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Evaluierungs- und Perspektivenseminar des EZA-Sonderprojekts für Arbeitnehmerorganisationen im westlichen Balkan

Am 11. März 2021 fand das jährliche Evaluierungs- und Perspektivenseminar des EZA-Sonderprojekts für Arbeitnehmerorganisationen im westlichen Balkan statt. Es fand als Online-Veranstaltung statt, gehostet in Wien / Österreich, und organisiert von ÖZA (Österreichisches Zentrum für Arbeitnehmerbildung), mit Unterstützung von EZA und der Europäischen Union.

Die Teilnehmer/innen kamen aus Arbeitnehmerorganisationen aus: Albanien, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Kosovo, Kroatien, Montenegro, Nord-Mazedonien, Niederlande, Österreich, Rumänien, Serbien, Ukraine und Ungarn.

Eröffnung des Seminars und Begrüßung: In seinem Grußwort weist ÖZA-Präsident Norbert SCHNEDL darauf hin, dass EZA bereits seit 2011 diesen Westbalkan-Schwerpunkt vorantreibt. Dabei wurden „Netzwerke“ und „Bildungs-Allianzen“ gegründet, welche tragfähige Strukturen für den sozialen Dialog ermöglichen. Durch das klare Bekenntnis zur Aufnahme aller Staaten des Westbalkan in die EU wollen Gewerkschaften die Integration mitgestalten.

In seiner inhaltlichen Einführung stellt FCG-Generalsekretär Andreas GJECAJ die Modalitäten und den Ablauf des WEB-Seminars vor.

LÄNDERBRICHTE: Arbeitnehmerinteressenvertretung in Zeiten der COVID-19-Pandemie – Herausforderungen und Chancen: In seiner Einführung erläutert Moderator Norbert KLEIN, EZA, dass ein Fragebogen versendet wurde. Es soll kurz beschrieben werden, welche Ängste und Schwierigkeiten Arbeitnehmer/innen erleben; wie sie in Maßnahmen eingebunden sind; wie sich die Krise auf die Mitglieder auswirkt; wie die Krise die Arbeitswelt verändern wird.

ALBANIEN – Bilbil KASMI: Die albanische Wirtschaft wurde deutlich geschwächt, besonders betroffene Sektoren: Hotellerie, Tourismus, Handel Transport. Die Arbeitslosigkeit stieg von 11,2 auf 14%. Ausgangsbeschränkungen haben alle betroffen, nur 43% der Jugendlichen sind in Beschäftigung.

WOW – Björn van HEUSDEN: Mitgliedsorganisationen sind sehr unterschiedlich betroffen. Besonders informelle Wirtschaft wurde geschwächt, in Entwicklungsländern sind soziale Netze sehr wichtig: Familie, Freunde, Dorfgemeinschaft. In südlichen Ländern ging der Tourismus um 90% gegenüber der Zeit vor der Pandemie zurück.

RUMÄNIEN – Viorel ROTILA: Die Regierung versucht, die Gewerkschaft zu schwächen. Es gibt Aktionen gegen Arbeitnehmer/innen im öffentlichen Dienst. Falsch-Informationen über COVID 19 Pandemie werden verbreitet, es herrscht eine komplett unsichere Datenlage.

KOSOVO – Avni AJDINI: Durch COVID 19 wurde die Beschäftigungssituation (ca. 30% Arbeitslosigkeit) weiter verschlechtert. Bauwesen, Hotellerie, Gastronomie sind besonders betroffen. Es besteht der große Wunsch, die Grenzen in die EU für Kosovo zu öffnen.

KROATIEN – Jadranko VEHAR: Die geschlossenen Grenzen wirken sich katastrophal aus – es fehlen die Einnahmen aus dem Tourismus. Der Mindestlohn liegt bei Euro 420,00, die Durchschnittsrente bei Euro 300,00. Seit der EU-Mitgliedschaft sinken die Zahlen der Gewerkschaftsmitglieder, es besteht leider auch viel Korruption. Viele Beschäftigte arbeiten im Home-Office, ohne gesetzliche Regelung. Derzeit bleiben mehr Junge im Land, aber es gibt die Sorge, dass nach Ende der Pandemie wieder viele junge Menschen abwandern.

NORD-MAZEDONIEN – Jakim NEDELKOV: Mit relativ hoher Zahl an Toten ist die Situation schwierig. Die Folgen der Pandemie werden das Land mindestens 3 – 4 Jahre prägen. 10% der Arbeitnehmer/innen haben den Arbeitsplatz verloren. Korruption bewirkt, dass Fördergelder zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemiemissbräuchlich verwendet wurden. Es besteht die Hoffnung, dass in der Pandemie genutzte neue Arbeitsmethoden auch danach angewendet werden.

MONTENEGRO – Srdja KEKOVIC: Das Land lebt stark vom Tourismus (17% aller Einnahmen). Gastgewerbe, Transport, Kunst sind am stärksten betroffen. Bei Entschädigungen der Regierung für Arbeitnehmer/innen waren Sozialpartner nicht einbezogen. Es gibt einen Kampf gegen Sonntagsöffnung im Handel. Durch Home-Office erfolgt Entgrenzung von Berufs- und Privatleben, der Umgang mit digitalen Techniken hat sich deutlich verbessert.

SERBIEN – Mara ERDELJ: Es gibt eine gute Zusammenarbeit unter den Gewerkschaften während der Pandemie. 1/3 der Beschäftigten bei Banken im Home-Office. Bei Kurzarbeit wird meist 100% des Lohnes weiterbezahlt. Es wird damit gerechnet, dass nach Corona Technologie und flexible Arbeitsformen immer wichtiger; IT-Wissen LLL und Fremdsprachenkenntnisse notwendig werden und ; Kreativität auch in Zukunft zum Schlüssel wird, um erfolgreich aus der Krise zu kommen. 

UNGARN – Judit CZUGLAR: In Ungarn gab es Notstandsverordnungen mit Dekreten und Erlässen, die auch Kollektivverträge betroffen haben. Gewerkschaften haben bei ILO geklagt, es gibt noch keine Entscheidung. Es herrscht in manchen Sektoren großer Arbeitskräftemangel. Zahlreiche Verschlechterungen in Bezug auf Arbeitszeiten und Löhne sind zu beobachten. Hauptlast der Krise von Frauen getragen.

ZUSAMMENFASSUNG – Norbert KLEIN: Die Pandemie hat alle betroffen, sich stark auf Beschäftigung ausgewirkt und Einkommen verschlechtert. Besonders Gesundheitsberufe und Beschäftigte, die im direkten Kontakt mit potentiell Infizierten standen (Lehrer/innen, Handel), waren am stärksten betroffen. Es gab und gibt viele Einschränkungen für sozialen Dialog und gewerkschaftliches Handeln. Es wurde und wird aber auch – sehr schnell – viel Neues erlernt. Die Krise ist ein Anlass, über vieles nachzudenken. Neue Formen der Arbeit werden sich weiter entwickeln (z.B. Home-Office), die Gewerkschaften müssen hier (mit-)gestalten.

Stand der Integration der Länder im Westlichen Balkan in die EU und Möglichkeiten/Rolle von Arbeitnehmerorganisationen in diesem Prozess.

Moderation Andreas GJECAJ, ÖZA

MEP Lukas MANDL, Wien/Brüssel: Als profunder Kenner des Westbalkan beschreibt er die großen Bruchlinien in der Region: Kulturen, Sprachen, Ethnien, Religionen. Zugleich sieht er die Chancen. Der Integrationsprozess ist kein Geschenk der EU-Staaten an die Beitrittsländer, sondern liegt im Interesse der Bürger/innen Europas. Die sozialen Akteure müssen eine Repräsentanz abbilden um erfolgreich zu sein.

Univ. Prof. Dr. Florian BIEBER, Graz: Er zeigt in seiner PPP, dass zwar der EU-Beitritt der Türkei massiv abgelehnt wird, aber 50% der EU-Bürger/innen einen Beitritt der Westbalkanstaaten befürworten. Zugleich beschreibt er Skepsis und Konfliktlinien: Debatte über Kriegsverbrechen, Wunsch nach Sicherheit, Radikalisierung (Religion, Nationalismus), Instabilität, Migrationsbewegungen. Auch außenstehende Akteure (Russland, China, Türkei) spielen eine Rolle. Es stekllt sich die Frage: Wie kohärent ist die Westbalkan-Politik der EU?

EZA-Vizepräsident Vesko MITOV: Bedankt sich für die ausgezeichneten Länderberichte. Derzeit wächst die Kritik an der EU: ihr wird schlechte Krisenbewältigung, eine deutlich schlechtere Impfkampagne als in den USA, Israel usw. vorgeworfen. Wir brauchen wieder mehr Solidarität, um auch im Integrationsprozess voran zu kommen, sonst kommt es zu einer Erosion der Mitgliedschaft in ganz Europa.

DISKUSSION:

Bert van CAELENBERG fordert, dass in jedem Land darauf zu achten ist, dass es einen funktionierenden sozialen Dialog gibt. Fritz NEUGEBAUER sieht die Pandemie als Brennglas, welches Bestehendes vergrößert und Europa als Kontinent der Vielfalt. EZA muss den sozialen Dialog stärken.

SCHLUSSFOLGERUNGEN – Sigrid SCHRAML, EZA

Sie betont, dass beide Schwerpunkte dieses ONLINE-Seminars hervorragend gelungen sind. Die Länderberichte am Vormittag und die Referate am Nachmittag haben tiefe Einblicke in die Situation der Region geliefert. Zum einen, die Schwierigkeiten in vielen Ländern: Arbeitsplatzverluste, Gesundheitsschutz, der Missbrauch von Fördermittel (Korruption) auch die Entgrenzung von Arbeit (Home-Office). Zum anderen wurde in der Pandemie auch ganz viel gelernt (Umgang in der digitalen Welt). Wir werden davon auch in Zukunft profitieren und EZA wird diese Themen in den kommenden Bildungsjahren weiterverfolgen. Gewerkschaften müssen als Sozialpartner in die Maßnahmen der Regierungen einbezogen werden.