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Soziale Gerechtigkeit und soziale Kohäsion unter besonderer Berücksichtigung der Organisation der Arbeitswelt

An dem von der Europäischen Union und EZA unterstützten Seminar, die vom 14.-16.06.2017 im Katholisch-sozialen Institut in Siegburg das Thema „Soziale Gerechtigkeit und soziale Kohäsion unter besonderer Berücksichtigung der Organisation der Arbeitswelt“ behandelte, nahmen 40 Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen aus den Ländern Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Kroatien, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Polen, Rumänien, der Slowakei, Spanien und der Tschechischen Republik teil. Das Seminar war Teil der EZA-Projektkoordinierung zum Thema „Auswirkungen der digitalen Arbeitswelt auf das Leben der Arbeitnehmer und ihrer Familien – sozialethische Überlegungen“.

Angesichts der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich in allen europäischen Staaten thematisierte das Seminar alternative sozialpolitische und ökonomische Konzepte und Initiativen mit dem besonderen Schwerpunkt auf der Frage, wie der soziale Zusammenhalt sowohl innerhalb der Länder Europas wie auch zwischen ihnen wiedergewonnen werden kann. Dabei waren die Überlegungen, welchen Beitrag die Organisation der Arbeitswelt dazu und insgesamt zu einer Förderung wahrhaft humaner zwischenmenschlicher Beziehungen in unseren Gesellschaften leisten kann, von besonderer Bedeutung.

Grundlegend für die Seminararbeit wurde zunächst eine wissenschaftliche Analyse der Gründe für die wachsende Ungleichheit in und zwischen den Mitgliedstaaten der EU präsentiert. Diese Analyse wurde zunächst exemplarisch für die Bundesrepublik Deutschland vorgenommen und anschließend im Vergleich zu anderen europäischen Ländern diskutiert.

Im Anschluss an die Definition der Begriffe „Armut“, „absolute und relative Armut“ einerseits und „Reichtum“ andererseits wurden die entsprechenden statistischen Daten kritisch reflektiert.

Daran anschließend wurden als Gründe für die wachsende soziale Polarisierung in Deutschland die mit der „Agenda 21“ verbundenen Niedriglöhne einerseits und die enormen Kapitalgewinne andererseits in einer sehr differenzierten, datengenauen, mit zahlreichen Beispielen belegten Auffächerung benannt und ein Maßnahmenkatalog zur Minderung der sozialen Spaltung aufgerufen. Die wichtigsten Maßnahmen hierbei wären: 1. Die Einführung einer Bürgerversicherung, also solidarischer Einbezug aller - auch Beamter, Selbstständiger und Parlamentarier – in die Sozialversicherung; 2. Anhebung des Mindestlohns; 3. Schaffung eines gerechteren Steuersystems mit höherem Spitzensteuersatz auf Einkommen, Erhöhung der Körperschaftssteuer, Änderungen bei der Erhebung der Kapitalertragssteuer, Erhebung einer Erbschafts- und einer Vermögenssteuer. Diesen Vorschlägen auf nationalstaatlicher Ebene wurde noch für die europäische Ebene die Einführung einer Finanztransaktionssteuer hinzugefügt.

Im Anschluss an eine sehr engagiert geführte Diskussion zu diesen Maßnahmen, die das Für und Wider der Übernahme einzelner Maßnahmen in die je speziellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situationen anderer europäischer Länder betrafen, wurden noch einmal die verbindenden psychologischen, allgemein-menschlichen Erfahrungen thematisiert, die beispielsweise bei den in Brüssel stattfindenden Europäischen Treffen von Menschen mit Armutserfahrung zur Sprache kommen. In diesem Kontext wurde noch einmal einhellig eine vergleichsweise gleichwertige Grundsicherung in alle Mitgliedsstaaten der EU gefordert, auch im Hinblick auf den wachsenden Migrationsdruck innerhalb Europas. 

Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Beschäftigung mit grundlegend alternativen Konzepten zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem anhand zweier Beispiele, der Gemeinwohl-Ökonomie und des Equilibrismus. Der vom anwesenden Mitbegründer präsentierte Equilibrismus zeichnet eine ganzheitliche, in alle Lebensbereiche hinein detailliert ausdifferenzierte Vision vom Leben der Menschheit im Einklang mit der Natur, die von den Teilnehmenden als sehr inspirierend erfahren wurde. Die von Christian Felber initiierte Gemeinwohl-Ökonomie ist eine auf den Prinzipien des Vertrauens, der Wertschätzung und der Kooperation aufbauende demokratisch verfasste Wirtschaftsordnung, in der die Werte der Wirtschaft im Einklang mit den Verfassungs- und Beziehungswerten stehen und die ein

gutes Leben für alle ermöglichen soll. In dieser Wirtschaftsordnung tritt neben die allgenmein übliche Finanz-Bilanz eine Gemeinwohl-Bilanz, in der bestimmte, im Rahmen der Gemeinwohl-Ökonomie definierten Werte wie Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung anhand eines entsprechenden Kriterienkatalogs bilanziert werden können.

Besonders intensiv wurden im Seminar weiter die Vorschläge zur Schaffung größerer sozialer Gerechtigkeit von Anthony B. Atkinson, Thomas Piketty, sowie Robert und Edward Skidelsky behandelt. Diese plädieren für eine ethisch-moralisch orientierte

Grundbesinnung auf Lebensziele, weg von der ständigen Anhäufung von materiellem Reichtum hin zu einem guten Leben. Als Fundamente eines guten Lebens führen sie an: Gesundheit, Sicherheit, Respekt, ein Leben in Harmonie mit der Natur, die Möglichkeit, eine authentische Persönlichkeit zu sein und Muße. Eine gesellschaftliche Entwicklung in diese Richtung kann nur auf der Überwindung/Minderung sozialer Ungerechtigkeiten/Ungleichheiten fußen. Alle vier Autoren sind sich darin einig, dass der Weg dorthin folgende 5 wesentliche Schritte verlangt: 1. Ein technologischer Fortschritt, der nicht blind sich selbst überlassen, sondern klug gesteuert wird; 2. Staatlich garantierte Beschäftigung für alle Arbeitswilligen mit einem entsprechenden angemessenen Mindesteinkommen. 3. Eine gerechtere Vermögens-verteilung. 4. Ein progressives Steuersystem; 5. Eine soziale Grundsicherung für alle. Die Detailschritte für die Realisierung dieser wesentlichen Schritte und die Argumente, die die 4 Autoren für die Notwendigkeit dieser Schritte in unterschiedlicher Extensivität entfalten, wurden diskutiert.

Den Abschluss des Seminars bildete eine im Dialog zwischen den Vertretern des Deutschen Bundesverbandes der Arbeitgeberverbände und des Europäischen Gewerkschaftsbundes geführte Besinnung auf Versäumnisse und größere Möglichkeiten des sozialen Dialogs im Hinblick auf die Überwindung sozialer Ungleichheiten. Dazu müsste zuvörderst der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene deutlich intensiviert werden. Dort könnten Zeichen setzende Vereinbarungen für die Entwicklung des sozialen Dialogs in vielen Mitgliedsstaaten getroffen werden. Ferner könnte der vermehrte Erfahrungsaustausch zwischen den Arbeitnehmerorganisationen der einzelnen Länder zu kreativen Ansätzen bezüglich eines erneuerten sozialen Dialogs führen. Die Arbeitnehmerorganisationen sind diesbezüglich vor die Aufgabe gestellt, effizientere Formen des Informationsaustausches zu institutionalisieren.