EZA MAGAZINE
EZA PODCAST

KGZE 2024: Der Mensch im Mittelpunkt – die Vision eines europäischen Arbeitsmarktes ohne Barrieren und Ungleichheiten

Vom 6. bis 8. November 2024 fand in Luxemburg die 35. KGZE statt mit dem Titel „Der Mensch im Mittelpunkt – die Vision eines europäischen Arbeitsmarktes ohne Barrieren und Ungleichheiten“ statt, organisiert von ÖZA (Österreichisches Zentrum für Arbeitnehmerbildung), in Zusammenarbeit mit EZA und finanziert durch die Europäische Union.

Die Teilnehmer:innen waren Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Nordmazedonien, Österreich, Portugal, Rumänien, Serbien, Spanien und Ukraine.

In Vertretung für die Vorsitzende von ÖZA und FCG Österreich Mag. Romana Deckenbacher referierte Norbert Schnedl (ehem. Vorsitzender ÖZA und FCG Österreich): Norbert Schnedl betonte in seiner Eröffnung die Bedeutung des sozialen Dialogs, der Europäischen Säule sozialer Rechte und des Vertrags von Lissabon. Für ihn stehe die soziale Dimension im Mittelpunkt: Der Titel der Konferenz zeige, dass alle Arbeitnehmer der EU, unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht, gleiche Rechte haben sollten. Ziel sei es, Lohnunterschiede abzubauen und Arbeitsbedingungen in allen Mitgliedsstaaten anzugleichen – eine notwendige Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung und Globalisierung. Norbert Schnedl erklärte, dass die Vision ehrgeizig sei, man jedoch entschlossen sei, sich dafür einzusetzen und den sozialen Dialog in Europa kontinuierlich weiterzuentwickeln. Er warnte vor den einfachen Botschaften von links- und rechtsextremen Bewegungen und betonte die Notwendigkeit, auf Basis christlich-sozialer Grundwerte Lösungen zu finden. Er zitierte Jean-Claude Juncker: „Ein soziales Europa ist kein Traum, sondern eine Notwendigkeit.“ 

Der Vorsitzende des Luxemburger Christlichen Gewerkschafts-Bund LCGB Patrick Dury betonte, dass das Thema „Arbeitsmarkt ohne Barrieren“ perfekt zu Luxemburg passe, einem „Europa im Kleinen“. Luxemburg habe sich durch den Aufbau der Stahlindustrie von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland entwickelt, und viele Arbeitsmigranten aus verschiedenen europäischen Ländern seien dorthin gekommen. Dury erinnerte an den Streik der Gewerkschaften, als italienische Arbeiter zurückgeschickt werden sollten – ein Ereignis, das zur Gründung des LCGB führte. Er hob hervor, dass die Hälfte der Arbeitnehmer in Luxemburg Grenzgänger seien, was die Notwendigkeit eines barrierefreien Arbeitsmarktes unterstreiche. Die Integration funktioniere in Luxemburg dank einer starken Sozialpolitik und Mehrsprachigkeit. Herausforderungen wie Steuer- und Sozialversicherungsfragen seien jedoch nach wie vor präsent und erforderten Lösungen. Angesichts der aktuellen Grenzkontrollen, die zu Verzögerungen führen, forderte er eine kohärente Politik für die Großregion Luxemburg. 

Frederic de Wispelaere (Universität HIVA-KU Leuven) Referat: „Faire Arbeitsbedingungen und sozialer Schutz zwischen lokalen Arbeitnehmer:innen und mobilen Arbeitnehmer:innen innerhalb der EU“: Er hob hervor, dass Fairness im Wettbewerb im Hinblick auf das Thema der Konferenz von zentraler Bedeutung ist. Um gerechte Bedingungen zu schaffen, müssen alle betroffenen Akteure berücksichtigt werden, und es ist erforderlich, Arbeitsbedingungen und Löhne anzugleichen. Dabei stellt sich die Frage, wie Drittstaatsangehörige in diesen Prozess eingebunden werden sollten. Derzeit bestehen deutliche Ungleichheiten zwischen Arbeitnehmer innerhalb der EU, etwa bei Saisonarbeiterinnen. Es zeigt sich häufig eine Diskrepanz zwischen gesetzlicher Vorgabe und praktischer Umsetzung in den EU-Mitgliedstaaten, und alle Freiheiten des Binnenmarktes müssen dabei berücksichtigt werden. Ein großes Problem sind die erheblichen Lohnunterschiede innerhalb der EU: Daraus ergibt sich ein Risiko der Unterbezahlung, da manche Arbeitnehmer nicht nur weniger Lohn erhalten, sondern auch mehr Arbeitsstunden leisten und häufig keine Vergütung für Überstunden erhalten – eine Problematik, die auch für entsandte Arbeitnehmer unter der Entsenderichtlinie gilt. Herausforderungen bestehen ebenfalls bei der Besteuerung und Sozialversicherung. Besonders schwierig sind die Bedingungen für Arbeitnehmer, die in mehreren Ländern tätig sind und grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen, wie etwa LKW-Fahrer innen aus Polen und Litauen. De Wispelaere betonte die wichtige Rolle der Gewerkschaften, die durch Kooperation sowohl untereinander (wie im Rahmen der KGZE) als auch mit den Arbeitsinspektoraten dazu beitragen können, Löhne und Arbeitsbedingungen anzugleichen. 

Maria Helena Macedo vom LCGB sprach über die wirtschaftliche Entwicklung Luxemburgs und die Rolle der Stahlindustrie bei der Einwanderung. Sie schilderte die oft prekären Arbeitsbedingungen in den Anfangsjahren und erwähnte, wie die erste Einwanderungswelle aus Italien zur Gründung luxemburgischer Gewerkschaften führte. Sie zeigte die Situation von Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund in Luxemburg am Beispiel portugiesischer Kollegen auf. Sie hob die grenzüberschreitenden Möglichkeiten hervor, die der LCGB durch Doppelmitgliedschaften, etwa mit der CSC, fördert. 

Der Luxemburger Arbeitsminister Georges Mischo stellte die Frage, wie technologischer Fortschritt mit sozialer Sicherheit in Einklang gebracht werden könne. Die Abstimmung auf EU-Ebene sei entscheidend, und die EU-Mindestlohn-Richtlinie sei ein wichtiger Schritt. Er betonte, dass der soziale Dialog das Fundament für faire Arbeitsbedingungen und wirtschaftliche Entwicklung darstelle. 

Per Dyrholm von der Christlichen Gewerkschaft Dänemarks/KRIFA sprach das Problem an, wenn Arbeitnehmer zusätzliche Zahlungen erhalten, falls sie nicht in eine Gewerkschaft eintreten, und verwies auf Fälle in Dänemark und bei Firmen von Elon Musk. Er hob das Recht auf Gründung von Gewerkschaften und auf faire Arbeitsbedingungen als fundamentale Rechte hervor. Die EU müsse sicherstellen, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht diskriminiert würden (La Hulpe Declaration).

Manuela Vollmann von ABZ*AUSTRIA betonte, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit ein wichtiges Ziel sei und wies auf den Gender Pay Gap hin. Sie erklärte, dass Frauen zudem häufiger von Altersarmut betroffen seien, und benannte als Ursachen für den Gender Pay Gap traditionelle Geschlechterrollen, unflexible Arbeitszeitmodelle und eine ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Sie schlug Lösungen wie ein 30/30-Arbeitszeitmodell, das Recht auf Kinderbetreuung und die Einführung ganztägiger Schulmodelle vor, um eine gerechtere Verteilung der Arbeit zu erreichen. 

Yuriy Kurylo von VOST VOLYA, berichtete über die Situation in der Ukraine. Er beschrieb, dass der Angriffskrieg Russlands andauere und alle Bereiche des ukrainischen Lebens betroffen seien. Mit Blick auf das Arbeitsrecht und die Gewerkschaftsarbeit stellte er fest, dass derzeit Militärrecht gelte, was massive Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen habe. Beispielsweise könnten Arbeitnehmer ohne Zustimmung der Gewerkschaften entlassen, die Arbeitszeit könne von 40 auf 60 Stunden erhöht und Verträge für die Dauer des Kriegsrechts vorübergehend ausgesetzt und suspendiert werden. Die Gewerkschaften seien damit nicht einverstanden, hätten aber Verständnis für diese notwendigen Maßnahmen. Er betonte, dass nach dem Sieg über die Moskauer Invasoren das Verfassungsrecht in der Ukraine wiederhergestellt werde und dass die Gewerkschaft derzeit versuche, weiterhin Kollektivverträge abzuschließen, wo dies möglich sei. Wo dies nicht möglich ist, versuche sie, bilaterale Verträge abzuschließen - was in Kriegsgebieten allerdings unmöglich sei. Ziel sei ein Arbeitsrecht nach EU-Standard in der Ukraine. Im vergangenen Jahr konnten in Zusammenarbeit mit EZA und einer rumänischen Partnergewerkschaft Seminare durchgeführt und elf Aktivisten ausgebildet werden. Ein besonderer Fokus der Gewerkschaft VOST VOLYA liege auf Menschen mit Behinderungen, hier gehe es vor allem um Kriegsversehrte. 

Emil Antonov von der bulgarischen Gewerkschaft PODKREPA sprach von einem „brain drain“ in Bulgarien weil viele junge Bulgaren Arbeit im Ausland suchen und abwanderten. Ein wesentlicher Grund dafür seien die schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Verdienstmöglichkeiten in Bulgarien. Junge Bulgaren, die im Ausland studiert hätten, kämen in der Regel nicht zurück, es fehle an Aufstiegschancen, weshalb qualifizierte Fachkräfte in höher entwickelte Länder auswanderten, was aber auch Geringqualifizierte betreffe, etwa im Bausektor oder im Pflegebereich. Mit Blick auf die Geschichte Bulgariens schilderte er, dass nach 1989 auf dem Papier eine demokratische Fassade geschaffen worden sei, aber die zentralistische Denkweise der kommunistischen Zeit in den Institutionen und der Privatwirtschaft immer noch verankert wäre. Seit dem Ende des Kommunismus hätten ca. 2 Millionen Menschen Bulgarien im Zuge einer Abfolge unzähliger Krisen seit 1997 verlassen. Bulgarien habe derzeit das Problem einer sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit. Ein weiteres Problem bestehe mit Blick auf den Bildungsbereich und Minderheiten. Eine Statistik der Weltbank zeige, dass 25 % der Roma und Sinti (in Bulgarien) Analphabeten seien; diese arbeiteten deshalb oft im Bausektor. Mit Blick auf Bulgaren, die im Ausland arbeiten, bestehe das Problem, dass diese dort oft ausgebeutet würden, wenn sie die Landessprache nicht sprechen, d.h. ein großer Teil der Arbeit der bulgarischen Gewerkschaften sei die Rechtsberatung in solchen Fällen. 

Viorel Rotila (Dunarea De Jos University of Galati, Rumänien) sprach über Geschlechterungleichheit in Rumänien. In Rumänien gebe es viele Probleme in diesem Bereich. Es gebe viele gesetzliche Normen, aber auch viele Ungerechtigkeiten. Das liege daran, dass ein Unterschied zwischen Theorie (Gesetz) und Praxis bestehe. Die Gesetze seien gut, aber sie spiegelten sich nicht in der Mentalität der rumänischen Bevölkerung wider. Die Gesetze seien oft theoretisch und würden nicht umgesetzt, wenn dies die Gewerkschaften nicht immer wieder einforderten. Historisch gesehen sei es das Erbe des Kommunismus in Kombination mit dem Aufflammen eines religiös/orthodoxen Traditionalismus, der zu Geschlechterungleichheiten führe. Die rumänischen Gewerkschaften konzentrierten sich in erster Linie auf Löhne und nicht auf andere Faktoren. Bei der Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ könne Rumänien Erfolge vorweisen. Hier liege Rumänien nach Luxemburg auf Platz 2 in der EU, was auf die Aktivitäten der Gewerkschaften zurückzuführen sei. Das Ziel mit Blick auf das Thema der Konferenz sei ein inklusiver Arbeitsmarkt mit inklusiven Gewerkschaften. 

Mara Erdelj von der Gewerkschaft BOFOS, Serbien lieferte einen Tätigkeitsbericht ihrer Gewerkschaft mit einem besonderen Fokus auf Kampagnen. Sie lobte ausdrücklich den Charakter der KGZE, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und bedankte sich für die hervorragende Konferenz bei der FCG und LCGB. Sie betonte die Wichtigkeit der christlichen Werte wie Menschlichkeit im Rahmen des gemeinsamen EZA-Netzwerkes als Basis der Zusammenarbeit.