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Die Digitalisierung: ein Werkzeug zur Verbreitung von Arbeitnehmerrechten und zum Erreichen gefährdeter Gruppen

Vom 17. bis zum 19. Oktober 2023 fand in Valencia, Spanien, ein Seminar zum Thema „Die Digitalisierung: ein Werkzeug zur Verbreitung von Arbeitnehmerrechten und zum Erreichen gefährdeter Gruppen“ statt, das von USO – CCFAS (Unión Sindical Obrera – Centro Confederal de Formación y Acción Social) in Kooperation mit EZA und finanziert durch die Europäische Union organisiert wurde.

Die Digitalisierung hat zwei Seiten. Eine dieser Seiten, die negative, bedeutet den Verlust persönlicher Bindungen, übermäßige Vernetzung, Verletzung der Privatsphäre und geistige und berufliche Überlastung. Eine entmenschlichte künstliche Intelligenz könnte Millionen von Arbeitsplätzen in Mitleidenschaft ziehen und sogar die Gesellschaft selbst gefährden.

Von ihrer anderen Seite zeigt sich die Digitalisierung, die insbesondere im Zuge der Covid-Pandemie an Fahrt gewonnen hat, angenehm und nützlich, ermöglicht sie doch einen besseren Zugang zur Bildung durch Webinare und andere Formen des E-Learnings. Anwendungen und Nachrichtendienste erleichtern den Informationsaustausch. Zeit und Geld lassen sich einsparen, Telearbeit wird möglich. Die Lebensumstände des Einzelnen verbessern sich; weniger dicht besiedelte Gebiete profitieren vom Zuzug der Städter.

Um der eher negativen Seite der Digitalisierung entgegenzutreten, kommt es entscheidend auf Tarifverhandlungen, auf sozialen Dialog und auf den Druck an, der von gewerkschaftlicher und gesellschaftlicher Seite ausgeübt wird, um den durch die neue technische Revolution geschaffenen Reichtum gleichmäßiger zu verteilen und eine ungebremste Anwendung der künstlichen Intelligenz durch Regelwerke zu unterbinden, um die psychische Gesundheit zu schützen und Präventionsmaßnahmen zu verankern angesichts der schädlichen Auswirkungen von Übervernetzung und Informationsüberflutung, wobei Letztere zu Desinformation mit weitreichenden Folgen bis hin zu einer Gefährdung unserer demokratischen Systeme führen kann und deshalb zu bekämpfen ist.

Als Gewerkschaft oder sonstige Organisation, die sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Arbeitnehmer:innen einsetzt, können wir uns die Vorteile der Digitalisierung zunutze machen, um unsere Arbeit zu propagieren und um auch solche Menschen über Arbeitnehmerrechte zu informieren, die wir ansonsten nur schwer erreichen.

Dabei kommt es darauf an, die geeigneten Kanäle und sozialen Medien zu wählen, von denen es laufend neue gibt. Wenn wir uns heute auf den einen oder anderen Kanal festlegen, können wir den Kontakt zu einer ganzen Generation verlieren. Um effektiv über Arbeitnehmerrechte zu informieren und unseren Fortbestand als Organisation zu sichern, müssen wir uns an die bestehenden und die künftigen sozialen Netze anpassen und die Sprache des Durchschnittsnutzers bzw. der Durchschnittsnutzerin sprechen. Es gibt Fälle, in denen uns andere Gruppen oder Personen in den sozialen Netzen zuvorgekommen sind und eine Leerstelle besetzt haben, die eigentlich den Gewerkschaften und anderen Organisationen zum Schutz von Arbeitnehmer:innen zugestanden hätte.

Da wir als soziale Organisationen direkt mit sozial schwachen Gruppen arbeiten, wissen wir, dass die Digitalisierung nicht nur Gefahren mit sich bringt, sondern dass der Nutzung ihrer Vorteile durch die breite Bevölkerung ein weiteres Hindernis entgegensteht: die immer noch tiefe digitale Kluft.

Sie betrifft das Geschlecht, da zumeist Frauen ins Hintertreffen geraten; sie ist aber auch ein räumliches Phänomen, da die ländliche Bevölkerung durch geringere Bildungsmöglichkeiten und unzureichende Netzabdeckung benachteiligt ist. Darüber hinaus ist es eine Einkommensfrage. Ihre Zuspitzung erfährt diese Ungleichheit dann, wenn die Verwaltung den einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen Hilfen zur Verfügung stellt, die ihnen nicht zugänglich sind, weil sie nur mit Hilfe komplexer elektronischer Systeme verwaltet werden können.

Belgien und der ländliche spanische Raum liefern uns Beispiele für Hilfsprogramme zur Verbesserung der digitalen Kompetenzen der vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen. Es handelt sich dabei um Programme, die eigentlich, direkt oder indirekt, von der Verwaltung selbst betrieben werden müssten. Angesichts ihrer Untätigkeit müssen gemeinnützige Organisationen an ihrer Stelle tätig werden.

Die Beziehungen der Bürger:innen zur Verwaltung in Spanien mit all ihren Vorteilen und Hindernissen wurden anhand von Beispielen verdeutlicht. Die Ähnlichkeiten mit anderen Ländern zeigen, dass die digitale Kluft eine große Bevölkerungsgruppe von den grundlegenden sozialen Diensten ausschließt: die sozial Schwachen, die keine digitalen Fähigkeiten erwerben können. Wie können wir die Verwaltung abstrafen, wenn sie nicht ihrer Pflicht nachkommt? Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort: Es bleibt nur die Beschwerde.

Was passiert, wenn ein ganzes Land bedroht ist? Wie kann die Digitalisierung da abhelfen? Der grausame Angriff auf die Ukraine hat zur Folge, dass die grundlegende Infrastruktur des Landes jeden Tag aufs Neue gefährdet ist. Das macht den Schutz der Telekommunikationsnetze zu einem zwingenden Erfordernis. Das Internet kann etwa bei Binnenvertriebenen eine schnellere Fallbearbeitung ermöglichen, auch wenn die Digitalisierung der Krankenakten beispielsweise, die in schwierigen Zeiten wie die des Krieges bei der Erfassung von Entlassungen aus dem Militärdienst, Erkrankungen usw. hilfreich wäre, noch nicht weit vorangeschritten ist.

Doch selbst wenn man von der besonderen Situation in der Ukraine absieht, besteht in Europa insgesamt eine tiefe digitale Kluft. In der Arbeitswelt ist digitale Bildung nicht nur für den Alltag erforderlich, sondern auch für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt: Durch ständige berufliche Weiterbildung werden die für die neuen Arbeitsplätze erforderlichen Kompetenzen erworben.

Werden alle Menschen digital arbeiten? Nein, da die Digitalisierung viele Berufe noch nicht erreicht hat. Allerdings wird davon ausgegangen, dass in wenigen Jahren 300 Millionen Arbeitsplätze automatisiert sein werden. Noch haben wir die Wahl, ob wir digital oder manuell arbeiten wollen. Ein Gleichgewicht zwischen digitaler und analoger Welt wäre nach allgemeiner Auffassung der Idealzustand. Die Digitalisierung lässt sich allerdings nicht aufhalten.

Künstliche Intelligenz wird die Menschen nicht ersetzen, doch werden die Nutzer:innen der KI die Nichtnutzer:innen verdrängen. Zuerst die Menschen. Insbesondere in Gewerkschaftskreisen ist darauf zu achten, dass die digitale Transformation nicht zu einem Bruch führt. Es sollte vielmehr ein verträglicher Übergang angestrebt werden. Insbesondere darf die künstliche Intelligenz nicht den sozialen Dialog gefährden oder die Tarifverhandlung noch mehr schwächen und die Kontrolle der Menschen über die Maschinen ins Wanken bringen. Wir müssen uns daher um kreative Lösungen bemühen.

Neben der ständigen Weiterbildung müssen wir daher die Ausbildung unserer Jugendlichen und unserer Kinder in den Fokus nehmen. Ihre Ausbildungsinhalte kennen wir heute noch nicht. Fest steht nur, dass sie sich laufend weiterentwickeln werden.

6 von 10 Kindern werden Berufe ausüben, die es heute noch nicht gibt. Werden wir uns dieser Herausforderung stellen können?