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Das Vertrauen der Arbeitnehmer/innen durch die Vertiefung der sozialen Dimension Europas zurückgewinnen: Empfehlungen zur Nachfolge des Weißbuchs zur Zukunft eines sozialen Europas

Vom 17. bis 18. Oktober 2019 fand ein von Beweging.academie organisiertes und von EZA und der Europäischen Union unterstütztes Seminar statt zum Thema „Das Vertrauen der Arbeitnehmer/innen durch die Vertiefung der sozialen Dimension Europas zurückgewinnen: Empfehlungen zur Nachfolge des Weißbuchs zur Zukunft eines sozialen Europas“.

Am Seminar nahmen 30 Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen aus Belgien, den Niederlanden, Portugal, Frankreich, Deutschland, Österreich, Rumänien, Italien, Irland und Polen teil.

Das Seminar fand zum gleichen Zeitpunkt statt wie die Einsetzung der neuen Kommission Von der Leyen und des neugewählte Europäische Parlaments. Der Kommissar für soziale Angelegenheiten Schmit betonte die Bedeutung der Umsetzung und Überwachung der europäischen Säule der sozialen Rechte. Dieses Seminar war politisch zum richtigen Zeitpunkt mit seinem Follow-up zur Zukunft eines sozialen Europas und gleichzeitig seinem Fokus auf die Notwendigkeit, das Vertrauen von Bürgern und Arbeitnehmern wiederzugewinnen.

Folgende Themenfelder wurden diskutiert:

- die Vertiefung der sozialen Dimension der Europäischen Union

- Ist die EU-Politik menschlich genug?

- Empfehlungen für eine Harmonisierung der Bürgerrechte.

- Runder Tisch zu sozialen Rechten

- Runder Tisch zur sozialen Dimension der EU

- Empfehlungen für sozialpolitische Mindeststandards

- Social Governance jenseits des Weißbuchs

- Social Governance: Die Arbeiter zurückbringen

- Herausforderungen für die EU-Sozialpolitik aus institutioneller Sicht

- Runder Tisch zur sozialen Governance der EU

- Empfehlungen für die soziale Konvergenz der sozialen Ergebnisse

- Empfehlungen zur Umsetzung der Eckpfeiler der Europäischen Säule sozialer Rechte

Ergebnisse des Seminars

Das Misstrauen gegenüber politischen Institutionen ist weit verbreitet, was zu einer Abneigung gegen die traditionelle politische Partizipation führt.

Das Seminar hat gezeigt, dass seit den 80er Jahren (der Reform des Wohlfahrtsstaates) und insbesondere seit der Wirtschaftskrise ein Zusammenhang zwischen diesem Misstrauen und der Verzerrung der sozialen Rechte besteht. Besonders arme Menschen und einkommensschwache Gruppen sind von der Krise betroffen und zeigen starkes Misstrauen. Die Globalisierung (Migrationskrise) und die offenen EU-Grenzen (Sozialdumping) sowie die Klimakrise haben das (Gefühl der) Unsicherheit vieler Menschen verschlimmert. Das Misstrauen gegenüber politischen Institutionen wuchs mit (den Gefühlen) wachsender Unsicherheit.

Eines der Mittel zur Überwindung des Misstrauens ist die Förderung einer deliberativen und partizipativen Demokratie. Eine der Hauptgrenzen der meisten dieser Prozesse ist ihre Unfähigkeit, schutzbedürftige Personen einzubeziehen, und sie ist aufgrund der vielen Kosten, d. H. der materiellen und symbolischen Grenzen, die eine wirksame Teilnahme an beratenden Prozessen behindern, politisch weniger aktiv im Beratungsprozess. Wir behaupten, dass diese Selektivität eine Quelle der Ausgrenzung ist, die wiederum Misstrauen, Polarisierung, Populismus usw. hervorrufen kann.

Misstrauen entsteht also, wenn sich Menschen von der Regierungsführung ausgeschlossen oder durch die Regierungsführung ausgeschlossen fühlen. Mit dem Gefühl, dass sie keine Stimme haben (um eine Stimme zu haben und wirklich gehört zu werden), um ihr Leben zu verwirklichen, ziehen sie sich aus der Gesellschaft zurück. Wenn die partizipative Kultur in Institutionen wie sozialen Zentren, Schulen, am Arbeitsplatz usw. begrenzt oder nicht vorhanden (keine Wahl in Aktivierungsrichtlinien) oder sogar im Niedergang (eingeschränkter sozialer Dialog) oder instrumentalisiert (Pseudo-Partizipation zur Verwirklichung anderer Ziele) ist, verlieren sie ihr Vertrauen und der Niedergang der Demokratie findet statte.

Misstrauen führt somit zu einer Nichtteilnahme oder Abneigung traditioneller politischer und demokratischer Institutionen. Die Abneigung gegen traditionelle politische Partizipation kann in Populismus, extremem Nationalismus und Verdrängung der Gesellschaft gipfeln (wachsende Tendenz, blank zu wählen oder nicht zu wählen, ist ein Symptom für diese Verdrängung).

Misstrauen führt zu politisch und sozial entfremdeten Menschen. Diese Gruppe kann als Personen umschrieben werden, die das Gefühl haben, keine Stimme zu haben. Aus früheren Seminaren können wir erkennen, dass Menschen, die in oder in der Nähe von Armut leben, auf viele Hindernisse stoßen, um teilzunehmen oder ihre Stimme zu erheben. Wir beschreiben sie als Political Alienated People (PEP).

Die Wiederherstellung des Vertrauens erfordert daher gleichzeitig eine Investition in Menschen (Wiederherstellung des Wohlfahrtssystems) und eine Wiederherstellung des Verhältnisses zwischen demokratischen Institutionen und politisch entfremdeten Menschen. Unser Seminar balanciert auf diesen beiden Seiten der Restaurierung. Wir setzen soziale und wirtschaftliche (Vor-) Bedingungen für die Teilnahme an die erste Stelle.

Schlussfolgerung, Beschlüsse und Forderungen

Die Europäische Säule sozialer Rechte (EPSR) hat nach einer Zeit harter Sparmaßnahmen, die von der neoliberalen Wirtschaftspolitik diktiert wurde, enorme Hoffnungen auf ein humaneres und demokratischeres Europa geweckt. Dennoch ist der derzeitige Handlungsspielraum für die Umsetzung des EPSR eher gering: Begrenzte Gesetzgebungskompetenzen im sozialen Bereich, ein sehr begrenzter EU-Haushalt, Unterschiede zwischen nationalen Kontexten und Politiken und eine Vielzahl konkurrierender Ziele stellen große Hindernisse dar. Es ist daher wichtig, (a) die Haushaltsspielräume zu erweitern und (b) die Grundsätze der sozialen Säule in jede Faser der europäischen politischen Agenda zu integrieren: insbesondere in die Strategie Europa 2020, die soziale Dimension der WWU und die Nachhaltige Entwicklungsagenda für das nächste Jahrzehnt. Gleichzeitig muss die soziale Säule SMART (spezifisch, messbar, zuweisbar, realistisch und zeitgebunden) gestaltet werden. Dieses Dokument enthält eine Reihe von Empfehlungen für diesen Zweck. Abgesehen von den Gesetzgebungsfragen konzentriert es sich auf die Einbeziehung des EPSR in die langfristigen Strategien der EU sowie in wichtige politische Prozesse und Instrumente wie das Europäische Semester, Anzeigetafeln, die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds und die horizontale Sozialklausel. Die wichtigsten Empfehlungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

•          Integration des EPSR in die Strategie Europa 2020 mit geeigneten Leitindikatoren, Peer Reviews bewährter Verfahren, Benchmarks und Überwachung des Fortschritts;

•          Ausweitung der sozialen Dimension der Europäischen Währungsunion durch Einführung eines „übermäßigen Verfahrens für ein soziales Ungleichgewicht“, das durch einen spezifischen Alarmmechanismus ausgelöst wird und zu einem geeigneten Mechanismus zur sozialen Stabilisierung führt, ähnlich dem Verfahren für ein makroökonomisches und monetäres Ungleichgewicht; Erweiterung des Social Scoreboard; und Stärkung der demokratischen Rechenschaftspflicht der WWU;

•          Integration des EPSR in den Prozess des „Europäischen Wirtschafts- und Sozialsemesters“: Umsetzung in länderspezifische Empfehlungen für eine soziale Konvergenz nach oben; Bewertung der Fortschritte auf der Grundlage der „jährlichen Erhebung über nachhaltige Entwicklung“, des „gemeinsamen Berichts über Beschäftigung und soziale Entwicklung“ und der nationalen Reformprogramme; Einführung von Mechanismen zur Rechenschaftspflicht und Sanktionen bei Nichteinhaltung sozialer Mindeststandards;

•          Einbeziehung der Grundsätze des EPSR in die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und deren Operationalisierung durch die sozialen SDGs;

•          Einrichtung eines partizipativen Prozesses bei der Überwachung der SDGs auf EU-Ebene, einer EU-Multi-Stakeholder-Plattform mit starker Beteiligung der Zivilgesellschaft zusammen mit den Sozialpartnern;

•          Eine systematischere und beißendere Anwendung der horizontalen Sozialklausel: Ausweitung des Geltungsbereichs der (partizipativen) sozialen Folgenabschätzung politischer Maßnahmen; Einführung von Nicht-Regressionsklauseln in Bezug auf Menschenrechte auf EU- und Mitgliedstaatenebene;

•          Entwicklung angemessener und fairer Finanz- und Haushaltsinstrumente für Sozialausgaben: Aufstockung des EU-Haushalts und insbesondere der Struktur- und Investitionsfonds; proaktive Nutzung des Europäischen Fonds für strategische Investitionen für soziale Investitionsprojekte; Konditionierung des Zugangs zu europäischen Struktur- und Investitionsfonds bei Einhaltung sozialer Mindeststandards; flexible Durchsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch eine „goldene Regel“ für soziale Investitionen; Einführung sozialer Stabilisierungsmechanismen, die auf EU-Ebene finanziert werden (z. B. durch ein EU-Rückversicherungssystem für Arbeitslose); fiskalische Harmonisierung durch Wiederherstellung der progressiven Einkommensteuer in allen EU-Ländern mit vereinbarten Mindest- und Höchstsätzen; Mindeststeuersätze für Körperschaftssteuern und Schaffung einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage.