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Arbeitschancen 4.0 im Kunst- und Kultursektor durch das sich wandelnde und erneuernde Europa

Vom 29. bis 31. Juli 2018 fand in Doorn/Niederlande ein Seminar zum Thema „Arbeitschancen 4.0 im Kunst- und Kultursektor durch das sich wandelnde und erneuernde Europa“ statt, das mit der Unterstützung von EZA und der Europäischen Union von der Association Christian Artists organisiert wurde. Das Seminar war eine Fortsetzung früherer CA-Seminare und konkretisierte diese.

Dieses Seminar gewährte Beschäftigten im Kunst-/Kulturbereich neue Einblicke und bot ihnen praktische Unterstützung, da die Beschäftigungslosigkeit in diesem Bereich stark zugenommen hat. Neben den Beiträgen von 7 Referenten gab es auch Live-Interviews mit Künstlern aus verschiedenen Genres (Musik, Bildende Kunst, Neue Medienkunst).

Die 162 Teilnehmer kamen aus 19 Ländern. 40% der Teilnehmer waren zum ersten Mal bei einem Seminar der CA/des EZA dabei. 31% der Teilnehmer lagen in der Altersgruppe von 19-30 Jahren:

Es wurden unter anderem VORLESUNGEN gehalten vonJudith Stevenson, der früheren leitenden College-Lehrbeauftragten an der Durham University (Vereinigtes Königreich/Schottland);von Dr. Teddy Liho,Dozent für grafische Künste, Design und neue Medien an derAcademia of Sofia, Bulgarien; von Alexandra Smith, ZZP-Nederland (Gewerkschaft für selbstständige Erwerbstätige in den Niederlanden), von Dr. Lasma Licite, Dozentin für soziales Unternehmertum, Wirtschaftsethik und Personalwesen an derLatvia University für Landwirtschaft, Unternehmertum und Kommunikation; von Dr. Paul DondersGründer des internationalen Coaching-Instituts X-Pand (Deutschland, Niederlande, Südafrika usw.) sowie von Dr. Geoffrey StevensonDozent für Medienkompetenz an derUniversity of Edinburgh, Vereinigtes Königreich.

SACHVERHALTE, SCHLUSSFOLGERUNGEN UND VORSCHLÄGE, die sich aus den Diskussionen ergaben:

  1. Das Verschwinden der Arbeitgeber. Mit Beginn der Krise im Jahr 2008 begannen Regierungen, Landkreise und Stadtverwaltungen damit, im Kultur-/Kunsthaushalt drastische Einschnitte vorzunehmen. Wer war davon ausgenommen? Die nationalen Orchester, Nationalmuseen, die nationalen Ballets, die nationalen Opern usw. In diesem Kunstbereich für die Elite blieben die Beschäftigungsmöglichkeiten mehr oder weniger stabil. Arbeitet man in diesem Bereich, wird man für mehrere Jahre verpflichtet. Nur hin und wieder gibt es Wechsel. Wer war davon betroffen? Die Ebene unterhalb dieser nationalen Ebenen, und zwar die Produktionshäuser, die so viele Bands, Chöre, kleine Theater und Ausstellungen auf den Weg brachten und damit die Mehrheit der Kunst- und Kulturschaffenden beschäftigte. Mit dem Verschwinden dieser Produktionshäuser verloren auch viele Künstler und Kulturschaffende ihre Arbeit. Die Folgen der Maßnahmen der Stadtverwaltungen und ihrer Budgetkürzungen: weniger Geld für lokale Kulturzentren und weniger oder überhaupt kein Geld für lokale Musikschulen, Tanzschulen, Theater usw. Mit dem Ergebnis, dass beispielsweise in den Niederlanden 50% aller lokalen Musikschulen, Theatergruppen usw. geschlossen wurden und buchstäblich tausende Musiklehrer, Tanzlehrer, Schauspieler und Kunstlehrer ihre Arbeit verloren. 60% der Galerien machten dicht. Da diese Menschen einen starken natürlichen Drang besitzen, künstlerisch tätig zu sein, Musik zu machen, zu tanzen und zu schauspielern, blieb ihnen keine andere Wahl als der Weg in die Selbstständigkeit.
  2. Das Problem von Tarifverhandlungen. Für nationale Orchester, nationale Museen, nationale Ballets, nationale Opern und die nationalen Medien gelten Tarifverträge. Die übrigen lokalen Musikschulen und Kunstzentren haben meistens ebenfalls Tarifverträge. Vor 2008 gab es auch Tarifverträge mit Produktionshäusern, was ein angemessenes Einkommen und alle sonstigen wichtigen Sozialleistungen sicherte. Mit dem Verschwinden dieser kleinen Vertragspartner (= Produktionshäuser) verschwanden auch Fairness, eine angemessene Vergütung und soziale Sicherheit. Diese kleinen Produktionshäuser waren für einen großen Teil der Arbeit und eine anständige Bezahlung, einschließlich aller Solidaritätsbeiträge, unverzichtbar.
  3. PROBLEME der selbstständig Erwerbstätigen:
    1. Niedriges Einkommen: Neueste Berichte (Deutsche Musikrat, SER (Sozial-Ökonomischer Rat, Niederlande) und Vorträge von Teilnehmern aus anderen Ländern zeigen, dass das Jahreseinkommen eines selbstständigen Künstlers/Kultur-schaffenden am Beispiel eines Musikers oder Textdichters auf ein durchschnittliches JAHRESEINKOMMEN von 9.000 – 15.000 Euro gesunken ist. Vor der Krise konnte man mit 125 Auftritten ein vernünftiges Einkommen erzielen. JETZT sind dafür mindestens 250 Aufritte notwendig, da alle Auftritte sehr schlecht bezahlt werden. Folgen: zunehmender Stress, zunehmende Müdigkeit aufgrund des hohen Reiseaufwands. Auch bei Krankheit dürfen Auftritte nicht abgesagt werden, Familien zerbrechen – es ist kein Geld da, um Versicherungen oder sogar die Gesundheitsversorgung oder Rente zu bezahlen. VORSCHLAG 1: Hier können die Gewerkschaften helfen, günstigere Versicherungen, eine günstigere Altersvorsorge und ähnliches anzubieten oder zu verhandeln. ZZP-Nederland, FNV, der Deutsche Musikrat sind in diesen Bereichen aktiv. VORSCHLAG 2: Eine Gesetzgebung, die den Stundenpreis ausgleicht: ein Selbstständiger sollte denselben Stundenpreis erhalten wie ein Beschäftigter. Auch hier MÜSSEN die Gewerkschaften einschreiten, um dies sicherzustellen. Sonst kann es passieren, dass ihre Mitglieder arbeitslos werden. Diese Gesetzgebung kann an die jüngste Gesetzgebung angeknüpft werden, bei der Beschäftigte aus Osteuropa, die im Westen arbeiten, denselben Stundenpreis erhalten müssen wie Beschäftigte/Bürger in diesen westeuropäischen Ländern.
    2. WACHSENDE CHANCEN AUF EINE ANSTÄNDIGE BEZAHLUNG/MENSCHEN-WÜRDIGE ARBEIT: In den Vorlesungen, Live-Interviews, Diskussionen und Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass selbstständige Kulturschaffende/Künstler selbst viel tun können, um bessere Arbeits-/Einkommenschancen zu schaffen. VORSCHLAG 1: Es ist bewiesen, dass die Chancen auf Arbeit zunehmen, wenn man NEUE persönliche Mehrwerte entwickelt (Verwendung neuer Technologien, Überschneidungen mit anderen Kunstformen, Kooperationsprojekte mit anderen Kunstbereichen/Künstlern). Lebenslanges Lernen ist für den Kultur-/Kunstbereich lebensnotwendig. Der einfache Abschluss an einem Konservatorium oder einer Akademie reicht nicht aus. VORSCHLAG 2: Lebenslanges Lernen und die Teilnahme an innovationsförderlichen fachspezifischen Schulungen. VORSCHLAG 3: In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass sich ein großer Teil der Arbeit aus NETZWERKEN ergibt. Der wichtigste Rat an die Branche lautet daher: Traut Euch aus Euren Studios und Übungsräumen heraus und INVESTIERT Zeit, um Euch an neuen Netzwerken zu beteiligen, insbesondere an Überschneidungen mit anderen Kunst-formen, die sich von Eurer eigenen Kunstrichtung unterscheiden. Ein interessantes Beispiel dafür sind die Arbeitsgruppen und Anwendergemeinschaften, die in den Seminaren der Christian Artists ins Leben gerufen wurden: sie begannen damit, auch als neue Netzwerke zu funktionieren, und generieren so erwiesenermaßen neue Arbeit. VORSCHLAG 4: Manchmal brauchen jüngere Künstler ein Coaching durch erfahrenere Kollegen. Die Christian Artists ermöglichen den Zugriff auf eine interessante Liste mit sehr professionellen und erfahrenen Kunst-Mentoren: www.christianartists-academy.org. Sie ist finanziell unabhängig, da die Gewerkschaft CA sich selbst nicht als Vermittler sieht. Hier gibt es daher professionelle Unterstützung. Der Vorschlag lautet, dass mehr Gewerkschaften solche Möglichkeiten für die selbständig Erwerbstätigen erzeugen. In gewisser Weise unterstützt ZZP-Nederland derartige Verbindungen auch in anderen Bereichen.
    3. Renteneintritt: Berichte zeigen, dass selbstständige Erwerbstätige kaum Geld für die Altersvorsorge zur Seite legen. VORSCHLAG: 1. Es ist ein Gesetz notwendig, nach dem Selbstständige einen prozentualen Anteil ihres Einkommens für die zukünftige Rente sparen müssen. 2. Gewerkschaften sollten ihre Rentenfonds für Beschäftigte auch für die Geldströme von Selbstständigen öffnen.
  4. Das Problem der Lehrpläne im Kunstbereich. Seitens der verschiedenen Gewerkschaften für Künstler/Kulturschaffende und seitens vieler Teilnehmer kamen ernste Beschwerden über den Inhalt der Lehrpläne an Akademien und Konservatorien, Tanzschulen, Theaterschulen usw. Studenten müssen auf die wirklich harte Welt außerhalb des Bildungssystems vorbereitet werden. Sie werden selbstständig tätig sein und in dieser harten Welt sind ein großer Wettbewerb, schlechte Bezahlung, viele Arbeitsstunden, das Fehlen einer Rente, das Fehlen von Geld für Versicherungen und das Fehlen von Sozialhilfe bei Beschäftigungslosigkeit sowie zunehmende Gesundheitsrisiken an der Tagesordnung. VORSCHLAG: Die Lehrpläne müssen geändert werden und eine solide Vorbereitung auf eine Selbstständigkeit auf dem Arbeitsmarkt beinhalten. An dieser Stellen sollten Gewerkschaften mit den Kommissionen zur Erstellung von Lehrplänen und der Politik zusammenarbeiten, damit diese Unternehmer-Module in den Lehrplan mit aufgenommen werden. Kein Student sollte seine Ausbildungseinrichtung mit einem Abschluss verlassen, ohne dass er auf ein Leben als selbstständiger Künstler/Kulturschaffender vorbereitet wurde. Gewerkschaften können spezielle Kurse im Umgang mit all diesen Problemen in diesem Bereich anbieten: wie kann ich mein Überleben sichern, wie muss ich meine Arbeit verwalten, planen, fördern und verhandeln. Kurse zu diesen Themen werden bereits von ZZP-Nederland und von der Gewerkschaft Christian Artists angeboten. Diese Kurse haben sich als große Hilfe erwiesen.
  5. Herausforderung für die Gewerkschaften. Gewerkschaften sind es gewohnt, angestellte Beschäftigte zu organisieren. In einer Welt, in der immer mehr Menschen selbstständig sind, denken Gewerkschaften noch VIEL ZU oft, dass jeder Selbstständige auch gleichzeitig Unternehmer ist. Natürlich haben viele Selbstständige diesen Weg ganz bewusst GEWÄHLT, sie sind geborene oder ausgebildete Unternehmer. In diesen Fällen ist die Einstellung der Gewerkschaften gegenüber diesen Selbstständigen verständlich. ABER fast kein selbstständiger Kulturschaffender/ Künstler wählt freiwillig diese Status, er ist dazu GEZWUNGEN. VORSCHLAG: Aus diesem Grund sollten Gewerkschaften Maßnahmen ergreifen, um selbstständige Kulturschaffende/Künstler zu organisieren. In den Niederlanden geschah dies bei FNV und CNV/Christian Artists. Gewerkschaften können ihre Mitglieder zu Themen wie Sicherheit, Gesundheit beraten und sie bei günstigeren Gruppenversicherungen, Altersvorsorgeplänen, Zusatzausbildungen/lebenslangem Lernen usw. unterstützen.
  6. Innovationen: Viele Teilnehmer bestätigten Folgendes: Ohne Innovationen bekomme ich kaum Arbeit. Innovationen sollten aber auch ermöglicht werden. Die oben genannten Hindernisse behindern Innovationen. Gewerkschaften sollten ihre Lobby-Partner und Kontakte dafür einsetzen, um die genannten Situationen zu verbessern, damit wir faire Chancen erhalten, uns als Arbeitsschaffende zu erneuern. Innovationen sollten im Kunst-/Kulturbereich möglich sein dürfen. Wenn wir so weitermachen, wie wir es bereits während der letzten 50 Jahre getan haben, führt das in eine Sackgasse und zu noch größeren Problemen infolge der Krise. Wir kommen also zu dem Schluss, dass Innovationen der Schlüssel für neue Arbeit und angemessene Beschäftigungs-situationen sind. Zweitens: Künstler/Kulturschaffende haben nur unzureichenden Zugang zu Innovationsquellen. Genau hier liegt die tatsächliche Herausforderung für die Gewerkschaften, wenn sie ihren Mitgliedern helfen wollen. Zweitens: Wir können viel von den neuen Start-up-Unternehmen aus dem IKT-Sektor/Sektor für soziale Medien lernen. Es lassen sich Beispiele für Start-ups in ganz Europa finden. In Mailand gibt es Jungunternehmen im Bereich Design und Mode, die mit den großen Modeunternehmen und der Modeakademie vernetzt sind, in München arbeiten technische Start-up-Unternehmen mit den Universitäten und einigen Unternehmen zusammen, in Eindhoven sind Starts-ups aus den Bereichen Design mit dem Philips-Campus und der Universität verflochten, in Wageningen haben sich Start-up-Unternehmen im Bereich Landwirtschaft und High-Tech-Lebensmittel mit der Universität vernetzt, in Delft arbeiten High-Tech-Jungunternehmen mit dem Technik-Campus zusammen. Es ist nachweislich an der Zeit, dass Akademien und Konservatorien ihre Kräfte mit jungen Talenten vereinen und mögliche Start-up-Unternehmen im kreativen/kulturellen Bereich gründen/schaffen. Viel zu lange haben diese Einrichtungen genau das getan, was sie schon seit 100 Jahren lehren. Diese alten Ansichten bringen zwar gut ausgebildete Violinisten und Maler hervor, erzeugen aber keine Arbeit. Unsere sich schnell verändernde Gesellschaft benötigt eine „Start-up-”Mentalität unter den Kulturschaffenden/Künstlern. Beschäftigte im Kunst-/Kulturbereich sehen sich selbst als Start-ups. Hier haben wir also die Aufforderung zu einem Mentalitätswandel. Künstlerorganisationen sollten dabei helfen, ihren Mitgliedern diese Aufforderung nahe zu bringen.