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Der europäische Grüne Deal – Risiko und/oder Chance für Arbeitnehmer:innen durch Transformationen

Im Dezember 2019 hat die Kommission mit ihrem „europäischen Green Deal“ einen viel diskutierten Aufschlag für ein klimapolitisches Aktions- und Investitionsprogramm vorgelegt, mit dessen Hilfe Europa im Jahr 2050 klimaneutral wirtschaften soll. Bei dieser Weiterentwicklung der EU spielt der Soziale Dialog eine wichtige Rolle, um Arbeitsplätze zu schützen – sowohl quantitativ wie auch qualitativ.

Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen müssen klar Position beziehen und den Prozess aktiv mitgestalten. Aus Sicht des DGB z.B. „ist der Kommissionsvorschlag, den Strukturwandel in den europäischen Regionen aktiv zu gestalten und sozial abzufedern“, richtig. Allerdings erwartet der DGB auch, dass Regionen förderfähig werden, bei denen zukünftig strukturelle Umbrüche durch den klimapolitisch bedingten Wandel anstehen und auch ein Sicherheitsnetz für vom Wandel betroffene Beschäftigte gespannt werden muss, wo national keine ausreichende Absicherung erfolgen kann.

In unserem Seminar zum Thema „Der europäische Grüne Deal – Risiko und/oder Chance für Arbeitnehmer:innen durch Transformationen“, das vom 24. Bis 27. August 2022 in Arles / Frankreich stattfand sammelten zirka 35 Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Bulgarien, Rumänien gewerkschaftlichen Positionen zum Green Deal Impulse, Konzepte, Standpunkte, Status Quo-Informationen, um Handlungsmöglichkeiten zum Erstellen von Handlungsempfehlungen für den sozialen Dialog zu erstellen.

Das Seminar wurde organisiert von NBH (Nell-Breuning-Haus), mit Unterstützung von EZA und finanziert durch die Europäische Union.

Die wichtigsten Aspekte des Seminars

1. Das ökonomisches Ungleichgewicht in den EU-Ländern verhindert/verlangsamt den ökologischen Wandel mit sozialem und menschlichem Antlitz.

2. Der durch alle EU-Länder beschlossene Green Deal überfordert vor allem in den südosteuropäischen Nationen die Politik.

3. In den westlichen EU-Nationen geht der ökologische Wandel schneller, weil mehr Kapital und Know How vorhanden ist.

4. Die Herausforderungen für die Arbeitswelt und den sozialen Zusammenhalt werden in der EU-Kommission nicht wirklich wahrgenommen.

5. Der Dialog zwischen den Sozialpartnern und der Politik ist vor allem in den südöstlichen EU-Nationen auf einem Tiefpunkt.

6. Die Sozialpartner stehen in der Verantwortung, den Strukturwandel in besonders gefährdeten Regionen der EU sozial zu gestalten und die Menschen nicht im Stich zu lassen.

Gerade jetzt ist dieses Seminar von Wichtigkeit.

Der europäische Green Deal soll den ökologischen Umbau der EU-Staaten unterstützen und beschleunigen. Dabei zeigt sich vor allem, dass es ein Gefälle und unterschiedliche Geschwindigkeiten in und zwischen den Ländern gibt. Vor allem die sozialen Auswirkungen auf die arbeitenden Menschen stehen bisher nicht im Mittelpunkt dieses Wandels. Denn Arbeitsplätze gehen bereits jetzt da verloren, wo umweltschädliche Industrien und Energieproduktionen stillgelegt oder umgebaut werden. Gleichzeitig wird dieser Umbau mit der Digitalisierung in allen Bereichen des Lebens verknüpft. Und nicht zuletzt müssen sich die Menschen auch ökologische Erneuerung, wie zum Beispiel Solarkollektoren, E-Mobile und umweltfreundliche Heizsysteme leisten können. Alles ist verbunden mit guten sozialen Bedingungen für die Menschen, mit dem Erhalt und der Neuschaffung von Arbeitsplätzen und guten Arbeitsbedingungen. Diese Forderungen sind zurzeit in Gefahr, nicht realisiert zu werden.

Themenfelder des Seminars

Daniel Freund, MEP aus Brüssel berichtet (online) über die Struktur und Ziele des europäischen Green Deal. Dabei geht es vor allem um die verschiedenen Gesetzesvorhaben in allen Bereichen (z.B. Verkehr, Gas, Öl, Kohle, Wärme, Strom, Bau, Landwirtschaft), die die Wirtschaft umbauen sollen, um sie von diesem Wandel profitieren zu lassen. Dies bewirke Innovationen, neue Technologien wie die Digitalisierung und dadurch gute Arbeitsplätze. Es geht auch um viele EU-Zertifizierungen für ökologische Maßnahmen im nationalen und EU-Raum. Ein Beispiel ist das Ende des fossilen Verbrennungsmotors ab dem Jahre 2035, für das bereits eine EU-Verordnung vorliegt. Bei allen Gesetzen gehe es darum, Lobbyinteressen so auszugleichen, dass alle gesellschaftlichen Schichten und vor allem die Menschen nicht benachteiligt werden.

Luciana Hutapea, VDI Technologiezentrum GmbH aus Düsseldorf, berichtet (online) über die Veränderungen, die im Rahmen des Green Deal auf die arbeitenden Menschen zukommen. Dazu gehören zum Beispiel die EU-Chemikalienstrategie zur Verhinderung schädlicher Chemie, digitalisierter ökologischer Nah- und Fernverkehr, Verbesserung von Produktionsprozessen, Verhinderung von Auslagerung von umweltschädlicher Herstellung in Nicht-EU-Gebiete etc. Drohender Arbeitsplatzverlust durch den Abbau von umweltschädlichen Produktionen und Arbeitsplätzen wird durch Weiterbildung/Berufsbildung für eine neue Tätigkeit verhindert, die dann in den ökologischen Produktionsprozessen ihren Platz findet.

Ludovic Voet, EGB referiert über einen für die Menschen gerechten Übergang in eine ökologische Welt und über eine verantwortungsvolle und bewusste Klimapolitik. Dabei beklagt er, dass es durchaus Klimakrisengewinner gibt, die unverändert hohe Dividenden auszahlen und Übergewinne einstreichen. Dieses Geld fehlt dann für Lohnerhöhungen und berufliche Ausbildung, um die Menschen in die Lage zu versetzen, den ökologischen Wandel auch tragen zu können. Der EGB wehrt sich gegen die Maßnahmen des Green Deal, die politisch auferlegt werden und die Menschen sozial zu Opfern dieser Klimapolitik machen. Daher ist es wichtig, dass die Gewerkschaften soziale Gerechtigkeit fordern, sich der „rigorosen“ Umsetzung des Green Deal entgegenstellen und alternative Wege fordern.

Vladimir Topalov, Vorsitzender der bulgarischen Minengewerkschaft, und Evgeni Ivanov, bulgarische Energiearbeiter-Gewerkschaft, erzählen über den ökologischen Umbau von Kohlekraftwerken. Bulgarien war einmal der größte Exporteur von Strom in die Balkanländer. In Bulgarien findet sich ein großes Braunkohlebecken. Da viele Kohlekraftwerke inzwischen geschlossen wurden, muss Bulgarien heute Strom importieren. Da der Termin für das Einsparen von CO2 nicht zu halten ist, hat die EU hier eine Verlängerung bewilligt. Es ist eine große und schwere Aufgabe für Bulgarien, die Vorgaben überhaupt rechtzeitig zu erfüllen. Wenn Kohlezechen und Kohlekraftwerke geschlossen werden, gibt es viele arbeitslose Menschen ohne Zukunftsperspektive. Die CO2-Belastung sinkt zwar, aber die Verarmung nimmt zu, und dies ist keine Alternative. Zumal die Energiepreise für den importieren Strom in Bulgarien ebenso hoch seien wie im Rest der EU. Zwar gibt es jetzt ein Kraftwerk nach aktuellen Öko-Standards, aber es liegt in einer Industrieregion, weitab von den ländlichen Gebieten. Bulgarien hat zum Beispiel viele Binnenseen. Aber alternative Energiegewinnung aus Wasserkraft kosten viel Geld, das Bulgarien nicht hat. Die beiden Referenten beklagen die zunehmende Schweigsamkeit zwischen den Sozialpartnern. Es findet kein sozialer Dialog mehr statt. Und die Schuld wird hauptsächlich bei den Gewerkschaften gesehen.

Florin Hossu, Präsident der rumänischen Gewerkschaft CNS Cartel Alfa der Region Maramures, erzählt aus seiner Region, einer Kohleregion. Die Region war der wichtigste Treiber der Entwicklung dank Kohle und anderer Bodenschätze. Die Umwelt spielte keine Rolle. Ab 1996 wurde der Bergbau stillgelegt und die Arbeitslosigkeit stieg an. Der soziale Abstieg ist bis heute nicht gestoppt. Wenngleich es durch die Gewerkschaften erstrittene Ausgleichszahlungen gab. Die Umwelt ist dort nach wie vor geschädigt. Eilig gebaute Kläranlagen konnten die in die stillgelegten Bergwerke eindringenden Wassermassen nicht von Vergiftungen befreien. Die von der EU zur Verfügung gestellten Geldmittel zur Kontrolle dieser Gebiete ist in falsche Hände geflossen. Die EU soll eine umfassende Strategie vor allem für die Arbeitnehmer*innen vorstellen, um neue Jobs bereit stellen zu können, zum Beispiel für den Erhalt und den Schutz der Umwelt.

Alin Muneteanu, Präsident der rumänischen Gewerkschaft CNS Cartel Alfa der Region Gorj, ebenfalls eine Kohleregion. Auch hier werden die Braunkohlekraftwerke durch erneuerbare Energien, zum Beispiel Geothermie, ersetzt. Durch den schnellen Verlust dieser Kraftwerke ist aber die Energieversorgung nicht mehr gesichert. Und auch Rumänien muss nun Strom importieren. Das gefährdet die Unabhängigkeit erheblich. Alle EU-Nationen mit Braunkohleverstromung haben übrigens den Termin für die Umstrukturierung um drei Jahre verlängert. Zum Beispiel Spanien, Griechenland, Ungarn, Tschechien. Diese Länder werden also bis ins Jahr 2049 Strom aus Kohle erzeugen. Rumänien ist das einzige Land, das diese Umstrukturierung umsetzt, verhandelt aber auch um eine Fristverlängerung und verbindliche Maßnahmen zur Finanzierung und zur Sicherung der Arbeitsplätze.

Dr. Manfred Körber, Leiter des Nell-Breuning-Hauses, Deutschland, berichtet über den Strukturwandel in der Braunkohleregion im Rheinischen Braunkohlerevier. In dieser Region leben zirka 2,1 Millionen Menschen, die ihre Dörfer verlassen mussten, weil sie auf Braunkohleflözen lagen. Es gab über viele Jahre erbitterten Widerstand der Bevölkerung gegen diese Maßnahme einerseits und gleichzeitig viel Protest für die Beendigung des Braunkohlebergbaus in dieser Region. Im Jahre 2018 hat die so genannte „Kohlekommission der Regierung“ den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 beschlossen. Zirka 15 Mrd. Euro sind für den Strukturplan vorgesehen, der auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze beinhaltet. Seitdem sind die Sprache und der soziale Umgang miteinander kooperativer und zukunftsorientiert. Heute geht es um die Verteilung der Mittel. Zum Beispiel für einen neuen Sonnenenergie-Park der Stadt Herzogenrath, der es der Glasindustrie ermöglicht, saubere Energie zu beziehen. Oder die stattfindenden „Kohlegespräche“ des Nell-Breuning-Hauses, auf denen Politik, Unternehmen und Bürger über die soziale und beschäftigungsmäßige Zukunft der Region sprechen.

Zwei Exkursionen runden das Thema ab.

Der Besuch der ökologischen Landwirtschaft „Mas de Valeriole“ der Familie Michel. Angebaut werden Reis, Tomaten, Wein etc. Da die Region durch zunehmende Trockenheit belastet ist, wird eine strenge Süßwasserzuteilung über ein spezielles Kanalsystem gewährleistet. Die Familie bewirtschaftet seit Generationen den Hof und hat viele Mitarbeiter*innen, die sozial gerecht abgesichert sind und für die der Umweltschutz und der Schutz der Natur im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen.

Der Besuch und die Besichtigung der „La Manade Thibaud“ der Familie Oliver Thibaud im Regional-Park Camargue, eine traditionelle Rinderzucht, zeigt, dass Ökologie und Tierhaltung keine Gegensätze sind.

Erkenntnisse/Konsequenzen/Forderungen/Umsetzung/Beschlüsse/Empfehlungen

Für die Veranstalter und Teilnehmenden dieses Seminars sind folgende Erkenntnisse gereift:

1. Die besonders durch ihre soziale Lage verletzlichen Menschen dürfen nicht weiter belastet werden.

2. Die Gewerkschaften müssen stärker klarmachen, dass die Menschen im Mittelpunkt dieses Wandels stehen, und dies auch im Rahmen der Sozialpartnerschaft durchsetzen.

3. Auch in den westlichen EU-Staaten sind große Teile der Bevölkerung zur Zeit sozial nicht in der Lage, umweltfreundliche Energie- und Wärmeträger zu bezahlen.

4. Gleichzeitig müssen Gewerkschaften in der nationalen und EU-Politik ihren Einfluss verstärken, um sozial verträgliche Arbeits- und Lebensbedingungen im Rahmen des Green Deal in entsprechende Gesetze auch wirklich zu verankern.

5. Der Green Deal darf nicht weiter das soziale Gefälle zwischen West- und Osteuropa verstärken. Vor allem in den südosteuropäischen EU-Ländern nimmt der soziale Abstieg der Menschen durch die geforderten Green Deal Prozesse zu.

6. Rumänien und Bulgarien fühlen sich durch die Maßnahmen des europäischen Green Deal benachteiligt und im Stich gelassen. Sie fühlen sich in einer „ideologische Falle“ der EU gefangen, die darauf aus ist, erst einmal alles Umweltschädliche zu zerstören (zum Beispiel in Regionen ausschließlich mit Kohleindustrie), ohne gleichzeitige Hilfe für den ökologischen Neuaufbau anzubieten. Die in diesen zerstörten Industrien arbeitenden Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz und die soziale Absicherung.

7. Es ist wichtig, auch die Chancen durch Green Deal und Digitalisierung zu erkennen: Neue Arbeitsplätze, saubere Umwelt, gute soziale Bedingungen zum Beispiel. Aber dafür müssen Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, soziale Absicherung national und EU-weit in den vom Wandel besonders betroffenen Regionen verbessert werden.

8. Green Deal und Arbeitswelt dürfen kein Gegensatz sein. Der ökologische Wandel ist keine Angelegenheit von Kapital, Cash Flow und Profit.

9. Die bereits stattfindende Klimakrise wie Trockenheit, Überschwemmung, Ernteausfälle und der zur Zeit stattfindende Krieg in der Ukraine verschärften die Lage für alle Menschen zusätzlich.

10. Die Gewerkschaften und die Bevölkerungen müssen auch einen christlich-sozialen Blick auf die die Maßnahmen von Green Deal haben und den Strukturwandel immer kritisch begleiten.

11. Dieser Status Quo ist auch für das gewerkschaftliche Handeln eine „Zeitenwende“. Gegenseitiger Erfahrungsaustausch und Unterstützung müssen effektiver werden.