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Genderstereotypen im Arbeitsleben – die Fallen der Rollenprägung

Bei der internationalen Tagung der Plattform IPEO, organisiert von 13. bis 14. September 2019 in Nals / Italien vom Arbeiter, Freizeit- und Bildungsverein AFB in Zusammenarbeit mit EZA und mit Unterstützung der Europäischen Union befassten sich um die 50 Vertreter/innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Südtirol/Italien, Deutschland, Österreich, Belgien, Litauen und Serbien mit dem Thema „Genderstereotypen im Arbeitsleben – die Fallen der Rollenprägung“.

Ziel der Tagung waren Information, Meinungsaustausch und Bewusstseinsschärfung zu den Beispielen für geschlechtsspezifische Rollenbilder, die das gesellschaftliche Verständnis von Frauen und Männern prägen, die beispielhafte Herausarbeitung der Nachteile, denen Frauen in der Familie, im gesellschaftlichen Leben und in der Arbeitswelt dadurch ausgesetzt sind, dass veraltete Rollenprägungen ihre Entfaltungschancen beeinträchtigen und ihnen die Hauptlast der Erziehungs- und Betreuungsaufgaben aufgebürdet wird.

Es sollten Methoden und Maßnahmen aufgezeigt werden, die dazu beitragen, die Sensibilität der Entscheidungsträger und der Öffentlichkeit für die gesellschaftliche Bedeutung der Chancengleichheit zu verbessern. Außerdem sollten gute Praktiken in der Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzgebung sowie im Bereich der Ausbildung dargestellt werden. Abschließend sollte über Empowerment-Maßnahmen für die IPEO-Plattform bzw. deren Mitgliedsorganisationen diskutiert werden.

Expertinnen und Experten aus verschiedenen Ländern hielten Fachreferate zu den Genderstereotypen im Arbeitsleben, zu deren gesellschaftlichem Hintergrund und zu den Auswirkungen der Rollenprägungen der Geschlechter auf Arbeitsmarktregelungen, unternehmerische Organisations- und Managementkonzepte, Arbeits- und Sozialgesetzgebung. Darin wurde die Wirkungskraft von Sprachregelungen auf die Wahrnehmung der Frauen und Männer beleuchtet und Strategien zur deren Sichtbarmachung in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten aufgezeigt. Zudem wurden geschlechtsspezifische Rollenklischees in Film, Fernsehen und digitalen Medien zur Bewusstmachung von deren tiefgreifendem Einfluss auf die gängigen Rollenbilder dargestellt. Im Rahmen der Tagung fand ein länderübergreifender Meinungsaustausch zu den Kernthemen statt, und es wurden zweckmäßige Maßnahmen diskutiert, um die Chancengleichheit in Gesellschaft und Arbeitsleben zu verbessern.

Schlüsselideen

Auf europäischer Ebene ist seit den 90er Jahren der politisch-wirtschaftliche Einigungsprozess in großen Schritten vorangebracht worden. Seit dem Hereinbrechen der Finanz- und Wirtschaftskrise ist nach den Fortschritten Anfang des neuen Jahrtausends eine merkliche Verlangsamung in der Gleichstellungspolitik zu verzeichnen. Es bestehen große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, was das gesellschaftliche Verständnis der Rolle der Frauen und Männer angeht.

Dementsprechend muss Gleichstellungspolitik bereichsübergreifend ausgerichtet werden, um Werthaltungen, gesetzliche Normierungen, informelle Regelungen und in Schablonen verhaftete betriebliche und soziale Verhaltensweisen zu hinterfragen. Folgende Bereiche sind in Bezug auf Genderstereotypen und Gleichstellungsmängel relevant:

  • Umsetzung der Grundcharta zu den Menschenrechten
  • Regierungsprogramme, Entwicklungsprogramme und Förderungstöpfe (Genderbilanz)
  • Haushaltspolitik der Regierungen auf allen Ebenen
  • Arbeitsmarktregelung
  • Sozialer Schutz in der Arbeitswelt und im Alltag
  • Bildungspolitik und Bildungskonzepte, Bildungscurricula, Bildungsinstitutionen, Lehrmittel
  • Erziehungsmodelle und deren Umsetzung in den Institutionen
  • Forschungskonzepte und –schwerpunkte der Hochschulen und anderer Einrichtungen
  • Informationsstand und Informationsbeschaffung bzw. –verbreitung zum gegenständlichen Thema
  • Film, Medien und Werbung

Eurostat, Eurofound und andere wissenschaftliche Institutionen sowie Bildungseinrichtungen stellen zu den EU-Ländern in zusammengefasster Form Informationen zum Arbeitsmarkt, zu den sozialen Schutzmechanismen und zur Mitbestimmung sowie spezifisch zu den Genderthemen in einem umfassenden Verständnis bereit. Diese Quellen sind nach Möglichkeit auszuwerten. Zusätzlich sind die einzelnen Themenfelder länderspezifisch zu vertiefen, um jeweils schwerpunktmäßig Status quo und Handlungsbedarf zu definieren und beginnend mit den Gewerkschaften soziale Akteure ausfindig zu machen, die Informations- und Bildungsinitiativen umsetzen und die Rolle als Impulsgeber übernehmen können. Dabei ist darauf zu achten, Gleichstellungsziele und –maßnahmen möglichst in einfachen und leicht nachvollziehbaren Schritten zu artikulieren und zu visualisieren.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Für die Überwindung von obsoleten Rollenzuschreibungen ist deren Bewusstmachung erforderlich sowie eine breite Akzeptanz des veränderten Verständnisses der gesellschaftlichen Rollen von Frauen und Männern. Chancengleichheit darf nicht ein bloßes Lippenbekenntnis bleiben und muss über die rein formalrechtliche Anerkennung hinausgehen, indem dazu als Mainstreaminganliegen in allen gesellschaftlichen Bereichen konkrete Umsetzungsschritte erfolgen. Dazu sind Anpassungen der Gesetze und Verwaltungsnormen genauso notwendig wie Informationskampagnen und Bildungsinitiativen.

Es braucht engagierte Frauen, die die Entwicklung der Gesetzgebung laufend beobachten und in den Parlamenten, Gewerkschaften und Verbänden positive Aktionen voranbringen. Gesellschaftliche Paradigmen erhalten ihre Durchsetzungskraft durch die wechselseitige Durchdringung von formalen Strukturen, kulturellen Werten und informellen Regelwerken. Sie können somit nicht allein auf den Arbeitsmarkt bezogen verändert werden, sondern erfordern eine breit aufgestellte Modernisierungsstrategie. Aufgrund der hohen Nutzungsfrequenz des Fernsehens, des Internet und generell der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien entfalten die Medien eine tiefgreifende Wirkungskraft auf die Rollenprägung der Geschlechter. Diese Form der Einflussnahme auf informeller Ebene wird dem privaten Bereich zugeordnet, weshalb ihr zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Bei der Entwicklung von Medienkompetenz, die für künftige Generationen zum ABC des Bildungskanons zählt, gehört die Kenntlichmachung von Rollenklischees zu den Lernzielen eines aktiven BürgerInnenbewusstseins.

Um den Informationsaustausch zwischen den EU-Ländern und darüber hinaus zu fördern und einen Weg der schrittweisen Angleichung der Gleichstellungspolitik und der Unterstützungsinstrumente abzustecken, sind Anstrengungen zu unternehmen, um für die Gewerkschaften und andere soziale Akteure der einzelnen Länder:

  • Die vorhandenen nationalen und internationalen Informationsquellen zu erschließen und nutzbar zu machen, indem sie von nationalen Kooperationspartnern der EZA bzw. von IPEO verbreitet werden
  •  in einzelnen Organisationen Verantwortliche für die Weiterentwicklung der Gleichstellungspolitik zu ernennen
  • Diese bei der Erarbeitung von Plattformen und Programmen zur Erweiterung bzw. Verbesserung der Gleichstellungsmaßnahmen zu unterstützen
  • Der Gleichstellungspolitik in den Informationsorganen der verschiedenen Drucksorten und digitalen Plattformen dieser Organisationen Sichtbarkeit zu verleihen
  • Einfache und konkrete Maßnahmen dazu zu veranschaulichen, wie Chancengleichheit in der Arbeitswelt und im privaten und gesellschaftlichen Alltag gestaltet werden kann
  •  Forscherinnen und Forscher mit entsprechenden Recherchearbeiten und Konzepterstellungen zu beauftragen
  • Einen Bericht zur aktuellen Lage der Gleichstellungspolitiken in den einzelnen Ländern zu erstellen
  •  Formen der Unterstützung dieser Vorhaben durch die EZA bzw. durch andere europäische bzw. nationale Finanzierungskanäle zu erschließen
  • Wege ausfindig zu machen, um regionale Akteure und Betriebsräte als Ansprechpartner und Initiativkräfte für Maßnahmen zur Verbesserung der Rechte der ArbeitnehmerInnen, des sozialen Schutzes und allgemein der Gleichstellungsmaßnahmen zu qualifizieren und zu stärken
  • Zu verifizieren, in welcher Form die IPEO diese Anliegen unterstützen kann bzw. welche konkrete Hilfestellung sich die Ansprechpartner der IPEO in den einzelnen Ländern erwarten