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Inklusion von Menschen mit Behinderung in das Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt – aktuelle Herausforderungen für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen

Vom 24. bis 27. Oktober 2024 fand in Lublin/Polen ein Seminar zum Thema „Inklusion von Menschen mit Behinderungen in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt – aktuelle Herausforderungen für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen“ statt, das von Europejski Dom Spotkań – Fundacja Nowy Staw in Zusammenarbeit mit dem EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde.

Am Seminar nahmen Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Polen, Spanien, Litauen, der Slowakei, Italien, der Ukraine, Bulgarien, der Tschechischen Republik und Frankreich teil, aber auch Vertreter:innen von Nichtregierungsorganisationen (NRO), wissenschaftlichen Einrichtungen, kommunalen Einrichtungen und Arbeitgeber:innen. 

Ziele

Schwerpunkt des Seminars war die Diskussion und der anschließende Austausch über bewährte Methoden, Meinungen und Ideen im Zusammenhang mit den Herausforderungen des heutigen Arbeitsmarktes und Bildungssystems für Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderungen. Besonderes Augenmerk wurde auf die facettenreiche Debatte über die Situation von Menschen mit Behinderungen gelegt: geistige, psychische und körperliche Behinderungen in den verschiedenen Phasen des Bildungs- und Berufslebens. Darüber hinaus wurde der Versuch unternommen, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen und Empfehlungen für die Zukunft zu formulieren. 

Die Vielfalt der Podiumsdiskussionen wurde durch die Teilnahme von Referent:innen ermöglicht, die verschiedene Bereiche des Arbeitsmarktes repräsentierten: Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Unternehmen und kommunale Einrichtungen. An den Podiumsdiskussionen nahmen Personen aus verschiedenen Teilen Europas teil, die sich mit den Problemen und Herausforderungen des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer:innen mit Behinderungen befassten. 

Dank der Teilnahme sowohl von Fachleuten, die tagtäglich im Bereich der Förderung von Menschen mit Behinderungen tätig sind, als auch von Arbeitsmarktforscher:innen ermöglichten unsere Podiumsdiskussionen den Austausch von Wissen sowie das Kennenlernen europäischer Methoden und boten Gelegenheit zur Diskussion und Vernetzung.

Die wichtigsten Themen

Während des Seminars konnten die Referent:innen und die Seminarteilnehmer:innen ihr Wissen und ihre Überlegungen zu verschiedenen Aspekten der Bildungs- und Berufssituation von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt folgendermaßen austauschen: 

-Die Schwierigkeiten bei der langfristigen Unterstützung von Menschen mit Behinderungen wurden aufgrund des Mangels an nachhaltiger Finanzierung erörtert – viele NRO können nur von Zuschuss zu Zuschuss planen. Gibt es keine Finanzierung, müssen Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen ausgesetzt werden. Dies bedeutet eine mangelnde Regelmäßigkeit der Maßnahmen trotz großer Nachfrage. Es wurde betont, dass systemische Lösungen erforderlich sind, um die Kontinuität einer solchen Unterstützung gewährleisten zu können.

-Die wichtige Rolle von NRO bei der Unterstützung eines Beschäftigungsverhältnisses wurde erörtert – auf der Konferenz wurden die Erfolge europäischer NRO bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen und bei der Bereitstellung von Bildungs- und Berufsförderungsmaßnahmen für diese Personengruppe vorgestellt.

-Ein wichtiger Aspekt der Diskussion auf anthropologischer Ebene war die Darstellung des Menschen als Subjekt der Arbeit (und nicht als Objekt), bei der die katholische Soziallehre zitiert wurde, in der die Menschenwürde hervorgehoben und betont wird. Zudem wurde die Notwendigkeit sozialer Solidarität zur Unterstützung von Menschen, die mit Behinderungen zu kämpfen haben, deutlich hervorgehoben.

-Es wurden bewährte Methoden für die Bereitstellung von Förderungsmaßnahmen für Menschen mit Behinderungen vorgestellt, die es wert sind, nachgeahmt und mit anderen geteilt zu werden. Die Perspektive von Arbeitgeber:innen, die täglich Menschen mit Behinderungen einstellen, sowie die Perspektive von Kolleg:innen und Freiwilligen, die diese Menschen unterstützen, wurden dargestellt.

-Die Herausforderungen, mit denen Arbeitgeber:innen bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen konfrontiert sind, wurden diskutiert.

-Diskussionsteilnehmer:innen von Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen, stellten die Maßnahmen ihrer jeweiligen Organisationen vor – einschließlich der Bereiche der gewerblichen Tätigkeit, in die sie Menschen mit Behinderungen einladen – und berichteten über ihre eigene Sichtweise der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen – die Schwierigkeiten, aber auch und vor allem die Art und Weise, wie sie ihre Mitarbeiter:innen führen und deren Talente und individuelles Potenzial entdecken.

-Es wurden Beispiele europäischer Unternehmen vorgestellt, die bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sehr erfolgreich sind und moderne Technologien einsetzen, um ihnen angemessene Arbeitsbedingungen zu bieten.

-Die wichtige Rolle der Digitalisierung bei der Anpassung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen, die bereits in vielen internationalen Unternehmen zu beobachten ist, wurde hervorgehoben.

-Die Rolle der Universitäten (Beispiele aus Spanien und Polen) bei der Unterstützung von Studierenden mit Behinderungen als Reaktion auf die immer noch bestehende Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Störungen wurde ebenfalls erörtert. Aus Spanien wurde ein Beispiel für Lösungen angeführt, bei dem ein Regierungsgesetz die Universitäten verpflichtet, ein Büro für Prävention und psychopädagogische Orientierung einzurichten, um das psychische Wohlbefinden der Studierenden zu fördern.

-Es wurden gesetzliche Regelungen in den einzelnen europäischen Ländern, die Arbeitgeber:innen die Verpflichtung auferlegen, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, aber auch bestimmte Vergünstigungen (z.B. Steuererleichterungen oder zusätzliche Mittel für die Anpassung des Arbeitsplatzes) vorsehen, diskutiert.

-Systemische Lösungen in den einzelnen Ländern – sowohl positive als auch erfolglose – wurden vorgestellt. Viele Diskussionsteilnehmer:innen betonten, dass es in ihren Ländern noch viel zu tun gibt, was Arbeitsgesetze und Ministerialverordnungen angeht, um Menschen mit Behinderungen wirksam und sinnvoll unterstützen zu können.

-Im Rahmen einer der Diskussionsrunden wurden die Ergebnisse eines Projekts der Nowy Staw-Stiftung präsentiert, das in Zusammenarbeit mit akademischen Mitarbeiter:innen der Maria Curie Skłodowska-Universität in Lublin durchgeführt wurde und den Titel „Programm zum Abbau von Stereotypen über Menschen mit Autismus“ trägt. Es wurden Stereotypen und Mythen über Menschen mit Autismus diskutiert, Tipps für die richtige Kommunikation mit Menschen mit Autismus gegeben und ein Profil dieser Menschen vorgestellt: die Eigenschaften, die sie bei der Arbeit an den Tag legen (viele positive Eigenschaften, wie Gewissenhaftigkeit, Loyalität, Ehrlichkeit und Kreativität). Darüber hinaus wurden die Besonderheiten ihrer sozialen Beziehungen, einschließlich ihres Arbeitsumfeldes, dargestellt. Empfehlungen für Arbeit und Bildung finden sich im vorliegenden Bericht unter der Überschrift „Empfehlungen“.

-Erörtert wurde zudem die Rolle der Gewerkschaften im Hinblick auf den Schutz der Rechte von Arbeitnehmer:innen mit Behinderungen bezüglich einer angemessenen Entlohnung sowie Arbeitsbedingungen und bezüglich der Grundsätze der diskriminierungsfreien Einstellung von Beschäftigten.

-Es wurde auch auf die Zunahme von Behinderungen in der Ukraine aufgrund des dortigen Krieges und der Verletzungen von Soldat:innen und Zivilist:innen eingegangen, die sich auf die Gesundheit auswirken und zu Behinderungen führen. Außerdem wurde dargelegt, was die Gewerkschaften in der Ukraine derzeit tun, um Kriegsopfern zu helfen.

-Es wurde hervorgehoben, wie wichtig es ist, das öffentliche Bewusstsein über die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen zu stärken.

Eine Auswahl der Schlussfolgerungen

-Das Bewusstsein der Arbeitgeber:innen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen ist nach wie vor schwach ausgeprägt.

-Sie haben das Potenzial von Menschen mit Behinderungen nicht im Blick – es wird mehr auf Unvollkommenheiten und gesundheitliche Probleme geachtet. 

-Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen bestehen nach wie vor und gelten auch für den Arbeitsmarkt.

-Unzureichende Vorbereitung der Arbeitgeber:innen selbst auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen – geistig, technisch, formal.

-Oft sind NRO und Freiwilligenarbeit den staatlichen Maßnahmen voraus.

-Es gibt auch immer noch viele Stereotypen, die mit geistigen Behinderungen in Verbindung gebracht werden – in vielen Gesellschaften gibt es nach wie vor Hemmungen vor dem Kontakt/der Kooperation mit Menschen mit geistigen Behinderungen.

-Der Dialog mit Menschen ist wichtig – sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre Bedürfnisse zu äußern und Entscheidungen zu treffen – Menschen mit Behinderungen sollten ein Gefühl der Einflussnahme und der Selbstbestimmung haben („Nichts über uns ohne uns“-Prinzip).

-Menschen mit Behinderungen sind ebenfalls sehr qualifizierte Arbeitskräfte – sie sollten die gleichen Beschäftigungsmöglichkeiten haben wie Menschen ohne Behinderungen; ihr Potenzial sollte genutzt werden.

-Beim Umgang mit Menschen mit Behinderungen ist es wichtig, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und mehrere Fachleute von Anfang an zusammenarbeiten zu lassen, um das Kind und seine Eltern zu unterstützen.

-Die Menschen mit Behinderungen, für die wir arbeiten, sollten als ursächliche, autonome Individuen und nicht als „unsere Mündel“ behandelt werden.

-Notwendigkeit des Zugangs zu Informationen für Menschen mit Behinderungen über Bildungs- und Berufsmöglichkeiten – Schaffung eines umfassenden Informationssystems auf nationaler, aber auch auf regionaler Ebene.

Empfehlungen:

-Es besteht die Notwendigkeit, Arbeitsplätze in der Sozialwirtschaft zu schaffen und diese Beschäftigung zu fördern.

-Es sollte gute und wirksame soziale Kampagnen bei den Arbeitgeber:innen geben, um sie dazu zu bewegen, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen.

-Notwendigkeit, angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen, um Menschen mit Behinderungen beschäftigen zu können – hier sind sowohl die Arbeitgeber:innen als auch die breite Gesellschaft aufzuklären und rechtliche Anpassungen vorzunehmen – z. B. durch zusätzliche finanzielle Unterstützung für Arbeitgeber:innen, damit sie ihre Arbeitsplätze entsprechend umrüsten können.

-Notwendigkeit einer systemischen Arbeit zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in ihrem Bildungsprozess: Arbeit mit Familien, Lehrkräften, Erzieher:innen, Gleichaltrigen – Notwendigkeit des Aufbaus inklusiver Gesellschaften.

-Gesetzliche Änderungen werden empfohlen, sind aber nicht die einzige Lösung – das Bewusstsein der Gesellschaft, insbesondere der Arbeitgeber:innen, muss durch geeignete Schulungen und Kampagnen zur Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen verändert werden.

-Die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Entscheidungen in Unternehmen, in denen sie beschäftigt sind, wird empfohlen.

-Auf der Grundlage der Forschung und Ergebnisse des Projekts „Programm zum Abbau von Stereotypen über Menschen mit Autismus“ empfehlen unsere Expert:innen die folgenden Lösungen:

In Bezug auf soziale Kampagnen – Förderung einer Politik der Chancengleichheit und des Bewusstseins, dass jede und jeder einen Platz in der Gesellschaft verdient; Entwicklung von Kampagnen mit Menschen mit Autismus (ein Film zur Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Autismus wurde ebenfalls im Rahmen dieses Projekts entwickelt); Ausweitung der Kampagnen insbesondere auf Arbeitgeber:innen.

In Bezug auf die berufliche Förderung – Praktikumsprogramme und: Anpassung der Arbeitsplätze (z. B. ruhige Räume), flexible Arbeitszeiten, Einsatz von Technologie, beschriebene, klare Verfahren, die zu befolgen sind, laufende Mentoring-Programme (einführende Person am Arbeitsplatz, verfügbar), Zugang zu Therapeut:innen und Psycholog:innen, Programme zur Unterstützung von Arbeitgeber:innen – Schulungen, Mittel für die Anpassung von Arbeitsplätzen; Unterstützung von Berufsberater:innen, die auf einem individualisierten Ansatz beruhen, Schulung von Arbeitgeber:innen, Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten und Unterstützung bei der Anpassung des Arbeitsplatzes.

-Eine der Empfehlungen ist auch die Vereinheitlichung der Unterstützung und des Angebots für Menschen mit Behinderungen in der gesamten Europäischen Union – die Einführung einheitlicher Gesetze im Bezug auf Bildung auf allen Ebenen und auf Beschäftigung.

-Die Vielfalt der Behinderungen (einschließlich geistiger Behinderungen) sollte bei Maßnahmen und Regelungen berücksichtigt werden.

-Das Bildungssystem sollte integriert werden: Schule – Krankenhaus – Zuhause.