sozialpartner.