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Mobilisierung und Teilhabe der Arbeitnehmer:innen bei der Förderung menschenwürdiger Arbeit

Vom 8. bis 11. Februar 2024 fand in Santarém, Portugal, das internationale Seminar „Mobilisierung und Teilhabe der Arbeitnehmer:innen bei der Förderung menschenwürdiger Arbeit“ statt, das von CFTL (Centro de Formação e Tempos Livres) und BASE – Unitarische Front der Arbeitnehmer:innen (BASE-FUT) mit Unterstützung des Europäischen Zentrums für Arbeitnehmerfragen (EZA) organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde. Am Seminar nahmen Mitglieder von Arbeitnehmerorganisationen aus Portugal, Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien, Litauen, Bulgarien und Rumänien teil.

Es muss anerkannt werden, dass die Beteiligung von Arbeitnehmer:innen und die Umverteilung des durch die Arbeit erwirtschafteten Reichtums zu den grundlegenden Bedingungen für die Würde der Arbeit gehören, eine zentrale Forderung der Arbeitnehmerbewegung sowie Bestandteil der Soziallehre der katholischen Kirche seit ihrer ursprünglichen Entwicklung im 19. Jahrhundert sind – was später auch von der Internationalen Arbeitsorganisation anerkannt wurde. Während des gesamten Seminars konzentrierte sich die Diskussion auf die drei wichtigsten Formen, die diese Beteiligung in den vergangenen 150 Jahren angenommen hat: Tarifverhandlungen, Co-Management und Kooperativismus.

Arbeits- und Konsumgenossenschaften, die in einigen europäischen Ländern wie Italien, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich früher eine wichtige Rolle gespielt haben, sind heute, was die Zahl und das Beschäftigungsvolumen angeht, fast verschwunden. Dieser Rückgang wird zuweilen als eine wirtschaftliche Zwangsläufig-keit angesehen und auf die mangelnde Effizienz demokratischer Entscheidungs-prozesse und die mangelnde Attraktivität der Genossenschaften für Investitionen zurückgeführt, sogar von den Arbeitnehmer:innen selbst. Es heißt, dass diese Faktoren dazu führen, dass sich Genossenschaften auf dem Markt nicht behaupten können.

Wissenschaftliche Untersuchungen zu Genossenschaften haben dieser These jedoch widersprochen und festgestellt, dass es keine wesentlichen Unterschiede zwischen Genossenschaften und Unternehmen in Bezug auf Produktivität und Langlebigkeit gibt. Stattdessen lässt sich der Niedergang der Genossenschaftsbewegung eher durch institutionelle, politische und kulturelle Faktoren erklären. Dazu gehört die latente Tendenz der Genossenschaften, sich von demokratischen Funktionsprinzipien zu entfernen – mit einer Machtkonzentration bei ihren Führungskräften, der Aufnahme von Arbeitnehmer:innen ohne Verleihung des Mitgliedsstatus, dem mangelnden Interesse der wichtigsten politischen Akteure am Genossenschaftswesen als Antwort auf soziale und wirtschaftliche Probleme und dem Vorherrschen von Sozialisierungs- und Lernmodellen, die Gehorsam und Konformität fördern und Kritik und Beteiligung entgegenwirken.

Das Modell der Genossenschaft hat jedoch nach wie vor großes Potenzial in verschiedenen Bereichen, darunter die ländliche Entwicklung, die Gewährleistung des territorialen Zusammenhalts oder die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit. Es ist daher wichtig, Strategien und Methoden zu entwickeln, die die Genossenschafts-bewegung fördern und den Faktoren entgegenwirken, die zu ihrem Niedergang führen.

Die Erfahrungen mit Co-Management sind ebenfalls relativ begrenzt und beschränken sich auf einige mittel- und nordeuropäische Länder wie Deutschland, Österreich und Dänemark. Die zugrundeliegenden Prinzipien sind jedoch nach wie vor sehr sinnvoll. Das Modell basiert auf der Erkenntnis, dass im Unternehmen unterschiedliche und gleichermaßen legitime Interessen nebeneinander bestehen – nicht nur die des Kapitals, sondern auch die der Arbeitnehmer:innen und der Gemeinschaften, in denen sie tätig sind. Damit ein Unternehmen zu einer echten menschlichen Gemeinschaft wird, müssen die Arbeitnehmer:innen unbedingt in die Festlegung der Strategie, die Arbeitsorganisation, die Festlegung der Arbeitsbedingungen und die Verteilung der finanziellen Gewinne einbezogen werden.

Trotz des Interesses, den Kooperativismus und das Co-Management aufrechterhalten, lässt sich nicht bestreiten, dass Tarifverhandlungen im 20. Jahrhundert die bei weitem wichtigste Form der Mitbestimmung waren – und es auch im 21. Jahrhundert bleiben werden. In diesem Zeitraum haben sich Tarifverhandlungen als Eckpfeiler für menschenwürdige Arbeit und als stärkste Garantie für Wohlstand und bessere Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer:innen erwiesen – nicht nur in Bezug auf Löhne, sondern auch in Bezug auf Arbeitszeit, Gesundheitsschutz und Sicherheit, Weiter-bildung und lebenslanges Lernen sowie den Schutz des Familien- und Privatlebens.

Das Recht der Arbeitnehmer:innen, sich zur Verteidigung ihrer Interessen zu vereinigen, ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert, und das Recht auf Tarifverhandlungen wird durch ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation garantiert. Wir vergessen manchmal, dass uns diese Rechte nicht geschenkt wurden, sondern von der Arbeiterbewegung und durch die Entschlossen-heit, die Anstrengungen und die Opfer von Generationen von Gewerkschafts-mitgliedern erkämpft wurden. Und was noch gefährlicher ist: Wir vergessen, dass diese Rechte ständig bedroht sind.

Die gewerkschaftliche Organisation von Arbeitnehmer:innen und Tarifverhandlungen sind die wirksamsten Instrumente, die bisher entwickelt wurden, um dem strukturellen Machtungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer:innen und Kapital entgegenzuwirken, das mit einem Arbeitsverhältnis verbunden ist. Das Bestreben, diese Instrumente zu demontieren, um die Ausbeutung der Arbeit zu intensivieren, ist daher eine Versuchung, der das Kapital nicht widerstehen kann.

Deshalb konzentrierte sich dieses Seminar auf die Herausforderungen der Organisierung und Mobilisierung von Arbeitnehmer:innen, auf Faktoren zur Förderung der Qualität von Tarifverhandlungen und auf die Sensibilität für die äußerst wichtige Stellung, die diese beim Aufbau einer demokratischen und wohlhabenden Gesellschaft einnehmen.

Arbeitnehmerorganisationen stehen vor mehreren schwierigen Herausforderungen. Gewerkschaftliches Handeln hängt von drei Schlüsselfaktoren ab: der Solidarität unter den Arbeitnehmer:innen, einer tiefen und genauen Kenntnis der Realität und der Probleme der Arbeitnehmer:innen seitens der Gewerkschaften und der Gewerk-schaftsmitglieder sowie der Demonstration der Wirksamkeit von Verhandlungs- und Bekämpfungsformen. Diese drei Faktoren sind ständig gefährdet.

Die Solidarität zwischen den Arbeitnehmer:innen leidet nicht nur unter der Zersplitterung und dem Egoismus, die in unseren Gesellschaften vorherrschen, sondern sie wird auch durch die Arbeitsorganisation und Bewertungssysteme untergraben, die einen zügellosen Wettbewerb zwischen den Arbeitnehmer:innen innerhalb der Unternehmen fördern, und manchmal auch durch unklare Entschei-dungsprozesse innerhalb der Gewerkschaften. Die Kenntnis von der Arbeitsrealität und den Problemen der Arbeitnehmer:innen leidet unter eingeschränkten gewerk-schaftlichen Maßnahmen am Arbeitsplatz und der Auflösung des Konzepts des Arbeitsplatzes selbst durch die Einführung der Telearbeit. Das Erzielen von Ergebnissen durch gewerkschaftliche Maßnahmen wird durch die Schwachstellen der Überwachung und das Fehlen von Konsequenzen für Arbeitgeber:innen bei Nichteinhaltung der Vorschriften zusätzlich gefährdet. Diesen Tendenzen muss unbedingt entgegengewirkt werden, indem kreative Strategien entwickelt werden, um den Kontakt zu den Arbeitnehmer:innen aufrechtzuerhalten, den demokratischen Charakter und die Transparenz gewerkschaftlicher Entscheidungen zu gewährleisten, für Gesetzesänderungen zu kämpfen, die Einhaltung der Gesetze zu fordern und die Formen der Bekämpfung an die objektiven Verhältnisse der Arbeitnehmer:innen anzupassen sowie die Ergebnisse gewerkschaftlicher Maßnahmen bekannt zu machen.

Es ist zudem wichtig, die Qualität von Tarifverhandlungen zu gewährleisten und zu verbessern. Das bedeutet eine bessere Vorbereitung der Gewerkschaftsmitglieder auf die Verhandlungen. Dazu gehört eine bessere Schulung derjenigen, die auf Arbeitnehmer:innenseite am Verhandlungstisch sitzen, und eine größere Vielfalt der Verhandlungsführer:innen, um eine angemessene Vertretung von Frauen, jungen Menschen und Minderheiten gewährleisten zu können. Es bedeutet aber auch, dass Arbeitnehmer:innen Zugang zu Informationen über das Unternehmen haben müssen, die es ihnen ermöglichen, fundierte Verhandlungslösungen zu erarbeiten. Und es ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, dass das Ergebnis der Verhandlungen respektiert wird, mit Garantien, dass die daraus resultierenden Vereinbarungen auch ordnungsgemäß umgesetzt werden.

Schließlich ist es wichtig, zwischen den Arbeitnehmer:innen und der Bevölkerung – die selbst eine Arbeitskraft darstellt – eine Solidarität zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, die Interessen der Bevölkerung umzusetzen, die Gründe für gewerkschaftliches Handeln in der Öffentlichkeit zu erläutern und Formen des Kampfes zu entwickeln, die eine maximale Wirkung auf den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin haben, aber einen minimalen Schaden für die Arbeitnehmer:innen und die Bevölkerung im Allgemeinen bedeuten.