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Klimaschutz und Arbeitswelt – Wie sozial ist der Grüne Deal?

Nur durch einen sorgsamen Umgang mit dem Planeten können wir sicherstellen, dass die kommenden Generationen einen intakten Lebensraum mit hoher Lebensqualität vorfinden. Über dieses Ziel sind sich in der EU alle einig. Ein Blick auf die stockende Realität in der Umsetzung macht jedoch zwei markante Hürden offenkundig: Es fehlt an der Zielstrebigkeit bei der Umsetzung des epochalen Strukturwandels im Wirtschaftssystem und im Konsumverhalten und der soziale Dialog, der unverzichtbar ist, um den Transformationsprozess sozial gerecht zu gestalten, muss diese Frage erst noch stärker in den Blick nehmen. Dies ist das Fazit des internationalen Symposiums des Arbeiter-, Freizeit- und Bildungsvereins (AFB) und des Europäischen Zentrums für Arbeitnehmerfragen (EZA) am 20. und 21. Mai 2022 unter dem Titel „Klimaschutz und Arbeitswelt – Wie sozial ist der Grüne Deal?“ in Brixen (Italien).

An der Tagung nahmen über 70 Vertreter*innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Südtirol/Italien, Deutschland, Österreich, Luxemburg, Belgien, Bulgarien, Serbien, Portugal und Polen teil. Das Symposium wurde finanziert durch die Europäische Union.

Die Vertreter*innen von Gewerkschaften und anderen Arbeitnehmerorganisationen sowie Expert*innen befassten sich mit den wirtschaftlichen, beschäftigungspolitischen und sozialen Risiken dieses Umbruchs. Die 2015 beschlossene zukunftsweisende Nachhaltigkeitsagenda 2030 der Vereinten Nationen hat dazu beigetragen, die Menschen weltweit für die ökologische Dimension zu sensibilisieren. Zahlreiche wissenschaftliche Studien in den einzelnen Ländern und auf regionaler Ebene und insbesondere die Berichte des Weltklimarates IPCC untermauern die Erkenntnis, dass eine radikale Neuausrichtung des Wirtschaftssystems erforderlich ist, um den fortschreitenden Klimawandel in den Griff zu kriegen. Noch ist die internationale Gemeinschaft imstande, dessen Folgen so zu steuern, dass unwiederbringliche Beeinträchtigungen der Lebensräume der Menschen und des ökologischen Gleichgewichts vermieden werden können. Pandemie und Ukrainekrieg haben den Reformeifer der EU-Staaten und die Innovationsbereitschaft der Unternehmen allerdings sichtlich eingebremst. Es liegt vor allem an den einzelnen Ländern, aufgrund der Zielbestimmung durch den EU-Green Deal ökokompatible Umstrukturierungsprogramme für die Industrie, die Bauwirtschaft, die Energieversorgung, die Verkehrspolitik und die Landwirtschaft zu erarbeiten. Die Bürger*innen müssen sich darauf einstellen, ihre Konsumgewohnheiten zu ändern und an neuen Wohlstandskriterien auszurichten.

Die Gewerkschaften unterstützen das Ziel der EU, innerhalb des Zeitraums bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen um 55% zu senken und innerhalb des Zeitraums bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität des EU-Wirtschaftsraums anzuvisieren. Sie fordern die Einlösung des Versprechens der Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, „niemanden zurückzulassen“. Grundlegend hierfür sind mehr Transparenz und Mitsprache bei der Ausgestaltung des Transitionsprozesses und der Nutzung der von der EU bereitgestellten Förderungstöpfe, in erster Linie des Just Transition Fund. Noch gibt es wenig Echo auf ihren Vorschlag, nationale und regionale Transformationsräte einzurichten, um in einem strukturierten Trialog konsensorientiere Lösungen zur Gestaltung der verschiedenen Etappen (Just Transition) des Strukturwandels in Industrie, Bauwirtschaft, Energiesektor, Verkehrsnetz und Landwirtschaft zu erarbeiten.

Die Politik steht in der Verantwortung, in dem anstehenden Prozess der gesellschaftlichen Neuorientierung den Fokus auf die ökologischen Zielsetzungen im Blick zu behalten. Es ist ihre Aufgabe, als Moderatorin Lösungen herbeizuführen, die bewirken, dass die Lasten des ökologischen Wandels des Wirtschafts- und Konsumsystems gerecht auf viele Schultern verteilt werden. Unter dem Druck der Interessenlobbys und geschwächt durch einen starken Vertrauensverlust in der Bevölkerung fällt es ihr schwer, diese Anforderungen zu erfüllen. Die Gewerkschaften, die von der Politik mehr Tempo und Zielstrebigkeit bei der Umsetzung des Green Deal fordern, sind als Interessenvertretung eines großen Teils der Bevölkerung ein wichtiger Partner der Politik bei der Ermittlung von auf breiter Ebene konsensfähigen Lösungen.

Damit Arbeitnehmer*innen und sozial schwache Gruppen in der Gesellschaft nicht unter die Räder kommen, braucht es ausgewogene Lösungen zwischen Profitstreben, ökologischer Rücksichtnahme und sozialer Sicherheit. Zentrale Anliegen der Gewerkschaften in der Gestaltung der vermutlich langanhaltenden Phase des Übergangs sind Einkommensgarantien und Sozialpläne sowie Angebote zur beruflichen Umschulung und zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit für Arbeitnehmer*innen, denen aufgrund der Umstellung auf neue Produktionszweige und Technologien der Verlust des Arbeitsplatzes droht. Es müssen neue Ausbildungsangebote geschaffen werden, um die jungen Menschen rechtzeitig mit den künftig erforderlichen Qualifikationen auszustatten. Schließlich verlangen die Gewerkschaften soziale Abfederungsmaßnahmen für Menschen, die aufgrund des Mismatch zwischen früher erworbenen beruflichen Qualifikationen Qualifikation und aktuellen Stellenangeboten keine Arbeit finden, sowie Unterstützungen für den Fall, dass fehlende Arbeitsangebote auf lokaler Ebene eine hohe Mobilitätsbereitschaft erfordern. Auch die Steuerpolitik ist als zentrales gesellschaftliches Steuerungsinstrument für den ökokompatiblen Transformationsprozess zu nutzen.

Für die Verlierer*innen des Wandels und generell für sozial benachteiligte Menschen und solche mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze muss ein angemessenes Mindesteinkommen und die Leistbarkeit von Wohnen und Energieversorgung gewährleistet werden. Es gibt aber auch „alte Baustellen“ des seit den 90er Jahren eingesetzten Prozesses der wirtschaftlichen Umstrukturierung und des damit einhergegangenen Abbaus von sozialen Schutzmechanismen und Mitbestimmungsrechten. Es besteht die Gefahr, dass ohne entsprechende Vereinbarungen der Tarifparteien die Proletarisierung der Arbeitnehmer*innen und der schleichende Abbau der sozialen Sicherungssysteme sich nochmals zuspitzen. In erster Linie ist der Prekarisierung der Arbeitsverträge ein Riegel vorzuschieben: Arbeit muss ein existenzsicherndes Einkommen und eine angemessene Rente gewährleisten. Dringend benötigt werden flexible Regelungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Sozialpartnerschaft muss eine stärkere Dynamik entfalten, damit in dieser Transition eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer*innen auf Augenhöhe stattfindet.

Mit Nachdruck verweisen die Gewerkschaften darauf, dass es erforderlich sein wird, die seitens der EU bereit gestellten Mittel nochmals aufzustocken und künftig laufend Finanzierungen für die Stärkung des Wirtschaftssystems und dessen Innovation sowie zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme zur Verfügung zu stellen. Hochrechnungen zum Umfang der Aufwendungen für die Dekarbonisierung bedeutsamer Industriezweige zeigen, dass auch die einzelnen Länder in ihren Haushalten ein Vielfaches der bisher in Aussicht gestellten Mittel einplanen müssen. Befürwortet wird schließlich die Einrichtung eines zusätzlichen Fonds für Investitionen für die Verbesserung der Energieeffizienz der Gebäude und die Ausstattung mit umweltverträglichen Technologien sowie zur Linderung der Energiearmut. Diese Maßnahmen sollen vor allem armutsgefährdeten Haushalten und Kleinstunternehmen zugutekommen sowie den Bedarf im ländlichen Raum berücksichtigen.

Die Unternehmen müssen stärker in die Verantwortung genommen werden, in einem bestimmten Umfang selbst soziale Verantwortung für das Wohlergehen und die Beschäftigungssicherheit ihrer Mitarbeiter*innen zu übernehmen, etwa über betriebliche Sozialleistungen, Sozialpläne für Umstrukturierungen oder die Förderung der Weiterbildung und die Gleichbehandlung von Festangestellten und prekär Beschäftigten. Es ist unerlässlich, sich von einer der ökologischen und sozialen Verantwortung losgelöste Profitmaximierung als zentrales Paradigma der unternehmerischen Tätigkeit zu verabschieden. Bereits vor 50 Jahren hat der Club of Rome eine wegweisende Studie zu den Grenzen des Wachstums vorgelegt. In all den Jahren seither ist es versäumt worden, die Hochrechnung der ökonomischen Kennzahlen eines allein auf Profitmaximierung ausgerichteten Wirtschaftssystems ernst zu nehmen und auf die ökologischen Alarmsirenen zu hören. Es ist dieser Sachverhalt, der in der Bevölkerung die Sorge umtreibt, dass es auch jetzt und in den nächsten Jahren nicht gelingen könnte, umgehend die richtigen Weichenstellungen einzuleiten. Umso wichtiger ist es, dass die Gewerkschaften sich in dieser Zeit des Umbruchs Gehör verschaffen, damit verantwortungsbewusste und zukunftstaugliche Entscheidungen getroffen werden.