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Der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen in den ländlichen Gebieten als entscheidender Faktor für die Entvölkerung - Teil 1

Vom 24. bis zum 27. Juni 2024 fand in Gijón, Spanien, der erste Teil der Seminarreihe zum Thema „Fehlende Arbeitsmöglichkeiten für Frauen in ländlichen Gegenden als Schlüsselfaktor der Entvölkerung“ statt. Organisiert wurde die von der Europäischen Union finanzierte Veranstaltung von USO – CCFAS (Unión Sindical Obrera – Centro Confederal de Formación y Acción Social) in Kooperation mit MCL / EFAL (Movimento Cristiano Lavoratori / Ente Nazionale per la Formazione e l'Addestramento dei Lavoratori) und mit Unterstützung von EZA.

Diese zweite Seminarreihe zum Thema Entvölkerung und Mangel an Chancen in Gebieten mit abwandernder und alternder Bevölkerung in Europa beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit der Rolle der Frauen als entscheidendem Faktor im Kampf gegen die Abwanderung aus dem ländlichen Raum.

Die Wahl des Schwerpunktthemas ergab sich zwangsläufig aus den Schlussfolgerungen der ersten von USO und MCL-EFAL organisierten und 2023 durchgeführten Seminarreihe zum Thema „Die Entvölkerung ländlicher Gebiete: Chancengleichheit in Gefahr.“ Das besondere Augenmerk galt zwei großen Problembereichen, die eingehender betrachtet wurden. Zum einen ging es um die Abwanderung junger Menschen in die Städte für den weiterführenden Schulbesuch oder für das Studium, ohne dass angesichts fehlender Arbeits- und Wohnmöglichkeiten im ländlichen Raum die Chance auf eine Rückkehr bestünde. Doch auch die Frauen, sofern sie noch jung genug sind, verlassen ihre Dörfer, was zum anderen ebenfalls den Fortbestand der Dörfer und den normalen Generationenwechsel gefährdet.

Um die Ursachen dieses Mangels an Arbeitsmöglichkeiten für Frauen im ländlichen Raum zu erkennen und zu Lösungen zu gelangen, wurde zunächst der allgemeine Kontext eines entvölkerten Europas und die soziokulturelle Rolle der Frauen in ländlichen Gesellschaften untersucht.

Was den Verbleib in weniger dicht besiedelten Gegenden erheblich erschwert, ist der Mangel an öffentlichen Diensten. Die Bevölkerung ist im ländlichen Raum nicht nur spärlicher und älter, sie ist zumeist über eine größere Fläche verteilt. Das verteuert die Versorgung der Bevölkerung und ist letztlich die Ursache, weshalb Dörfer in der Praxis unterversorgt sind und ihre Bewohner ihre Rechte nicht in demselben Maße ausüben können wie es Städtern möglich ist.

Diese Mangelsituation veranlasst viele Menschen zur Abwanderung in die Städte. Den Nachteil haben die Frauen, die in der konkreten Situation der Haushaltsführung und der Familienfürsorge stehen. Mit nahezu 86 Prozent sind es überwiegend Frauen, die im ländlichen Raum unbezahlte Pflege- und Betreuungsarbeit leisten, und nur 27 Prozent entfallen auf Männer.

Im sozialen Kontext des ländlichen Raums ist die Pflege- und Betreuungsarbeit möglicherweise nur ein Faktor von vielen, der zu einer Stigmatisierung der Rolle der Frau führt. Diese Tätigkeit macht Frauen nicht nur unsichtbar, sondern zudem noch vulnerabel: Sie sind wirtschaftlich abhängig, abhängig auch in ihrer Mobilität und werden in den extremsten Fällen noch zum klassischen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt.

So kann es nicht verwundern, dass der ländliche Raum angesichts einer wenig aussichtsreichen Zukunft im Dorf in den letzten Jahrzehnten eine Abwanderung vor allem von Frauen erlebt hat. Diese große Abwanderungsbewegung, die in akademischen Kreisen auch als „Brain Drain“ bezeichnet wird, hat hauptsächlich mit Bildung zu tun. Frauen der älteren Generation ermutigen ihre Töchter und Enkelinnen, den frauenfeindlichen dörflichen Raum zu verlassen und ihren Bildungsweg in der Stadt fortzusetzen. Eine Abwanderung ohne Wiederkehr.

Wer die Ursachen ergründen will, weshalb der ländliche Raum für Frauen weniger attraktiv ist, stellt schnell einen Mangel an statistischen Ist-Daten zu diesem Problembereich fest, der nicht nur in Spanien, sondern europaweit besteht. Wie sich in diesen Tagen gezeigt hat, sind die Länder in sich sehr verschieden. Es bedarf daher zuverlässiger Daten, die Gebiete mit geringerer Bevölkerungsdichte wie etwa den ländlichen Raum abbilden, um das Problem besser verstehen und Lösungen entwickeln zu können.

Lösungsansätze, die den Frauen Zugang zu Arbeit und somit einen Verbleib im ländlichen Raum ermöglichen könnten, umfassen:

  • bessere Infrastruktur, bessere Anbindungen, Gewährleistung öffentlicher Dienste und ein besseres Wohnungsangebot,

  • die Möglichkeit für Frauen, landwirtschaftliche Betriebe in Eigenregie ohne Beteiligung des Ehepartners zu führen,

  • die Professionalisierung der Pflege- und Betreuungstätigkeit als doppelte Chance: Zum einen ergäbe sich daraus ein Nettozuwachs an Beschäftigungsmöglichkeiten in einem überwiegend von Frauen besetzten Bereich. Zum anderen könnten Frauen aus ihrem häuslichen Pflichtenkreis heraustreten und sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Dazu bedarf es auch einer Weiterentwicklung der Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung.

  • Die Alterungssituation im ländlichen Raum bietet nicht nur hinsichtlich Pflege und Betreuung Möglichkeiten für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die zurückbleibende Bevölkerung im Erwachsenenalter erfreut sich einer sehr viel besseren Gesundheit als dies vor einigen Jahrzehnten der Fall gewesen wäre. Ihre Betreuung, nicht nur hinsichtlich Pflege, sondern auch im Bereich der Freizeitgestaltung kann für Beschäftigung sorgen.

  • Realistische und ergebnisorientierte Planungen für den ländlichen Raum. Es gibt zwar Hilfsmaßnahmen für den ländlichen Raum. Diese sind jedoch nicht auf die Bindung der Bevölkerung durch die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten und die Sicherstellung öffentlicher Dienste und infrastruktureller Einrichtungen ausgerichtet. In allen drei Teilnehmerländern wurden Fälle von Unternehmensgründungen dokumentiert, die dank der geleisteten Hilfe zunächst erfolgreich waren, wegen fehlender externer Geldmittel jedoch nicht dauerhaft bestehen konnten. Zudem müssten bürokratische Hürden abgebaut werden, um den Zugang zu Hilfen zu erleichtern.

  • Was die finanzielle Seite anbelangt, könnten Kreditlinien oder Mikrokredite für kleinere Projekte erfolgversprechender sein.

  • Mit Skepsis ist jedoch der ländliche Tourismus zu betrachten, der sich in einigen besonders angesagten Dörfern zu einer Art Monokultur entwickeln könnte, denn Zweitwohnungen und Ferienhotels schaffen nur Saisonarbeit und können die Bevölkerung nicht dauerhaft binden.

  • Was die Landwirtschaft anbelangt, ist auf Qualität zu setzen. Spanische Dörfer können mit den massiven Importen weder quantitativ noch preislich mithalten. Durch die Produktion qualitativ hochwertiger Lebensmittel können jedoch Arbeitsplätze entstehen.

  • Schutz des kulturellen Erbes und Erhaltung der Dörfer durch strengere Gesetze, die nicht nur der Erhaltung und dem Schutz dieser Güter dienen, sondern auch Vergütungen für geleistete Schutzmaßnahmen vorsehen.

Die Referent:innen waren einhellig der Meinung, dass der Zusammenhalt der ländlichen Gesellschaft und die Bewahrung des sozialen Gefüges in den Händen der Frauen liegen. Unabhängige und autonome Frauen sind ein Wachstumsfaktor und können als solcher Bestand und Wirtschaftskraft des ländlichen Raums sichern helfen.

Diese erste Seminarreihe schloss mit der Einladung zu der noch nicht terminierten Folgeveranstaltung in Süditalien unter der Schirmherrschaft von MCL-EFAL.