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Evaluierungs- und Perspektivenseminars im EZA-Sonderprojekt zur Stärkung des sozialen Dialogs im Westlichen Balkan

Schwarzarbeit, die Liberalisierung der Märkte, ein starker Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften, die insgesamt schwache Beschäftigungssituation, Korruption und das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit – vor allem für die Arbeitnehmerorganisationen im sozialen Dialog – das sind einige der großen Herausforderungen für die Gewerkschaften in der Region Westbalkan, wie die Teilnehmer/innen des Evaluierungs- und Perspektivenseminars im EZA-Sonderprojekt zur Stärkung des sozialen Dialogs im Westlichen Balkan einhellig feststellten. Das Seminar, an dem 40 Vertreter/innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Albanien, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, dem Kosovo (als Gäste), Slowenien, Nordmazedonien, Montenegro, den Niederlanden, Österreich, Serbien und Ungarn teilnahmen, fand in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Zentrum für Arbeitnehmerbildung (ÖZA) vom 25. bis 27. Februar 2019 in Wien/Österreich statt.

In seinem Grußwort unterstrich der Ehrenvorsitzende von EZA, Bartho Pronk, Europa werde durch den Westbalkan mehr gestärkt, als es durch den eventuellen Brexit geschwächt werde.

In einer Vorstellungsrunde äußerten die Teilnehmer/innen ihre Erwartungen an das Seminar und schilderten Problemlagen in ihren Ländern: Die Ergebnisse sollen nach Brüssel getragen werden. Man wolle in der Region Westbalkan mit der Entwicklung in Westeuropa mithalten können. Es gehe um Respekt vor dem anderen, um Friedensarbeit in einer von Krieg und seinen Auswirkungen gebeutelten Region. Es gelte, die Herausforderungen, die auch von außerhalb der EU auf den Westbalkan einströmten – beispielsweise durch Russland, die USA, arabische Länder oder China – im Blick zu behalten. Tarif- und Kollektivverträge, Kapazitätsaufbau, Vernetzung untereinander, eine zersplitterte Gewerkschaftslandschaft sowie der Mindestlohn seien wichtige Themenfelder. Es fehlten nach wie vor Arbeitnehmer-Dach-Organisationen in der Region, ein „echter“ sozialer Dialog sei nur sehr schwer möglich, aufgrund von oftmals fehlender Rechtsstaatlichkeit und Rechtsverbindlichkeit gebe es wenig Planungssicherheit. Ein großes Problem sei die Perspektivlosigkeit für junge Leute in den Ländern der Region, was zu großen Migrationsströmen in Richtung Westen führe. Eine bessere Vernetzung der Arbeitnehmerorganisationen untereinander müsse unbedingt gelingen.

In seinem Referat „Strategie für eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive und für ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan“ hob Veselin Mitov, Internationaler Sekretär von PODKREPA, stellvertretender Vorsitzender von EZA und Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, die Bedeutung des Jahres 2018 als Jahr des Westbalkans hervor, ebenso die Beilegung des Namensstreits zwischen Griechenland und der EJR Mazedonien. Er betonte die Bedeutung des Westbalkans für Europa, u.a. angesichts geopolitischer Strategien von Russland, China und arabischen Ländern in der Region. Angesichts der großen wirtschaftlichen und politischen Probleme in der Region gelte es, vor allem das 2018 Erreichte wahrzunehmen, sich seinen Optimismus zu wahren und die Chancen, die die neue Strategie der EU gegenüber dem Westbalkan biete, aktiv zu nutzen.

In einem Podiumsgespräch mit Julia Beischroth-Eberl, Generalsekretärin der Österreichischen Föderation der Europahäuser, Joseph Thouvenel, stellvertretender Vorsitzender von CFTC und EZA sowie Njegos Potezica, Präsident von Sindikat Uprave und Vizepräsident des Bundes Unabhängiger Gewerkschaften Serbiens war man sich einig, dass Bildungsarbeit grundlegend ist, um ein Bewusstsein für eine europäische Identität zu bilden. Dazu sei konkretes Handeln nötig. Wenn also z.B. die Betriebsräte europäischer Unternehmen zusammenarbeiten, sei das ein konkretes Bauen an Europa. Netzwerken bedeute aber auch, Verantwortung zu übernehmen.

Der österreichische Europaabgeordnete Lukas Mandl unterstrich die friedensschaffende Bedeutung der Integration des Westbalkans in die EU. Dabei müsse auf einen Dialog auf Augenhöhe geachtet werden. Die Arbeit an Demokratie und Rechtsstaat sei nie abgeschlossen, sondern ein Dauerprozess. Durch eine EU-Mitgliedschaft würden nicht automatisch alle Probleme gelöst.

EU-Botschafter a.D. Leopold Maurer wies eindringlich auf die Bereiche hin, in denen die Region westlicher Balkan laut EU besondere Anstrengungen unternehmen müsse: Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Migration, sozioökonomische Entwicklungen, Energie, digitale Agenda und gute nachbarliche Beziehungen. Die Region solle versuchen, den positiven Schub, den es durch den EU-Gipfel im Juni 2018 gegeben habe, mitzunehmen. Dabei wäre eine Zusammenarbeit der Länder untereinander vorteilhaft, ebenso wie eine enge Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen und dem EU-Parlament. Maurer wie auch der albanische Parlamentarier Lorenc Luka betonten die Bedeutung von Arbeitnehmerorganisationen, um den Wandel zu gestalten, und sie seien Vorreiter bei der Planung und Gestaltung der Gesellschaft. Sie dürften jedoch nicht in die trügerische Falle tappen zu hoffen, dass die EU all ihre Probleme lösen wird. Vielmehr geht es darum, dass die Arbeitnehmerorganisationen in der Region aktiv eigene Kontakte zu den EU-Institutionen aufbauen und pflegen, um die Interessen der Arbeitnehmer und den sozialen Dialog als solchen vorzubringen.

In einem Gespräch über „Ein gesellschaftliches Klima für den sozialen Dialog erhalten und schaffen“ unterstrichen Veselina Starcheva, leitende Expertin bei Podkrepa, und Dijana Roscic, feste freie Redakteurin bei der Deutschen Welle,  dass alle Errungenschaften des europäischen Sozialmodells auf dem Dialog basieren. Die Gewerkschaften müssten sich bewusst sein, dass dieser Dialog viel Mühe kostet.

In den Diskussionen sowohl in den Arbeitsgruppen als auch im Plenum wünschten sich die Teilnehmer/innen – v.a. bezogen auf den Beitrittsprozess in ihren Ländern – mehr Austausch mit den europäischen Behörden und den Abgeordneten ihrer Länder. Wichtig sei dabei, dass die Arbeitnehmerrechte, um die es in den Ländern des Westlichen Balkans ohnehin nicht zum besten bestellt sei – nicht noch weiter beschnitten würden. Die Arbeitnehmerorganisationen müssten mit Bildung unterstützt werden, um bei dem Annäherungsprozess an die EU mitwirken zu können. Wichtig sei hier ein transparenter Informationsfluss. Insgesamt müssten die Arbeitnehmerorganisationen versuchen, in den einzelnen Ländern eine Korrektivfunktion zu übernehmen. Wichtig sei dabei aber ihre eigene Initiative. Dabei müsse ein besseres Netzwerken untereinander angestrebt werden, um die Solidarität untereinander zu stärken. Einig waren sich die Teilnehmer/innen, dass Europa mehr sei als Steuern und Wirtschaftsfragen. Es gehe darum, gemeinsam eine bessere Welt aufzubauen.