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Wirtschaftswachstum und Werte: Sind sie wirklich vereinbar und wovon lassen wir uns heute wirklich leiten?

Robert Kennedy hat einmal gesagt: „Das Bruttosozialprodukt lässt die Gesundheit unserer Kinder, die Qualität ihrer Bildung oder die Freude am Spiel nicht zu. Es beinhaltet nicht die Schönheit unserer Poesie oder die Stärke unserer Ehen; die Intelligenz unserer öffentlichen Debatte oder die Integrität unserer Amtsträger. Es misst weder unseren Witz noch unseren Mut; weder unsere Weisheit noch unser Lernen; weder unser Mitgefühl noch unsere Hingabe an unser Land; es misst alles, kurz gesagt, außer dem, was das Leben lebenswert macht.“

Innerhalb der WOW gab es in letzter Zeit eine Debatte über die Notwendigkeit ständigen Wachstums. Es wurden Fragen gestellt, was passieren würde, wenn wir kein Wachstum hätten? Brauchen wir Jahr für Jahr Wirtschaftswachstum? Müssen Unternehmen Jahr für Jahr mehr Gewinn machen? Müssen Unternehmen immer größer werden? Ist ewiges Wachstum eine gute Sache? Wie würde sich das fehlende Wirtschaftswachstum auf unser Leben und unsere Gesellschaften auswirken?

Im Rahmen eines zweitägigen Seminars vom 4. bis 6. Oktober 2021 zum Thema „Wirtschaftswachstum und Werte: Sind sie wirklich vereinbar und wovon lassen wir uns heute wirklich leiten?“ In Wien diskutierten über dreißig Gewerkschaftsführer die Bedeutung von Wachstum in Verbindung mit Werten. Die Experten und Teilnehmer des Seminars, das von der Weltorganisation der Arbeitnehmer (WOW) in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen (EZA) organisiert und von der Europäischen Union unterstützt wurde, versuchten eine Antwort auf die Frage zu finden, welche der beiden, Werte oder Wachstum, leitet uns am meisten.

Der erste Redner, Herr Vahagn Jerbashian, Ph.D., Assistant Professor of Economics an der Universitat de Barcelona (Spanien), konzentrierte sich in seinem Beitrag mit dem Titel „Technologischer Wandel und Wirtschaftswachstum: Die Zukunft der Arbeit“ auf die wirtschaftlichen Mechanismen bei der Arbeit. In seinen Worten: „Die Wirtschaft kann aufgrund eines höheren Ressourcenreichtums (z. B. Akkumulation von Sachkapital) und einer effizienteren Nutzung der vorhandenen Ressourcen (dh Produktivitätswachstum) wachsen.“ Das Produktivitätswachstum ist für den größten Anteil am Wachstum verantwortlich . Wenn wir die Bedeutung von Innovation und technologischem Wandel betrachten, sehen wir, dass „große Durchbrüche von Unternehmern und Firmen mit Gewinnmotiven erzielt wurden.“ Dies führte nicht nur zu Wachstum, sondern auch zu einer erhöhten Lebenserwartung und einer geringeren Säuglingssterblichkeit. Bei der Geschwindigkeit der Entwicklungen, vor allem bei Digitalisierung und KI, ist zu befürchten, dass sich dies aufgrund fehlender Beschäftigung nur negativ auf die Gesellschaft insgesamt auswirken wird. „Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass der technologische Wandel mehr Arbeitsplätze geschaffen als verdrängt hat“.’

In „Die Rolle der Digitalisierung für mehr (ökonomische) Nachhaltigkeit“ ging Frau Birgit Wintermann, Projektleiterin der Bertelsmann Stiftung in Deutschland) auf Nachhaltigkeit in all ihren Formen ein. Die meisten Menschen denken bei Digitalisierung an mehr Effizienz, Verlust von Arbeitsplätzen, mehr Rohstoffeinsatz, höhere ökologische Schäden und höhere Gewinne. Das klingt nicht sehr nachhaltig. Digitalisierung ist aber einerseits technologischer Fortschritt, führt aber auch zu neuen Arbeitsweisen. Nachhaltigkeit hat nicht nur mit der Umwelt zu tun. Es befasst sich auch mit dem nachhaltigen Umgang mit Arbeitnehmern in einem Unternehmen. Wenn Sie dies vernachlässigen, sind die Kosten enorm. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen. Dies ist jetzt besonders wichtig, da so viele Menschen aus der Ferne arbeiten. Was wir jetzt gleichzeitig sehen, ist der Transformationszyklus Digitalisierung und der Transformationszyklus Nachhaltigkeit.

Wachstum ist nicht nur Wirtschaftswachstum. Auch auf persönlicher Ebene kann man wachsen. Dies stand im Mittelpunkt der Präsentation mit dem Titel „Von zerbrochenen Zielen zum Sinn im Leben: Lebensgestaltung in Zeiten der COVID-19-Pandemie“ von Frau Michaéla Schippers, Professorin für Verhaltens- und Leistungsmanagement an der Erasmus-Universität in Rotterdam, Niederlande. In ihrer Position als Wissenschaftliche Direktorin des Erasmus Zentrums für Studien- und Berufserfolg stellte sie sich die Frage „Warum sind Life Skills nicht Teil des Curriculums?“. Man ist auf alles vorbereitet, aber nicht darauf. Ziele setzen; Optimierung des Wohlbefindens und der Leistung des Teams und des Einzelnen; und Life Crafting sind wichtig für die Performance. Sowohl die einzelne Person als auch die Firma, das Institut, die Organisation, für die man arbeitet. Seit Beginn der Pandemie ist klar geworden, dass viele Menschen einen Sinnverlust erfahren. Dies könnte folglich die anderen negativen Auswirkungen der Krise (finanziell, mental, physisch) verstärken. Darüber hinaus betrifft es vor allem die jüngeren Generationen und künftige Arbeitskräfte. "Life Crafting-Interventionen verbessern nachweislich den Sinn des Lebens und könnten in dieser Zeit einen erheblichen Einfluss auf Funktion, Gesundheit und Wohlbefinden haben." „Durch Zielsetzungsinterventionen sehen wir, dass die Menschen ihren Sinn zurückgewinnen. Wenn Menschen sich ihre eigenen Ziele setzen, sind sie viel engagierter. Die Interventionen haben einen positiven psychologischen Effekt“, betonte Frau Schippers.

Herr Andreas Gjecaj, Generalsekretär Fraktion Christlicher Gewerkschafter (Österreich) befasste sich in seinem Beitrag „Die europäische Säule sozialer Rechte aus Sicht der Christlichen Soziallehre“ mit den 20 Prinzipien unter Einbeziehung der Christlichen Soziallehre. Diese Lehren sind das Rückgrat der FCG wie des WOW. Diese 20 Prinzipien sollen uns zu einem starken sozialen Europa führen, das fair, integrativ und voller Chancen ist.

Wirtschaft ist mehr! Wachstum, aber welches? So lautete der Titel des Vortrags von Herrn Univ. Prof. Dr. Leopold Neuhold, Direktor des Instituts für Ethik und Soziologie der Universität Graz (Österreich). Oscar Wilde schrieb einmal: "Heute kennen die Leute den Preis von allem und den Wert von nichts." Wenn wir uns Wachstum ansehen, sollten wir drei Dinge berücksichtigen:

  1. Wachstum ist nicht gleich Wachstum
  2. Wachstum ist kein Wert an sich, es ist ein leerer Wert
  3. Welchen Zielen soll Wachstum dienen?

Arbeit und Wachstum ist nicht alles. Es gibt noch viel mehr. Man sollte überlegen, was und wie Dinge produziert werden; für wen; was der Zweck der Arbeit ist. Man sollte auf Nachhaltigkeit achten und für zukünftige Generationen sorgen. Man sollte sich anschauen, was wirklich wichtig ist. Sich zum Beispiel um den anderen kümmern. Irgendwann ist genug genug. Epikur von Samos sagte: Wenn genug zu wenig ist, ist nichts genug.“ Das Problem ist jedoch, dass das Geschäft des Geschäfts Geschäft ist. Es gibt also widersprüchliche Perspektiven bei der Arbeit.

Eine ganz andere Perspektive präsentierte Frau Dr. Doris Schneeberger, Institut für Change Management and Management Development (Österreich). In „Expanding the Moral Circle: Longtermism and Antispeciesism“ behandelte sie das Thema aus moralischer und ethischer Perspektive. Sie erklärte den moralischen Kreislauf wie folgt: „Ein moralischer Kreis ist die Grenze, die ein Wesen um jene Wesenheiten in der Welt zieht, die dieses Wesen für eine moralische Betrachtung würdig hält.“ Was heute zu sehen ist, ist, dass „Egoismus, Apathie und Gewalt die Norm sind“. Die Spezies Mensch hat Rechte für sich selbst errungen, aber nicht für die anderen. Sie sind immer noch stark speziesistisch, was bedeutet, dass Menschen „aufgrund ihrer Artzugehörigkeit diskriminierende Wesen“ sind. „Menschen müssen aufhören, nichtmenschliche Tiere auszubeuten. Die Menschen sind aufgrund der Folgen ihrer Misshandlung anderer Tiere möglicherweise vom Aussterben bedroht.“ Die aktuelle Pandemie ist dafür ein gutes Beispiel. Die Antibiotikaresistenz wächst. Die Menschen sollten die Ausdehnung des moralischen Kreislaufs wirklich beschleunigen, um die Dinge nicht weiter zu verschlimmern. Es zeigt, dass Wachstum anders betrachtet werden sollte.

Herr Mag. (FH) Josef Baumüller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter prae doc, Wirtschaftsuniversität Wien (Österreich) sprach zum Thema „Accounting for a Sustainable European Economy? – Europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung und neue Wege, europäische Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen“. Mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 nahm die nichtfinanzielle Berichterstattung innerhalb der EU zu. Gefordert wurde, „Informationen offenzulegen, die für das Verständnis der Entwicklung, Leistung, Lage und Auswirkung des Unternehmens auf seine Tätigkeit erforderlich sind“. Danach ging die nichtfinanzielle Berichterstattung zurück. Stattdessen wurde ein neues System zur Transparenz der Nachhaltigkeit innerhalb der EU eingeführt. Hier wurde der Wert für die Gesellschaft untersucht. Und man sieht: „Die Ergebnisse zeigen, dass die positiven Effekte die negativen Auswirkungen unseres Wirtschaftens auf jeder betrachteten Stufe der Wertschöpfungskette deutlich übersteigen“. Es lohnt sich also, sich bei dieser Art der Buchhaltung Mühe zu geben.

Die Abschlusspräsentation war zum Thema „Bedeutungsvolle Arbeit“. Frau Ike Wiersinga, Mitglied des Vorstands WOW-Europe und Verhandlungsführerin CNV Vakmensen (Niederlande) begann mit der Frage, was für Sie sinnvolle Arbeit ist. Sinnvolle Arbeit, Arbeit mit Bedeutung wird oft als ein vager Begriff angesehen. Frau Wiersinga als Verhandlungsführerin wurde gebeten, es praktischer zu gestalten, und sie tat dies, indem sie es in zwölf Unterthemen unterteilte. Um nur einige dieser Unterthemen zu nennen: Sicherheit, Zufriedenheit, Werte, Ethik, Autonomie, Bedeutung. Anschließend verband sie diese zwölf Unterthemen mit kollektivvertragsrelevanten Themen. Durch diesen Ansatz haben die Mitarbeiter wirklich das Gefühl, dass es ihr GAV ist. Dass sie ihren CLA wirklich besitzen. Dies hat einen Zusammenhang mit der Mitbestimmung. Es gibt eindeutig eine Entwicklung in Richtung und damit ein Wachstum des Eigentums. 

Wirkt sich Wirtschaftswachstum also nur negativ auf die Werte aus? Sicherlich nicht. Das Wirtschaftswachstum hat auch zu einem Perspektiv- und damit Wertewandel geführt. Und steigende Lebensstandards machen unsere Gesellschaften offener, toleranter und demokratischer. Das schafft Raum für die Umsetzung von Werten und das Streben der Menschen nach Dingen, die ihnen und der Gesellschaft insgesamt wichtig sind. Was uns bei WOW leitet, sind unsere Werte. Wir glauben, dass Werte grundsätzlich immer vor Wirtschaftswachstum stehen sollten. Wirtschaftswachstum sollte niemals auf Kosten anderer gehen.