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Digitale Arbeitswelt – Industrie 4.0: Würdige Arbeit, Entwicklung der Beschäftigung und Einkommensverteilung in der Gesellschaft

Vom 8. bis 10. Juni 2017 fand in Mora (Bezirk und Diözese Évora) ein von LOC/MTC – Liga Operária Católica/Movimento de Trabalhadores Cristãos veranstaltetes Seminar mit Teilnahme von Delegationen der KAB und NBH aus Deutschland; ACO aus Frankreich; ACO und HOAC aus Spanien; BASE- Fut, CIFOTE, FIDESTRA, FTDC sowie LOC/MTC aus Portugal sowie der europaweiten EBCA und von EZA – Europäisches Zentrum für Arbeitnehmerfragen - unter dem Thema „Digitale Arbeitswelt – Industrie 4.0: Würdige Arbeit, Entwicklung der Beschäftigung und Einkommensverteilung in der Gesellschaft“ statt. Das Seminar wurde von der Europäischen Union unterstützt und war Teil der EZA-Projektkoordinierung zum Thema „Auswirkungen der digitalen Arbeitswelt auf das Leben der Arbeitnehmer und ihrer Familien – sozialethische Überlegungen“.

Die Sitzung wurde unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Évora, José Alves, eröffnet, welcher diese internationale Initiative in seiner Diözese begrüßte und die Bedeutung und Aktualität dieses Themas hervorhob. Er sprach LOC/MTC Worte des Zuspruchs aus. José Paixão, nationaler Koordinator der LOC/MTC, begrüßte die nationalen und internationalen Teilnehmer und führte aus, dass heute in Portugal eine neue politische Situation herrsche, die von Arbeitnehmern mit gewisser Hoffnung betrachtet werde, auch wenn es noch große Entbehrung in vielen portugiesischen Familien gebe, daher gelte es, über das Verständnis des Werts der Arbeit, des Sozialdialogs und der Tarifverhandlungen zum Aufbau einer besseren Gesellschaft zu reflektieren. Rainer Rißmayer, der Vertreter des EZA, sprach über die Bedeutung solcher Seminare, die in ganz Europa zu unterschiedlichen Themenfeldern veranstaltet werden und bedankte sich bei LOC/MTC, dass ein solch wichtiges Thema wie die Digitale Arbeitswelt und die 4. Industrierevolution und ihre Folgen für die Zukunft gewählt wurde. Luís Simão Duarte, Bürgermeister von Mora, beglückwünschte und dankte LOC/MTC dafür, den Landkreis Mora als Tagungsort gewählt zu haben und gab einen kurzen Überblick über die Beschäftigungs- und soziale Situation in seiner Gemeinde.

An den Sitzungen nahmen als Redner teil: Ana Santos der ILO-Lissabon, Diplom-Informationswissenschaftlerin; José Fernando Almazán der HOAC Spanien, Diplom-Ingenieur; Fernando Marques der Fachabteilung Arbeitsforschung der CGTP-IN, Wirtschaftswissenschaftler; Ricardo Coelho der LOC/MTC, Wirtschaftswissenschaftler.

In der ersten Sitzung sprach Ana Santos über die Internationale Arbeitsorganisation ILO (auch IAO), über den Hintergrund ihrer Entstehung, ihre Ziele und Funktionsweise über die Jahre und das anstehende 100-jährige Jubiläum 2019. Sie berichtete über die Angelegenheiten, die die Zukunft der Arbeit prägen werden und sich laut ILO in vier Bereiche zusammenfassen lassen: Arbeit und Gesellschaft, würdige Arbeit für alle, Organisation der Arbeit und Produktion sowie Steuerung der Arbeit. Sie legte dar, dass die ILO keinen Zauberstab habe, um alle Probleme zu lösen; dass die Zukunft der Arbeit aber auch nicht vorbestimmt sei, vielmehr seien wir aufgerufen, diese zu gestalten. Wir befänden uns in einem großen Wandel, der Risiken mit sich bringe. Man wisse nicht wohin die Globalisierung führen werde, was eine ernsthafte Debatte über die Veränderungen der Arbeitswelt erfordere. Die Arbeit müsse sich an den Menschen anpassen und nicht umgekehrt, weshalb die ILO sich für Vollbeschäftigung, für eine gerechtere Verteilung der Einkünfte der Produktivität, die sich aus den neuen Technologien ergebe, und für neue Formen der sozialen Sicherung einsetze.

In der zweiten Sitzung sprach José Fernando Almazán von HOAC/Spanien über die Arbeit von der Kommunion zur Liebe. Arbeit sei eine Gabe und ein Humanisierungsvorhaben, das mit dem Aufbau der Gesellschaft verbunden und unerlässlich für die menschliche Verwirklichung sei, und nicht allein eine Einkommensquelle. Die Zukunft werde von unserer Wachsamkeit für die Realität, unserer Begleitung der Arbeitnehmer, der Werte und Lebenskriterien abhängen, die uns zum Handeln anspornen, wobei wir den Individualismus entgegenwirken und Räume der Nähe zu Christen und Nichtchristen schaffen müssen, um glaubwürdige Alternativen und Angebote im Sinne von würdiger Arbeit für eine würdige Gesellschaft zu bieten.

Die Arbeit sei der Mittelpunkt eines jeden Sozialpakts und nicht ein Mittel zum Konsum. Zwischen Arbeit und Konsum gebe es noch viele wichtige und wundervolle Aspekte, die da heißen: Würde, Achtung, Ehre, Freiheit, Rechte, die Rechte aller.

In der dritten Sitzung stellte Fernando Marques der CGTP-IN die Digitale Arbeitswelt ihren Auswirkungen für die Tarifverhandlungen gegenüber. Er stellte voran, dass es Analysten gebe, die unkenrufend auf eine massive Zerstörung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbeziehungen hinweisen, während andere wiederum vorhersehen, dass neue Formen der Arbeit und neue Tätigkeiten und Dienstleistungen kommen werden. Diese Diskussion sei nicht neu, und die erste These habe sich nie bestätigt, weshalb er die zweite für realistischer halte, es brauche aber Veränderungen in der Arbeitswelt und eine davon sei die Verringerung der Arbeitszeiten. Hinsichtlich der Tarifverhandlungen mahnte er an, dass die größte Gefahr der Verlust der Tarifbeziehung sei. Er machte dies an drei Punkten fest: 1. Wie kann man die Arbeitsbeziehungen in Zeiten der Prekarität auffassen, in denen die Arbeitnehmer zu Dienstleistern reduziert werden: 2. Die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die Perspektive größerer Ungleichheiten, welche Frucht der Polarisierung der Arbeit seien, bei der einige wenige hochqualifiziert sind, die große Mehrheit aber dem Niedriglohnsektor angehöre und leicht zu ersetzen sei. 3. Wie kann die soziale Sicherheit nachhaltig gestaltet werden und welches sei ihre Mission in der Zukunft.

Die vierte Sitzung bestand aus einem Rundtisch zur Situation eines jeden vertretenen Landes in Bezug auf Beschäftigungsentwicklung sowie auch die wirtschaftlichen Folgen der hohen Raten von Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit, an welchem teilnahmen: Américo Monteiro der LOC/MTC aus Portugal, Xavier Such der ACO aus Spanien, Andrée Elis der ACO Frankreich und Ludger Bentlage der KAB Deutschland. Der Anstieg der Prekarität, die Vielfalt an prekären Situationen und die steigenden Ungleichheiten waren der gemeinsame Nenner dieses Austauschs. Dies gehe soweit, dass junge Leute einen 6-monatigen Arbeitsvertrag als Lottogewinn betrachten. Eine weitere Feststellung war, dass wenn nicht das derzeit gültige Sozial- und Wirtschaftsmodell in Frage gestellt wird, man zwar zeitweilig den ein oder anderen Effekt der Krise lindern könne, doch diese immer wieder hochkomme, sei doch das jetzige Wirtschaftsmodell selbstmörderisch, ja töte. Schließlich wurde die Notwendigkeit unterstrichen, die Solidarität zu organisieren und den Dialog mit den Personen, die wir kennen, zu fördern; den Arbeitskollegen und Familienangehörigen, als Keim für eine neue Welt und Affirmation, dass eine andere Realität, die sich von der jetzigen unterscheide, möglich sei.

In der fünften Sitzung regte uns Ricardo Coelho der LOC/MTC darüber zum Nachdenken an, wie wir die Wirtschaft in den Dienst der Menschen stellen können. Ökonomie sei nichts anderes als das Wirtschaften im Haus. Mit der Veröffentlichung der Laudato Si von Papst Franziskus stelle dieser ein Ökonomietraktat vor, gehe es doch um das Führen des gemeinsamen Hauses. Die Zukunft werde nicht von den technologischen Weiterentwicklungen abhängen, sondern davon, wie wir sie angehen und von den Zielen, die wir verfolgen. Mit der sich im Gang befindlichen Industrierevolution 4.0 liege die Herausforderung der Beschäftigung für alle weiter auf dem Tisch. Vollbeschäftigung habe mehr mit der Verteilung als Reichtums als mit dem technologischen Fortschritt zu tun. Die Arbeit sei dabei die beste Form, den Reichtum zu verteilen, doch auch andere Formen gelte es zu fördern, wie der Weg hin zur Verringerung der Arbeitszeiten ohne Lohneinbußen; und angesichts dessen, dass viele andere Arbeit haben, einen Mindestlohn für Prekäre festlegen; die Erziehung zum Gemeinwohl und schließlich als Verbraucher verstärkt regionale Produkte zu kaufen.

Wir befänden uns dabei mehr in der Sphäre der politischen Entscheidungen von Bürgern als im strikt ökonomischen oder technologischen Bereich. Daher setzte er sich mit Nachdruck für die mündige Bürgerschaft ein, von der sich viele leider entfernten. Wenn sich aber viele das Feld räumen, nehmen andere deren Platz ein, und entstellen den Sinn der Ökonomie und Technologien, indem sie sie in den Dienst des Gewinns und nicht der Menschen stellen.

Kaum ein Satz des Evangeliums passe wohl besser als: “Die Ernte ist groß, aber wenige sind die Arbeiter.“ (Mt 9, 37).

Die Teilnehmer dieses Seminars haben die Fa. CONESA, eine Tomatenmarkfabrik unter Führung des Geschäftsführers António Praxedes besucht, der erklärte, wie die Aktivität der etwa 60 ständigen Mitarbeiter und der mehr als 250 Saisonarbeiter während der Tomatenernte und -verarbeitung in den etwa zwei Monaten (Ende Juli bis Ende September) koordiniert wird. Er sprach von der Bedeutung dieser Fabrik für die Wirtschaft und Beschäftigung für Mora und Umgebung. Die technologische Weiterentwicklung der Fabrik konnte hier nachvollzogen werden, wurde doch in den letzten 20 Jahren die Produktion verdoppelt und das mit fast noch weniger Arbeitnehmern. Es wird nicht vorausgesehen, dass die technologische Evolution Arbeitsplätze zerstören wird, es kann aber die Produktion mit einer weniger großen Erhöhung der Arbeitnehmerzahl gesteigert werden.