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EZA-Startseminar: Demografische Herausforderungen auf den europäischen Arbeitsmärkten

„Demografische Herausforderungen auf den europäischen Arbeitsmärkten“, so die Überschrift des Startseminars des Europäischen Zentrums für Arbeitnehmerfragen (EZA) vom 21/22. November 2024. „Das Thema betrifft uns alle auf die eine oder andere Weise“, erklärte EZA-Präsident Luc Van den Brande in seiner Einführung vor den rund 80 Teilnehmenden aus Albanien, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Italien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Nordmazedonien, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ukraine und Ungarn. 

Das Startseminar, das jährlich ausgerichtet wird, war gemeinsam mit dem Centro Español para Asuntos de los Trabajadores (CEAT) vorbereitet worden. Es diente dazu, alle Organisationen zusammenzubringen, die im kommenden Jahr EZA-Projekte zum europäischen sozialen Dialog durchführen, fand im spanischen Sevilla statt und wurde von der Europäischen Union finanziert.

Diesmal stand der demographische Wandel in Europa im Mittelpunkt. Niedrige Geburtenraten in vielen europäischen Staaten und bereits deutlich spürbare gesellschaftliche Überalterung mit vielen negativen Wirkungen gebe Anlass zu großer Sorge, so der Leiter der Demografischen Beobachtungsstelle der Universität San Pablo (CEU), Alejandro Macarrón Larumbe. Es gelte, demographische Veränderungen sorgfältig in den Blick zu nehmen und dabei ideologische Vorbehalte beiseitezuschieben. Wer Geburtenraten erhöhen wolle, müsse eine Gesellschaft entwickeln, in der Elternschaft erwünscht ist und geschützt wird. Auch müssten wirtschaftliche Rahmenbedingungen gesetzt werden, die Familien fördern. Dabei müsse die Lastenverteilung zwischen Müttern und Vätern ausgeglichener werden, so Macarrón Larumbe.

Bis 2050 verlassen altersbedingt jährlich fast 1 Million Erwerbstätige den europäischen Arbeitsmarkt, prognostizierte Sven Matzke, amtierender Direktor des Bereichs „Sozialer Dialog“ der Generaldirektion für Beschäftigung, Soziales und Inklusion in der Europäischen Kommission. Deshalb habe man vor allem 4 Instrumente in einen „demographischen Werkzeugkasten“ gepackt, der den EU-Mitgliedsstaaten helfen soll, demographische Herausforderungen anzugehen. Es brauche die Unterstützung von Eltern bei der Vereinbarkeit familiärer Aufgaben und bezahlter Arbeit ebenso wie die Unterstützung jüngerer Generationen bei der Erlangung von am Arbeitsmarkt gefragten Fähigkeiten. Ebenso wichtig sei, so Matzke, ältere Arbeitnehmende durch geeignete Arbeitsplatzpolitiken im Arbeitsmarkt zu halten. Außerdem müsse gut gesteuerte Migration beitragen, Arbeitskräftemangel in Europa zu beseitigen. 

Ältere Menschen nicht nur als Belastung, sondern auch als wichtige gesellschaftliche Stützen besonders im ländlichen Raum zu betrachten, forderte die Präsidentin der EZA-Mitgliedsorganisation Confederación Nacional de Federación y Asociaciones de Familias y Mujeres del Medio Rural (AFAMMER). Diesem Appell schlossen sich auch die Professorin für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht an der Universität Sevilla und CEAT-Vertreterin María José Rodríguez Ramos an, sowie der Leiter des Forschungsbüros der Unión Sindical Obrera (USO), José Luis Fernández Santillana, der gleichzeitig auch Präsident des spanischen Bundes der Organisationen für ältere Menschen (CEOMA) ist.

Ältere Arbeitnehmende bildeten auch eine wichtige Ressource im Kampf gegen Arbeitskräftemangel. Mit ihren Fähigkeiten und Erfahrungen könnten sie einen großen Beitrag leisten. Auch müsse zukünftig stärker darauf geachtet werden, dass erlangte Fähigkeiten und Arbeitsmarktbedarfe besser zueinander passen. Diese Erkenntnisse sind Ergebnis einer Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EUROFOUND), die von Forschungsleiterin Tina Weber vorgestellt wurden. 

Ein weiterer Aspekt demographischen Wandels ist Arbeitsmigration und Mobilität. Damit Migration erfolgreich der Alterung in den Arbeitsmärkten begegnen könne, sei eine europaweite Migrations- und Mobilitätspolitik erforderlich, so Prof. Vera Gligorijević, Leiterin der Demografie-Abteilung der Universität Belgrad. Wenn dabei das Solidaritätsprinzip zwischen den Staaten, die Arbeitskräfte entsenden und denjenigen, die sie aufnehmen, angewandt würde, ließen sich dadurch zahlreiche positive Wirkungen erzielen. Für eine rasche und nachhaltige Integration von Flüchtenden in den Arbeitsmarkt sprach sich der Arbeitsrechtler und Caritasdirektor Miguel Ángel Carbajo Selles aus Sevilla aus. Wie dies gelingen kann und dass es dafür zivilgesellschaftliches Engagement braucht, zeigte CEAT-Vertreter Mario González Somoano, der die Hilfsaktivitäten des Vereins „Orte mit Zukunft“/ „Pueblos con Futuro“ vorstellte. 

Auch die Sozialversicherungssysteme in Europa geraten durch den demographischen Wandel unter Druck. Der Vorstandsvorsitzende der Versicherungsanstalt für Angestellte des öffentlichen Dienstes, der Eisenbahnen und der Bergarbeiter (BVAEB), Dr. Norbert Schnedl erläuterte die Vorkehrungen, die seine Institution diesbezüglich auf den Weg gebracht hat. Wie sich Sozialversicherungssysteme anpassen und dafür auch innovative Wege gehen müssen, erforscht Prof. Eleni de Becker von der Freien Universität Brüssel. Es brauche – so de Becker – die Einbeziehung anderer Einkommen zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme über Arbeitslöhne hinaus und es müsse den durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz veränderten Arbeitsbeziehungen durch Reformen Rechnung getragen werden. 

In einem alternden Europa spielt Pflege zukünftig eine gewichtige Rolle. Weit überwiegend sind es Frauen, die Pflegeleistungen erbringen, oftmals auch unbezahlt. Mehr Geschlechtergerechtigkeit in diesem Bereich forderte Lisa Neubauer vom Oswald von Nell-Breuning Institut für Wirtschafts- und Sozialethik. Zukunftsfähige Pflegesysteme können ihren Erkenntnissen zufolge nur dann entstehen, wenn sie ethischen Grundsätzen folgen, die Interessen sowohl von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen als auch von Pflegenden berücksichtigen und insbesondere gute Arbeitsbedingungen vorsehen. Dies könne nur erfolgreich sein, wenn sozialer Dialog zu entsprechenden Vereinbarungen führe. Dies ist auch Teil der europäischen Pflegestrategie, die von der Projektkoordinatorin beim polnischen EZA-Mitglied Europejski Dom Spotkań - Fundacja Nowy Staw, Aneta Szczykutowicz vorgestellt wurde. 

Die anstehenden demographischen Herausforderungen lassen sich nur bewältigen, wenn auch die alternden und älteren Menschen überall in Europa mitgenommen werden. Dies war eine der Schlussfolgerungen die EZA-Co-Präsident Piergiorgio Sciacqua am Ende der Veranstaltung zog. „Das Problem der demographischen Entwicklung betrifft uns alle“, so Sciacqua weiter. Schon vor Jahren sei vor einem bevorstehenden „Demographischen Winter“ gewarnt worden. Viele hätten dies lange Zeit nicht ernst genommen. „Der demographische Wandel ist für EZA wichtig“ erklärte der EZA-Co-Präsident. Die damit einhergehenden Probleme könnten nicht von extremen Positionen aus angegangen werden. Die Herausforderung „muss in der Mitte gelöst“ werden, forderte Piergiorgio Sciacqua in seiner Abschluss-Rede.