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Integration von Flüchtlingen und arbeitsmarktfernen Menschen: Neue Perspektiven für den sozialen Dialog in Europa

Vom 4. bis 8. Oktober 2017 fand in Remich, Luxemburg, ein Seminar zum Thema „Integration von Flüchtlingen und arbeitsmarktfernen Menschen: Neue Perspektiven für den sozialen Dialog in Europa“ statt, organisiert von GEPO (Groupe Européen de Pastorale Ouvrière), mit Unterstützung von EZA und der Europäischen Union. Das Seminar war Teil der EZA-Projektkoordinierung zum Thema „Integration von Migranten und Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt – Die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen“.

Bei diesem Treffen wurden die Ergebnisse anderer GEPO-Kolloquien zum Thema der Problematik der Migranten und zu der Frage des Sozialdialogs in Europa in den Jahren 2010, 2012 und 2013 aufgegriffen sowie ebenfalls die Logik zahlreicher Arbeiterbewegungen verfolgt: SEHEN – URTEILEN – HANDELN. Das Kolloquium von 2017 war zweifach spezifisch: Der Schwerpunkt lag zum einen auf der Frage der Integration in den Arbeitsmarkt, die sich mit der Ankunft der Migranten/Flüchtlinge in Europa stellt, und zum anderen auf der Zukunft und den Aussichten für Millionen Arbeitslose und viele Europäer, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind und sich ebenfalls eine Perspektive für ihre Wiedereingliederung in die Arbeitswelt und Gesellschaft erwarten. In ganz Europa betrifft die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg einen großen Teil der europäischen Arbeitnehmer. Diese Arbeit ist das Resultat von Feststellungen, der Analyse und der durch Reflexionen ausgearbeiteten Ausrichtungen. Zugleich sollte mit dem Programm eine Betrachtung über die nationalen Realitäten, den gewohnten gedankliche Rahmen der Teilnehmer, angestellt werden. Die europäische Dimension der Fragen und der Ansätze sollte dabei klar und deutlich hervorgehen.

Das Kolloquium wurde von den Teilnehmern ausgehend von einem Fragebogen vorbereitet, der im Vorfeld den Teilnehmern zugeschickt worden war. Zur Äußerung ihres Standpunktes zu drei Behauptungen bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen/Migranten, des „Aufpralls“ der Werte der Neuankömmlinge und der Europäer sowie des Risikos des Verlustes sozialer Errungenschaften eingeladen, sollte die Teilnehmer sowohl die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen als auch die Konsequenzen der Maßnahmen der Europäischen Union erörtern und die Kluft zwischen der Realität und dem Wunschdenken ermessen. Diese Vorbereitung bezog sich von Anfang an auf die Kenntnisse der gesamten Gruppe und diente als Fundament der Debatten mit den einzelnen Referenten.

Der erste Referent, Herr Sylvain BESCH, Fachmann für Migrations- und Flüchtlingsfragen beim CEFIS, präsentierte eine Analyse der Situation der Flüchtlinge und den Arbeitsmarkt in Europa vor. Die Besonderheit seines Beitrags lag in der Darstellung der gewaltigen Vielfalt der Situationen der Arbeitnehmer, ob Immigranten oder nicht, in jedem Land der Europäischen Union. Indem er die große Vielfalt der Situationen der Migranten unterstrich, wollte Herr BESCH zum einen die Schwierigkeit einer kohärenten europäischen Flüchtlings- und Migrantenpolitik und zum anderen die Kluft zwischen den hoch gehaltenen Wertvorstellungen und in Europa gelebten Werten aufzeigen, welche in der anschließenden Diskussion nochmals betont wurde.

Diesem Vortrag folgte das Referat von Herrn Mikaël FRANSSENS, Beauftragter für politische Migrationsfragen beim CIRÉ (Coordination et initiatives pour réfugiés et étrangers – Koordination und Initiativen für Flüchtlinge und Ausländer). Indem er insbesondere die Fragen des Arbeitsrechtes und der Verbindungen zwischen Migrationen und Migrationspolitik, zum einen, und den Arbeitsmarkt und die Sozialgesetzgebung zum anderen behandelte, zeigte Herr Franssens auf, dass die Integration von Flüchtlingen bzw. Ausländern im allgemeinen eine wesentliche Frage aufwirft, die uns alle angehet und weit über solche Aspekte wie Sprachkurse, Aufnahme, Begleitung und sonstige Maßnahmen hinausgeht. Er zeigte, dass wir als Europäer mit einem bedeutenden ethischen Problem konfrontiert sind: der Angst, von den Migranten überrollt zu werden, die unsere sozialen Strukturen, unsere Kultur und unsere Lebensweise durchdringen. Dieses Gefühl der Überfremdung führt dazu, dass stellenweise eine Politik eingeführt wird, deren Grundsätze im Gegensatz zu mehreren unserer grundlegenden Werte stehen. Herr Franssens lud uns dazu ein, uns Fragen zu den Ursachen der Angst und der vorgefassten Meinungen zu stellen.

Das Treffen von Initiativen zweier Organisationen, die sich für die Integration der Flüchtlinge in die Luxemburger Gesellschaft einsetzen, namentlich ADEM (Arbeitsamt) und CARITAS, entsprach dem Willen der Teilnehmer, konkrete Initiativen ins Leben zu rufen, die eine Lösung für die Probleme bei der Integration in die Arbeitswelt darstellen können und sich auf größere Einrichtungen stützen. Der Austausch mit der gesamten Gruppe ermöglichte einen echten Dialog über unterschiedlichste Erfahrungen in diesem Bereich.

Dieser Ansatz wurde vervollständigt durch das Referat von Herrn Paul ZULEHNER, Professor i.R. der Universität Wien, Theologe und Soziologe, über die europäischen Christen und ihre Angst vor den Migranten. Ausgehend von seinen Erfahrungen in Österreich, zeigte Professor Zulehner auf, dass angesichts der Ankunft von Migranten/Flüchtlingen zwei entgegengesetzte Lager gibt: das der Wut und das der Hoffnung. Herr ZULEHNER unterschied nicht zwischen politischen Flüchtlingen und „Wirtschaftsflüchtlingen“ und erinnerte die vor Ort aktiven Kräfte, die wir sind, dass die große Herausforderung nicht die Aufnahme, sondern die Eingliederung in eine Gesellschaft, in der Angst und Furcht heraufbeschworen wird, ist. Und der Schlüssel, der uns aus einer Gesellschaft der Angst befreit und in eine Gesellschaft der Hoffnung führt, heißt Solidarität. Solidarität erfordert Bildung und der Blick auf die Menschen und ihre Geschichte (zusammen feiern, um sich kennenzulernen).

Die Arbeit im Kolloquium hat nur einen Mehrwert dank der Vorbereitung seitens der eingeladenen Organisationen. Um die Verinnerlichung des Kolloquiumthemas zu erleichtern, wurden drei Behauptungen den Mitgliedsorganisationen zugeschickt.

Wir wollten eine Debatte zwischen vor Ort Aktiven, die auf folgende drei Thesen reagieren sollten: Es gibt nicht genug Arbeit für alle bei uns, also können wir unmöglich Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben Wertvorstellungen, die unser Zusammenleben ermöglichen. Die Flüchtlinge könnten diese in Frage stellen. Die Arbeit der Gewerkschaften hat die Lebens- und Arbeitsbedingungen der europäischen Arbeiter verbessert. Die Flüchtlinge könnten eine Verschlechterung derselben hervorrufen. Die konkreten Erfahrungen haben erwiesen, dass weder Beschäftigung noch Arbeit in unseren Ländern durch die Ankunft von Migranten in unseren Ländern bedroht werden, dass ihr Kommen nach Europa die europäischen Kulturen bereichert, sofern wir interkulturelle Gesellschaften in Europa anstreben. Der Angriff auf soziale Errungenschaften bzw. deren Abbau haben mit der Ankunft von Migranten nichts zu tun, sondern mit der neoliberalen Politik der EU. 

Der nächste Schritt wurde mit dem Referat von Jean-Claude BRAU, belgischer Bibelexperte und Exeget, ehemaliges Mitglied der GEPO-Exekutive mit einer langjährigen Erfahrung der Zusammenarbeit mit den europäischen Instanzen, eingeleitet. Der Titel „Was sagt die Bibel zum Treffen mit dem Fremden und zu seinem Platz?“. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen mit unseren Treffen als Fremde und mit Fremden, zieht Jean-Claude BRAU den Vergleich mit der Erfahrung biblischer Autoren. Er zeigte auf, wie in der Bibel verschiedene Antworten auf die Frage der Begegnung mit Fremden zu finden sind (zur gleichen Zeit niedergeschrieben: das Buch Ruth und das Buch Esdras, mit zwei verschiedenen Antworten). In den beiden Schriften finden wir eine Einladung zur Begegnung vor, mit dem Leitmotiv „Wir sind alle Söhne und Töchter von Fremden“.

Die Gruppe hatte die Gelegenheit, Schengen, Symbol der Freizügigkeit in bestimmten Ländern der EU, zu besichtigen. Der Beitrag von Jean-Claude wurde abgeschlossen mit einer Führung im Schengener Museum. In einem von Gewalt geprägten Kontext, angesichts der Attentate in einigen EU-Ländern, wo dann die Versuchung besteht, die europäischen Bürger zu schützen, was bedeutet Schengen heute?  Wie steht es mit den Grenzen und der Freiheit der europäischen Bürger heute?

Vor dem Abschluss mit konkreten Erfahrungen auf Wunsch des EZA, für das die Integration von Migranten in die Arbeitswelt die Grundlage der gesellschaftlichen Integration darstellt, konnten die Vertreter aus drei Ländern ein Referat von Herrn Roger Cayzelle, CFDT-Gewerkschaftler im Ruhestand und CESE-Präsident zum Thema „Der Sozialdialog: eine Frage, die über diejenigen, die im Arbeitsmarkt integriert sind, hinausgehen muss. Brauchen wir eine neue Gewerkschaftsdynamik?”. Ausgehend von Erfahrungen der Gewerkschaft CFDT gesteht Cayzelle, dass nicht nur die französischen Gewerkschaften Schwierigkeiten haben, Menschen zu erreichen, die von den Gewerkschaften normalerweise verteidigt werden sollten. Es ist festzustellen, dass unter dem Einfluss der populistischen Strömungen in Frankreich, deren Ideen ebenfalls von gewissen Gewerkschaftsmitgliedern geteilt werden, die Flüchtlings- und Migrantenfrage einfach vermieden wird.

Schlussendlich stellte die Gruppe nach der „Landung“ in der Realität, sprich Aktionen auf einzelstaatlicher Ebene, Gedanken zur europäischen Dimension, für die die GEPO selber und durch die Schaffung von Perspektiven und Aktionsanreizen für die einzelnen Mitgliedsorganisationen einsteht, an.

Abschlussbotschaft des Kolloquiums

Die Analyse der geopolitischen Lage lässt keinen Zweifel zu, dass der Migrationsdruck und die Anträge auf internationalen Schutz in den kommenden Jahren weiterhin stark bleiben werden. Die bewaffneten Konflikte, die Konsequenzen des Klimawandels, die Ungerechtigkeit des Weltwirtschaftssystems lassen kaum eine andere Wahl als Flucht und Exil für eine Vielzahl von Menschen.

Im Bewusstsein, dass Einsatzbereitschaft gefordert ist, damit die Lage sich in den Herkunftsländern der Flüchtlinge bessert, wissen wir auch, dass der Kampf um mehr Gerechtigkeit keine angemessene bzw. ausreichende oder ausreichend rasche Lösung für diejenigen, die heute die Flucht ergreifen müssen, darstellt.

Ohne die sozialen Probleme in Europa klein reden zu wollen, wissen wir dennoch, dass Europa stets einen Hafen des Friedens und des Wohlstandes für zahlreiche Menschen, die von außerhalb Europas kommen, verkörpert. Wir sind stolz darauf, dass Europa auf solchen Werten wie Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität fundiert und dass in Europa die Grundrechte beachtet werden. Getreu dieser europäischen Tradition sollten wir unsere Werte respektieren.

Als Christen sind wir selbstverständlich besonders aufmerksam für die Aufnahme von Fremden. Die Annahme des anderen ist eine grundlegende Dimension unserer theologischen Sicht von Gott als Liebe und Gerechtigkeit. Maria und Josef mussten Nazareth wegen des mörderischen Wahns des Herodes verlassen. Gemäß unserem Glauben sind wir dazu aufgerufen, dem anderen zu begegnen. Wir sind überzeugt, dass Migration eine Chance für unsere europäische Gesellschaft angesichts der ökonomischen und demographischen Herausforderungen darstellt. Wir möchten, dass die Situation für alle Seiten gewinnbringend ist.

Wir möchten unsere Aufnahme- und Integrationsarbeit zugunsten der Frauen und Männer, die eine Zukunft in unseren Ländern suchen, verstärken. Wir möchten eine Vision der Solidarität zwischen unseren Ländern im Rahmen dieses Engagements verteidigen.

Wir fordern auf der europäischen Ebene eine Kultur der Offenheit und bitten die Entscheidungsträger, nicht auf die populistischen Sirenen zu hören, die eine Festung Europa, in der gleichgültig auf die menschlichen Tragödien vor den Toren Europas reagiert wird, predigen. Wir sind gegen die Abkommen mit den Nachbarländern der Europäischen Union, bei denen es um die Zurückdrängung der Flüchtlinge gegen Zahlung geht.

Unsere Aktionsleitlinien der einzelnen Arbeitnehmerseelsorgeorganisationen lauten:

  • Aufnahme und Integration der Flüchtlinge bei uns, wobei der Schwerpunkt auf die Eingliederung in die Arbeitswelt und folglich auf die Unterbringung der Familien und die Einschulung der Kinder liegen muss;
  • Hervorhebung der positiven Beiträge der Flüchtlinge zu unserer Gesellschaft;
  • Information und Sensibilisierung in unserem Einsatzfeld für die Wirklichkeit der Migration und des Exils;
  • politische Forderung nach gerechten und effizienten Verfahren für die Familienzusammenführung;
  • entschlossener Einsatz für die Schwächsten, die am stärksten unter den Migrationen zu leiden haben (alleinstehende Frauen, Minderjährige, Kranke);
  • europaweiter Einsatz für eine Migrations- und Aufnahmepolitik im Einklang mit den Werten der Europäischen Union und in der Achtung vor der Würde des Menschen.