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Arbeit ist mehr als nur ein Tun: Wie lässt sich das Wohlbefinden von Arbeitnehmern verbessern – auch vor dem Hintergrund zunehmender Belästigung am Arbeitsplatz?

Das Wohlbefinden der eigenen Arbeitnehmer:innen ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Wenn man dafür sorgt, dass die eigenen Arbeitnehmer:innen zufrieden sind und sich respektiert und gehört fühlen, lassen sich zweifellos bessere Ergebnisse erzielen. Wohlbefinden am Arbeitsplatz zahlt sich aus. Das ist zwar eine Behauptung. Es ist aber auch eine Behauptung, die für die meisten Menschen wahrscheinlich in die Kategorie „gesunder Menschenverstand“ gehört. Arbeit ist mehr als nur das Tun. Sie gibt einem Menschen Erfüllung und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Wenn die Arbeit das nicht bieten kann, besteht Verbesserungspotenzial.

Mehr als 50 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus einem Großteil der EU-Mitgliedstaaten nahmen an einem zweitägigen Seminar mit dem Titel „Arbeit ist mehr als nur ein Tun: Wie lässt sich das Wohlbefinden von Arbeitnehmern verbessern – auch vor dem Hintergrund zunehmender Belästigung am Arbeitsplatz?“ teil. Das Seminar fand vom 20. bis 22. Februar 2024 in Larnaca, Zypern, statt. Die Initiative wurde von Krifa und WOW-Europe in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen (EZA) organisiert und von der Europäischen Union finanziert.

Jane Heitmann, Präsidentin von Krifa, eröffnete das Seminar mit der Feststellung, dass Wohlbefinden für die dänische Gewerkschaft einen Schwerpunkt bildet. Aus diesem Grund wurde der Arbeitszufriedenheitsindex ins Leben gerufen. Die Beobachtung des Wohlbefindens von Arbeitnehmer:innen hat zu einem besseren Verständnis für seine Wichtigkeit geführt. WOW-Präsident Wayne Prins von CLAC in Kanada bestätigte, dass die Förderung des Wohlbefindens ein Verkaufsargument für Unternehmen ist. Wenn auch in einem angespannten Arbeitsmarkt.

Beziehungen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen vs. Human Resource Management (HRM)

„Gute Beziehungen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen sind der Schlüssel, aber wie genau sehen sie aus?“, fragte George Ashikalis, Gastdozent an der CIM Cyprus Business School. Es lassen sich vier Kategorien unterscheiden: Beziehungen zwischen Arbeitgeber:innen und Gewerkschaften; Arbeitsbeziehungen; Personalmanagement; Human Resource Management. Im Laufe der letzten hundert Jahre hat sich der Schwerpunkt der Beziehungen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen verschoben. Laut Ashikalis besteht ein negativer Zusammenhang zwischen dem Human Resource Management und dem Einkommen. Der auffälligste Unterschied zwischen den Beziehungen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeit-nehmer:innen (Schwerpunkt auf Arbeitnehmer:innen/sozialen Lösungen) und dem Human Resource Management (Schwerpunkt auf Arbeitgeberlösungen in Arbeitsfragen) führt zu gegensätzlichen Perspektiven. Was für den einen wichtig ist, ist für den anderen nicht unbedingt genauso wichtig. Gleichheit und Gleichberechtigung sind zwei sehr unterschiedliche Themen.

Ganzheitlicher Ansatz

Heutzutage ist die Unterscheidung zwischen Arbeits- und Privatleben ziemlich unscharf geworden. Deshalb müssen „wir als Führungskräfte und Interessen-vertreter:innen in unseren jeweiligen Unternehmen erkennen, dass das Wohlbefinden unserer Arbeitnehmer:innen nicht nur eine Frage der unternehmerischen Verant-wortung, sondern ein strategischer Imperativ ist. Eine glückliche, gesunde und motivierte Belegschaft ist der Grundstein für ein florierendes und nachhaltiges Unternehmen“, so Taleen Tchalikian, Vice-President People & Culture bei Celestyal. „Es ist wichtig, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der die körperliche, geistige und emotionale Gesundheit miteinschließt“, fügte sie hinzu.

Positive Verstärkung, Prävention, Betreuung

Beim niederländischen Finanzdienstleister Achmea versucht man, den ganzheitlichen Ansatz des Wohlbefindens durch eine Reihe von Initiativen umzusetzen. Achmea sieht das Wohlbefinden als einen nachhaltigen Wert für Kund:innen, Arbeitnehmer:innen, Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen. Innerhalb des HR-Expertenteams gibt es Expert:innen im Bereich Beschäftigungsfähigkeit, die sich um Beschäftigungs-fähigkeit, Abwesenheit und Wiedereingliederung (Prävention und Betreuung) kümmern, und es gibt ein Team für gesundes Arbeiten, das zu gesundem Arbeiten und Leben anregt und die Vitalität stärkt (positive Verstärkung und Prävention). Renate van den Bosch-Moerkerk, Beraterin für Wohlbefinden bei Achmea, erklärte, dass bei Achmea das Wohlbefinden im Mittelpunkt steht. Sie sagte, dass „Arbeitnehmer:innen, die das Gefühl haben, dass ihrem Arbeitgeber bzw. ihrer Arbeitgeberin ihr Wohlbefinden wichtig ist, ein um 71 % geringeres Risiko eines schweren Burn-outs haben, mit 69 % geringerer Wahrscheinlichkeit aktiv nach einem neuen Arbeitsplatz suchen, zu 36 % mehr Lebensfreude zeigen, dreimal engagierter und begeisterter sind und sich fünfmal häufiger sehr positiv über ihren Arbeitgeber bzw. ihre Arbeitgeberin äußern“. Achmea bietet „eine breite Palette von Maßnahmen zum Wohlbefinden, eine Online-Plattform mit Programmen und Dienstleistungen auf Unternehmens-, Team- und individueller Ebene“. Und es hat in den verschiedenen Büros Healthy Working Plazas eingerichtet, die den Arbeitnehmer:innen leicht zugängliche Plätze bieten, an denen sie etwas für ihr Wohlbefinden tun können. Das zeigt, wie wichtig Achmea seine Arbeitnehmer:innen sind.

Arbeitszufriedenheitsindex

Arbeitszufriedenheit ist von großem Wert und ein wichtiger Teil der Lösung des Arbeitskräftemangels. Rolf Weber, politischer Berater, und Mikael Arendt Laursen, Vize-Präsident, beide von der dänischen Gewerkschaft Krifa, zeigten, dass Arbeitszufriedenheit für Arbeitnehmer:innen, Unternehmen und die Gesellschaft von großem Wert ist. Durch das 2015 von Krifa gegründete Wissenszentrum für Arbeitszufriedenheit wird die Arbeitszufriedenheit der Dänen erforscht, analysiert und im Arbeitszufriedenheitsindex veröffentlicht. Rolf Weber erklärte, dass „sich anhand von Fragen zu den sieben Faktoren (Einfluss, Können, Führung, Ausgeglichenheit, Sinnhaftigkeit, Erfolge, Kolleg:innen), die zusammen die Arbeitszufriedenheit ausmachen, erkennen lässt, wie zufrieden ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin ist. Der Index zeigt, dass Sinnhaftigkeit, Können und Ausgeglichenheit als besonders wertvolle Faktoren angesehen werden. Investitionen in die Arbeitszufriedenheit kommen Arbeitnehmer:innen, Unternehmen und der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht zugute. Für die Arbeitnehmer:innen auf persönlicher und auch finanzieller Ebene. Für die Unternehmen durch seltenere Arbeitsplatzwechsel und weniger Krankheits-ausfälle. Für die Gesellschaft durch einen späteren Renteneintritt und niedrigere Gesundheitskosten. Eine höhere Arbeitszufriedenheit erhöht auch das Arbeitskräfte-angebot. Wenn es den Arbeitnehmer:innen besser geht, steigt ihr Wohlbefinden und sie leisten einen größeren und besseren Beitrag, so Mikael Arendt Laursen.

Die Delegierten wurden dann aufgefordert, online eine Reihe von Fragen zu beantworten und ihren Arbeitszufriedenheitsindexwert zu ermitteln. Sara Nedergaard Askholm erklärte, dass die von den Delegierten ausgefüllte Version die Kurzversion darstellt. Für Unternehmen gibt es eine umfangreichere Liste mit Fragen, die zu beantworten sind. Die Unternehmen können selbst entscheiden, wie oft ihre Arbeitnehmer:innen den Test machen. Manche Arbeitnehmer:innen machen ihn viermal im Jahr. Dies hilft sowohl dem Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmerin als auch dem Unternehmen dabei, zu sehen, wo sie stehen.

Arten des Wohlbefindens

Was also ist Wohlbefinden? Wie wird Wohlbefinden definiert? Elena Maniatopoulou Hadjipanayi, Chief People Officer von Tototheo Maritime, versucht in ihrem Beitrag mit dem Titel „Entschlüsselung des Wohlbefindens von Arbeitnehmer:innen“ eine Antwort darauf zu geben. Es gibt zahlreiche Arten von Wohlbefinden: mentales, emotionales, soziales, finanzielles und körperliches Wohlbefinden. In Zypern können Arbeit-geber:innen mit Hilfe von Hilfsprogrammen für Arbeitnehmer:innen vertrauliche und freiwillige Programme anbieten, um Arbeitnehmer:innen bei der Bewältigung persönlicher oder arbeitsbezogener Probleme zu unterstützen, die ihr Wohlbefinden, ihre Gesundheit oder ihre Arbeitsleistung beeinträchtigen können. „Das reicht von Beratung und psychologischer Betreuung über Krisenintervention bis hin zu finanzieller und rechtlicher Unterstützung. Die Arbeitgeber:innen wissen, dass es für das Unternehmen von Vorteil ist, wenn die Arbeitnehmer:innen nicht mit über-wältigenden persönlichen Stressfaktoren zu kämpfen haben“, so Maniatopoulou Hadjipanayi. „Infolge von Misstrauen, schlechter Förderung und Stigmatisierung werden die Hilfsprogramme für Arbeitnehmer:innen allerdings nur zu 10 % genutzt“, fügte sie hinzu.

Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz

Ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist die Art und Weise, wie ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin von seinen/ihren Vorgesetzten und Kolleg:innen behandelt wird. (Sexuelle) Belästigung und (physische, psychische sowie Cyber-) Gewalt  am Arbeitsplatz sind wichtige, nicht zu vernachlässigende Faktoren, die das Gefühl der Zufriedenheit und Freude an der Arbeit bestimmen. Sexuelle Belästigung, Mobbing und Bossing (Psychoterror durch den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin oder die Geschäftsleitung gegenüber einem Arbeitnehmer bzw. einer Arbeitnehmerin) haben dramatische Auswirkungen auf die Psyche von Menschen. Warum scheint es also unmöglich zu sein, Mobbing und Gewalt auszurotten und zu bekämpfen? Die größten Hindernisse sind die Kultur des Schweigens, ein mangelndes Bewusstsein, Machtdynamiken, Schuldzuweisungen an die Opfer, die Gesetzgebung und Schwierigkeiten bei der Beweisführung“, so Irina Semjonova, Beraterin der lettischen vereinigten Polizeigewerkschaft. Lösungen sollten auf Unternehmensebene und in der Gesellschaft gefunden werden. Irina Semjonova zufolge „müssen wir die Menschen über die Folgen aufklären, wir müssen Gesetze erlassen und Mechanismen entwickeln, die die Misshandlung von Kolleg:innen unmöglich machen. Wir brauchen eine Nulltoleranz und ein öffentliches Bewusstsein.“

Bedeutung von Einfluss

Der letzte Referent befasste sich mit der Macht des Einflusses und mit der Frage, wie man Parameter für das Wohlbefinden festlegen kann. Wolfgang Pischinger, Präsident von WOW-Europe und FCG/GPA in Österreich, erörterte die Möglichkeiten, wie Einflussnahme Missbrauch einschränken und das Wohlbefinden verbessern kann. In Gruppen diskutierten die Delegierten darüber, was für sie im Zusammenhang mit Wohlbefinden wichtig ist. Jane Heitmann, Präsidentin von Krifa, erklärte: „Die EU-Politik ist entscheidend. Für uns als Gewerkschaften ist es wichtig, dass wir in Europa Einfluss nehmen können.“

Das Wohlbefinden betrifft uns alle, und es ist richtig, dass wir gemeinsam dafür sorgen sollten, dass die Menschen Freude an ihrer Arbeit haben und mit den Ergebnissen zufrieden sind, sowohl auf persönlicher Ebene als auch auf betrieblicher und gesellschaftlicher Ebene. Die Zeit am Arbeitsplatz macht einen großen und wichtigen Teil des Lebens der Menschen aus, und wir müssen auf diese Menschen Rücksicht nehmen. Die Gewerkschaften spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie die Standards setzen. Dennoch, so wurde einmal mehr deutlich, bleibt noch viel zu tun.