Das internationale Seminar zum Thema „Förderung von Sozial- und Arbeitnehmerrechten: Fundament für die Zukunft des Wohlfahrtsstaates“ fand am 14. und 15. Februar 2025 in Vila Nova de Gaia / Portugal statt und wurde von CFTL (Centro de Formação e Tempos Livres) organisiert. Am Seminar nahmen 50 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Portugal, Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland und Albanien teil. Das Seminar wurde von der Europäischen Union finanziert.
Die Veranstaltung fand so statt, wie sie in ihrem Programm geplant und festgelegt worden war, und wurde von Catarina Trigo, Vertreterin des IAO-Büros in Lissabon, Piergiorgio Sciacqua, Co-Präsident des EZA, und Paulo Caetano, Präsident des Zentrums für Ausbildung und Freizeit (CFTL), eröffnet.
Eröffnungssitzung
An der Eröffnungssitzung nahmen Paulo Caetano, Präsident von CFTL, Piergiorgio Sciacqua, Co-Präsident des EZA, und Catarina Trigo, Expertin des IAO-Büros in Lissabon, teil. Nach der Begrüßung aller Teilnehmer:innen gab Paulo Caetano einen Überblick über die Bedeutung der Förderung von Grundrechten im aktuellen globalen und europäischen Kontext. Er betonte die Wichtigkeit widerstandsfähiger Gewerkschaften und aktiver Tarifverhandlungen zur Stärkung des sozialen Dialogs und menschenwürdiger Arbeit.
Catarina Trigo gratulierte den Organisator:innen zur Aktualität des Themas, berief sich auf die historische Rolle der Organisation bei der Förderung von Arbeitnehmerrechten und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, Arbeitnehmer:innen im Kontext einer Wirtschaft, in der sich Ungleichheiten entwickeln, zu schützen. Sie betonte die Wichtigkeit des Schutzes von Arbeitnehmer:innen in der heutigen Zeit, insbesondere im Hinblick auf atypische Beschäftigung und Prekarität. Sie erinnerte zudem an die lange Geschichte der Zusammenarbeit zwischen der IAO und Portugal.
Piergiorgio Sciacqua bedauerte, dass die Debatte über soziale Gerechtigkeit und das Gemeinwohl von vielen Menschen und vielen Institutionen bei der Diskussion außen vor gelassen worden ist. Er erinnerte an die Gefahren für die Demokratie und das Aufkommen des Populismus, aber auch an Kriege und Herausforderungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz. Er wies darauf hin, dass die EU die Einwanderungspolitik überdenken muss und die europäische Säule sozialer Rechte dabei nicht vergessen darf.
PODIUMSDISKUSSION I – „Arbeitnehmerrechte: Wie können wir verhindern, dass Arbeit als Ware behandelt wird?“
Manuel Carvalho da Silva, Koordinator von CoLABOR, einem portugiesischen kollaborativen Labor für Arbeit, Beschäftigung und soziale Sicherung, war der erste Referent dieser Podiumsdiskussion. Es ist an der Zeit, die Erklärung von Philadelphia aus dem Jahr 1944 wiederaufzugreifen, in der die IAO einmal mehr bekräftigt, dass Arbeit keine Ware ist. Die IAO ist nach wie vor eine wichtige Institution bei der Bekämpfung von Gewalt am Arbeitsplatz und verleiht der sozialen Dimension Gewicht. In gleicher Weise erinnerte er an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Schaffung des Arbeitsrechts, was dazu führt, dass eine Arbeitnehmervertretung und Tarifverhandlungen als zentrale Elemente eines modernen demokratischen Staates ausgeübt werden. Ausgehend davon stellte der Referent eine Reihe hochaktueller Fragen. Diese reichten von der Richtung wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte und der Notwendigkeit, auf diese Herausforderungen vorbereitet zu sein, bis hin zur Finanzialisierung der Wirtschaft, die nicht auf die Probleme der Menschen eingeht, hin zu öffentlichen Maßnahmen wie Bildung und berufliche Qualifikationen, und hin zur Bildung und Verteilung von Wohlstand sowie Dekarbonisierung der Wirtschaft. Bei all diesen Fragen liegen die Antworten in der Diskussion über den Arbeitsort und die Arbeitsbedingungen. Für den Referenten kann Arbeit nicht als Geschäft behandelt werden, und im neuen Zeitalter, auf das wir uns zubewegen, wird es eine neue Verpflichtung geben müssen, damit Arbeit keine bloße Ware ist. Die neue internationale Arbeitsteilung kann aus sozialer Sicht nicht regressiv sein. Der Referent schloss seinen Vortrag, indem er vorschlug, für menschenwürdige Arbeit und gegen die Entfremdung von Arbeit und Konsum zu kämpfen. Darüber hinaus sollten wir eine kritische Haltung gegenüber semantischer Manipulation, der Nutzung von irreführenden Begriffen wie Mitarbeiter:innen anstatt Arbeitnehmer:innen und gegenüber der Verteidigung der Systeme der kollektiven Beziehungen einnehmen. Sein Vorschlag beinhaltete auch eine Wiederbelebung von Gewerkschaftsorganisationen und die Wichtigkeit eines Lebens jenseits der Arbeit.
Jairo Gonzalo Rivero, Technischer Beauftragter beim Internationalen Sekretariat für nachhaltige Entwicklung (USO – Spanien), war der zweite Referent dieser Podiumsdiskussion. Er begann seinen Vortrag mit der Aussage, dass Arbeit nicht einfach ein Produkt ist, das wie eine Ware ausgetauscht werden kann. Prekarität und die Untervergabe von Aufträgen verstärken jedoch den Charakter der Arbeit als Ware. Die europäische Säule sozialer Rechte ist ein wichtiges Instrument, das nicht vergessen werden darf und das dabei helfen kann, dass Arbeit weniger als Ware behandelt wird. Daher werden Gewerkschaften die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente in den Debatten zu Regulierung und Standardisierung, zum gerechten und digitalen Wandel nutzen müssen. Sie müssen sich an den großen Fragen beteiligen und Lobbyarbeit betreiben. Sie werden sich insbesondere an der Debatte über den Draghi-Bericht beteiligen müssen, und zwar aus der Perspektive, dass Wettbewerbsfähigkeit nicht das „Trojanische Pferd“ für Sozialabbau sein darf.
PODIUMSDISKUSSION II – „Die Säule sozialer Rechte der EU: Bestandsaufnahme nach acht Jahren Erfahrung“
Für Carlos Morais Pires, politischer Berater der Vertretung der Europäischen Kommission in Portugal, kann die Debatte über Wettbewerbsfähigkeit und Geopolitik nicht von der sozialen Säule getrennt werden. Diese Angelegenheit ist sehr aktuell, wenn es um die Debatte über den Draghi-Bericht und Investitionen in die Verteidigung geht. Dem Referenten zufolge wird die EU wettbewerbsfähig sein müssen, um mit einer konvergenten Entwicklung sozial sein zu können. Die europäische Säule sozialer Rechte muss auch mit dem digitalen und grünen Wandel zusammenlaufen. Auch wenn wir nicht wissen, wie die Zukunft aussehen wird, glaubt Carlos Morais Pires, dass starke Investitionen in die Innovations- und Bildungspolitik, eine gute Integration von Einwanderer:innen, Wohnraum und Gesundheit erforderlich sind. Als entscheidende Punkte hob der Referent die Tatsache hervor, dass die europäische Säule sozialer Rechte vom Umfang nationaler und regionaler Souveränität und von der Freiwilligkeit jedes Landes abhängig ist. Auf der anderen Seite ist auch eine starke Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger:innen notwendig, um sicherzustellen, dass die Säule im aktuellen globalen und europäischen Kontext nicht vergessen wird.
François Martin-Chave, Mitglied der Jugendausschüsse des französischen Verbandes christlicher Arbeitnehmer:innen und IT-Berater mit Spezialisierung auf agile Arbeitsmethoden und künstliche Intelligenz, war der zweite Referent, der eine kritische Bewertung der europäischen Säule sozialer Recht aus acht Jahren anstellte. Er begann seinen Vortrag, indem er positive Aspekte auflistete und dabei besonderen Fokus auf die Beschäftigung junger Menschen, Verbesserungen beim sozialen Dialog, Elternurlaubsregelungen, das Recht auf Nichterreichbarkeit, die Regulierung digitaler Plattformen, die Mindestlohnrichtlinie, den Schutz von Selbstständigen und auf Regulierungen für KI legte. Für den Referenten ist die Unterstützung durch die EU für jedes Land grundlegend, um diese Sozialpolitik voranbringen zu können. Als entscheidende Punkte betonte er, dass die europäische Säule sozialer Rechte sehr stark vom Willen jedes einzelnen Staates abhängt und es bei Nichteinhaltung keine Sanktionen gibt. Er sprach auch über die möglichen Auswirkungen zukünftiger Krisen und die unvollkommenen Überwachungsmechanismen der Säule. Da die europäische Säule sozialer Rechte ein Projekt mit mangelndem Ehrgeiz ist, spielen die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung, dass ihre Ziele in allen Mitgliedstaaten auch tatsächlich erreicht werden. Die Säule darf von der Debatte über Wettbewerbsfähigkeit nicht getrennt werden, die nun durch den Draghi-Bericht neu entfacht wurde. Die Europäische Union muss wettbewerbsfähig sein, um sozial sein zu können. Sie darf das Soziale allerdings nicht im Namen der Wettbewerbsfähigkeit aufgeben!
PODIUMSDISKUSSION III – „Die Grenzen des unendlichen Wachstumsparadigmas, Alternativen und Folgen für den Wohlfahrtsstaat“
In dieser dritten Podiumsdiskussion richtete sich die Debatte auf ein Thema, über das immer noch nur selten gesprochen wird, selbst von Gewerkschaften und anderen Arbeitnehmerorganisationen.
Pedro Estevão, nationaler Koordinator von BASE-FUT, begann seinen Vortrag, indem er Fragen zum Zweck der Wirtschaft und darüber stellte, wie Wachstum erreicht und wie es bewertet werden sollte. Tatsächlich sollte die Wirtschaft zuerst und vorrangig dazu dienen, die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung zu stillen und ihren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wohlstand zu steigern. Wenn wir von wirtschaftlichem Wachstum sprechen, bezieht sich das in der Regel auf einen Anstieg des BIP. Dieser Indikator eignet sich jedoch nicht für die Bewertung der Wirtschaft in Bezug auf die Erfüllung von Grundbedürfnissen. Wichtige Realitäten außerhalb des Marktes werden von dieser Messung ausgenommen. Das BIP berücksichtigt nur den Marktwert für Waren und Dienstleistungen, der häufig stark von ihrem Nutzwert abweicht, also von ihrer Bedeutung für die Erfüllung der Grundbedürfnisse, wie Pflegearbeit, Gemeinschaftsleben oder Arbeitnehmer:innen in systemrelevanten Funktionen. Dem Referenten zufolge führt dieses Modell des unbegrenzten Wachstums zu einer Verknappung natürlicher Ressourcen, zu einer Konzentration von Reichtum und zu mehr Ungleichheit. Es müssen Alternativen für dieses überholte Modell gefunden werden. Bei der Suche nach Alternativen für unbegrenztes Wachstum stechen bestimmte Bewegungen und Denker hervor – insbesondere die Gruppe „Economy of Francesco“.
Diego Nunes, Mitglied des Koordinierungsteams des portugiesischen Zentrums von „Economy of Francesco“, begann seinen Vortrag, indem er die ökologischen und sozialen Grenzen sowie die Grenzen im Zusammenhang mit der Instabilität dieses Paradigmas des unbegrenzten Wachstums vorstellte. Die Logik des endlosen wirtschaftlichen Wachstums kollidiert direkt mit der endlichen Kapazität des Planeten. Darüber hinaus äußert sich ein Anstieg des BIP nicht immer durch eine bessere Lebensqualität. So hat die Produktivität in den USA beispielsweise zugenommen, die Löhne sind jedoch stagniert. Der Referent stellte einige alternative Entwicklungsansätze vor, darunter die wirtschaftliche Wachstumsrücknahme, die Kreislaufwirtschaft, die Wirtschaft des Gemeinwohls und ein bedingungsloses Grundeinkommen. Er erläuterte die zentrale Idee jedes Ansatzes und lieferte kritische Bewertungen dazu. Er stellte zudem die Frage, ob das Problem im Wachstum selbst oder darin liegt, wie wir wachsen. Aus seiner Sicht kann wirtschaftliches Wachstum ein mächtiges Instrument für die menschliche Entwicklung sein – wenn es soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit fördert.
Filipe Pereira, Mitglied des Exekutivausschusses des allgemeinen portugiesischen Gewerkschaftsbundes (CGTP-IN) und Koordinator der Gewerkschaft von Porto, wies darauf hin, dass diese Debatte, auch wenn sie relevant ist, immer noch nichts mit den alltäglichen Sorgen der meisten Arbeitnehmer:innen zu tun hat. Er betonte, wie wichtig es ist, dieses Thema in den Vordergrund zu stellen. Aus seiner Sicht wird unbegrenztes Wachstum in Universitäten und durch die Rhetorik der großen Wirtschaftskonzerne weiter gefördert. In Portugal erzielen derzeit 19 große Wirtschaftskonzerne etwa 32 Million Euro an täglichen Gewinnen. Er stellte dieses Entwicklungsmodell in Frage, das Ressourcen aufbraucht und es dabei nicht schafft, den Wohlfahrtsstaat zu erhalten. Das Steuersystem ist ungerecht, stützt sich erheblich auf indirekte Steuern und begünstigt große Unternehmen. Seine Gewerkschaft setzt sich für kürzere Arbeitszeiten und bessere Löhne ein, da die meisten Portugies:innen weniger als tausend Euro pro Monat verdienen.
RUNDER TISCH – „Visionen der europäischen Gewerkschaften/Arbeitnehmerorganisationen zur Zukunft des Wohlfahrtsstaates“
Das Ziel dieses Runden Tisches bestand darin, jeder eingeladenen Organisation die Gelegenheit zu geben, ihre Sicht auf die Zukunft des Wohlfahrtsstaates in den EU-Ländern innerhalb des europäischen Rahmens vorzustellen.
António Brandão Guedes, Mitglied des nationalen Exekutivausschusses von BASE-FUT, begann seinen Vortrag, indem er die historischen Wurzeln von BASE-FUT bis zur portugiesischen katholischen Arbeiterbewegung, ihrem Kampf gegen die Diktatur und ihrer entscheidenden Rolle bei der Förderung einer freien Gewerkschaftsbewegung in Portugal zurückverfolgte. Anschließend skizzierte er die Zukunft des portugiesischen Wohlfahrtsstaates basierend auf der demokratischen Verfassung von 1976, die drei zentrale Elemente enthält:
Einen Kern aus grundlegenden Arbeitnehmer- und sozialen Rechten und die Beteiligung von Arbeitnehmerorganisationen an sozialen und wirtschaftlichen Institutionen;
Eine Wirtschaftsstruktur bestehend aus drei gleichwertigen und förderungswürdigen Sektoren – einem öffentlichen Sektor, einem privaten Sektor und einem dritten Sektor, nämlich dem sozialen und selbstverwalteten Sektor;
Ein politisches System, das eine repräsentative und partizipatorische Demokratie mit Mechanismen für eine direkte Teilhabe wie Volksabstimmungen, Nachbarschaftsausschüsse, Gemeindeversammlungen, Bürgerhaushalte und andere kombiniert.
Sara García de las Heras, Sekretärin für gewerkschaftliche Maßnahmen und Beschäftigung (USO, Spanien), berichtete ebenfalls über Aspekte der Gewerkschaftsgeschichte von USO – von der Franco-Zeit bis zur Gegenwart – und beleuchtete die Arbeitsbereiche, in denen die Gewerkschaft derzeit in ganz Spanien tätig ist. Aus politischer Sicht hält es USO in Bezug auf den Wohlfahrtsstaat für unerlässlich, das öffentliche Rentensystem und die soziale Sicherung allgemein zu verteidigen und aufrechtzuerhalten, mit Maßnahmen für Gleichberechtigung, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, Wohnungswesen, Demografie, Jugend und Einwanderung, und auf eine effektivere, puralistischere und nicht diskriminierende Gewerkschaftsbewegung zu drängen.
Joseph Thouvenel, Vize-Präsident des EZA und Verbandssekretär von CFTC (Frankreich), stellte ebenfalls seine Gewerkschaft und ihre Ansichten vor, insbesondere in Bezug auf die soziale Sicherung und ihre Vision des Wohlfahrtsstaates. Diese Vision basiert auf der Verwaltung des Gemeinwohls, inspiriert von christlichen Werten, und der Verteidigung des unverletzlichen Menschen.
SEMINARABSCHLUSS – Vorstellung der zentralen Ideen
Zum Abschluss des Seminars stellte Jorge Santana, Mitglied des nationalen Exekutivausschusses von BASE-FUT, die Schlussfolgerungen bzw. zentralen Ideen vor, die den Anhang des vorliegenden Berichtes bilden. Der Text wurde allen Teilnehmer:innen zur Verfügung gestellt, die acht Tage Zeit hatten, bei den Organisator:innen ihre Beiträge dazu einzureichen. Nach Ablauf dieser Frist werden die Schlussfolgerungen an alle Teilnehmer:innen geschickt und den portugiesischen Behörden, den Institutionen der katholischen Kirche, Gewerkschaftsverbänden und sonstigen Arbeitnehmerorganisationen bereitgestellt.
Anschließend ergriffen João Paulo Branco, Leiter für Management und Finanzen bei CFTL, und Piergiorgio Sciacqua, Co-Präsident des EZA, das Wort und hoben einige der zentralen Ideen des Seminars hervor, die in den Schlussfolgerungen zum Ausdruck gebracht wurden.