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"Dinge laufen dort ernsthaft schief"

EZA-Mitglied ACV kommentiert den aktuellen Stand der EU-MERCOSUR Vereinbarungen.

Bildmontage aus EU und MERCOSUR Bannern (photo: shutterstock)

Vor einem Jahr unterzeichnete die EU ein Grundsatzabkommen für ein umfassendes Handelsabkommen mit den Ländern der MERCOSUR-Region. Das Abkommen hat noch einen langen Weg vor sich, bis es tatsächlich von den europäischen Institutionen angenommen wird, aber in vielen EU-Mitgliedstaaten, darunter auch in Belgien, gibt es bereits großen Widerstand gegen das Abkommen.

Warum dieser Widerstand?  Entspricht dieses Handelsabkommen den Grundsätzen unseres ACV-Übergangskongresses für eine Handelspolitik, die menschenwürdige Arbeit und einen sozial gerechten Übergang anstrebt? (Hinweis: ACV ist über unser Mitglied BIE mit EZA verbunden)

Warum wollen die EU und der MERCOSUR dieses Abkommen?

Der MERCOSUR ist der größte Handelsblock Lateinamerikas mit den vier Ländern Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien.  Zusammen bilden sie eine Freihandelszone mit 265 Millionen Einwohnern. Allein auf Brasilien entfallen 209 Millionen Einwohner und mehr als die Hälfte des Einkommens des MERCOSUR.

Für die EU und den MERCOSUR ist es ein wichtiges Abkommen, da es auf die Schaffung eines freien gemeinsamen Marktes mit rund 710 Millionen Verbrauchern abzielt, auf die etwa ein Viertel des Welteinkommens entfällt. Das Hauptziel des Abkommens ist die Liberalisierung der Zolltarife. Der MERCOSUR würde in 15 Jahren 91% der Importzölle auf EU-Produkte und die EU 92% der Importzölle auf Mercosur-Produkte freisetzen.

Bei den Exportprodukten der MERCOSUR-Länder handelt es sich hauptsächlich um landwirtschaftliche Produkte, die drei großen "Soja, Rindfleisch und Zucker" sowie den Biokraftstoff Ethanol, Reis, Mais und Mehl. Bei den Exporten der EU in den MERCOSUR handelt es sich hauptsächlich um Industrieprodukte, vor allem um den Zugang des Automobilsektors und im weiteren Sinne des Technologiesektors zum MERCOSUR-Markt. Das Abkommen wird daher manchmal auch als ein Geschäft mit Autos für Kühe bezeichnet. So ist es nicht verwunderlich, dass die treibenden Kräfte für das Abkommen in der MERCOSUR-Region vor allem das Agro-Business und in der EU der Industriesektor - insbesondere der Automobilsektor, und noch mehr aus Deutschland - sind.

Für die Europäische Kommission fügt sich dieses Abkommen in eine offensive Vision der Position der EU in der Welt ein. Da Multilateralismus und die Zusammenarbeit innerhalb der Welthandelsorganisation für die globale Handelskooperation immer schwieriger werden, will die EU bilaterale Handelsabkommen mit starken Handelsregionen und wirtschaftlich starken Ländern abschließen.

Für die EU ist es wichtig, dass europäische Standards und Normen bei Industrieprodukten und Dienstleistungen dann zu globalen Standards werden. Dies wird Ihre Position auf dem Weltmarkt stärken. Dahinter steht auch eine Vision der wirtschaftlichen Entwicklung der EU mit dem Schwerpunkt auf der Eroberung von Exportmärkten außerhalb der EU. Diese Vision wird natürlich auch von den Exportländern innerhalb der EU, wie Deutschland, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern, propagiert. Aufgrund des großen Handelsüberschusses der EU gegenüber dem Rest der Welt (3,5% des BIP) bleibt abzuwarten, ob eine weitere Stärkung der Exporte wünschenswert ist und einigen Partnerländern keine Probleme bereiten wird.

Proteststimmen: Respektierung der grundlegenden Arbeitsnormen?

Für uns als ACV geht es in erster Linie darum, dass der Handel die Förderung menschenwürdiger Arbeit zum Ziel hat und dass die Achtung der grundlegenden Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation daher im Mittelpunkt eines jeden EU-Handelsabkommens steht. Dazu gehört auch der Schutz unserer eigenen Arbeitnehmer vor Sozialdumping, mit gleichen Wettbewerbsbedingungen für beide Parteien des Handelsabkommens!

Aber was die Achtung und Einhaltung der Arbeits- und Menschenrechte betrifft, so laufen die Dinge in der MERCOSUR-Region und insbesondere in Brasilien ernsthaft schief. Im Jahr 2020 veröffentlichte Human Rights Watch einen verheerenden Bericht über die Achtung der Menschenrechte in Brasilien unter dem Bolsonaro-Regime. Der Bericht berichtet von nicht weniger als 6.600 Todesfällen durch Polizeigewalt, Folter von Gefangenen, Verletzungen der Rechte von Kindern, Migranten, Frauen, sexuellen Minderheiten und indigenen Völkern. In ihrem Global Rights Index hat die Internationale Gewerkschaft Brasilien aufgrund der Gewalt gegen Gewerkschafter und des Zusammenbruchs des Rechts auf Tarifverhandlungen auf die Liste der zehn Länder gesetzt, die hinsichtlich der Achtung der Arbeitnehmerrechte am schlechtesten abschneiden.

Brasilien hat die Kernarbeitsnorm 87 der Internationalen Arbeitsorganisation über Gewerkschaftsfreiheit nicht ratifiziert. Die anderen MERCOSUR-Länder haben alle Kernarbeitsnormen ratifiziert, aber vor allem haben sie diese nicht eingehalten. In Brasilien gibt es ein großes Problem der Kinder- und Zwangsarbeit, insbesondere in den großen exportorientierten landwirtschaftlichen Betrieben oder Latifundien. Im Zeitraum 2000-2015 wurden vor allem unter der Regierung von Präsident Lula (der Arbeitspartei) große Fortschritte bei den Programmen zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und Kinderarbeit erzielt, aber diese Programme wurden unter Bolsonaro wieder rückgängig gemacht. Im Allgemeinen machten die Mercosur-Länder im Zeitraum 2000-2015 Fortschritte bei der sozialen Entwicklung, der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, menschenwürdigen Einkommen und sozialem Schutz sowie bei der Bekämpfung der Ungleichheit, aber in Argentinien und Brasilien wurden die soziale Entwicklung und die Arbeitnehmerrechte unter den rechtsgerichteten, wirtschaftsfreundlichen Regierungen Macri und Bolsonaro seither eingeschränkt.

Und die Achtung der Umweltrechte?

Es gibt auch große Probleme in der Region, wenn es um die Achtung der Umweltrechte geht. Letztes Jahr standen große Teile des Amazonas-Regenwaldes in Flammen. Die Abholzung, um Platz für das Agro-Business in den drei grossen Ländern (Soja, Zucker, Rindfleisch) zu schaffen, geht in rascher Folge weiter, ohne dass die gegenwärtige brasilianische Regierung sie daran hindert. Umweltschützer und NGOs befürchten, dass das EU-MERCOSUR-Abkommen diese klima- und umweltschädigenden Trends weiter fördern wird, indem es die Exportnachfrage nach diesen Agrarprodukten aus der EU erhöht. Bauernverbände in Europa und in Belgien befürchten den unlauteren Wettbewerb des lateinamerikanischen Agrobusiness, das nicht die gleichen Lebensmittelsicherheitsstandards erfüllen muss. Die Durchsetzungssysteme sind schwach und der Einsatz von Pestiziden ist hoch.

EU-MERCOSUR-Abkommen kein Hebel zur Förderung der Achtung der Umwelt und der Arbeitnehmerrechte

Der Europäische Gewerkschaftsbund und die dem IBFG angeschlossene Gewerkschaftsplattform MERCOSUR sehen das vorliegende Abkommen nicht als einen konstruktiven Rahmen für die Förderung menschenwürdiger Arbeit und eines sozial gerechten Übergangs. Grundlegende Einwände für die Gewerkschaften sind das Fehlen von Hebeln im Nachhaltigkeitskapitel des Abkommens zur Förderung der Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechte: Die Einhaltung dieser Rechte kann nicht durchgesetzt werden, da im Falle von Verstößen keine Sanktionen vorgesehen sind. In ihrer Erklärung konzentrieren sich die lateinamerikanischen und europäischen Gewerkschaftsführer auch auf den politischen Kontext dieses Abkommens. Ist es angebracht, jetzt ein Abkommen mit diesem Regierungspartner in Brasilien abzuschließen, bei dessen gegenwärtigem Stand der Menschen- und Arbeitnehmerrechte und seiner Geringschätzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit?
Vereinbarter MERCOSUR-EU: Wie soll vorgegangen werden?

Das Kooperationsabkommen EU-MERCOSUR ist ein sogenanntes gemischtes Abkommen. Es umfasst ein Handelsabkommen - seit dem Vertrag von Lissabon fällt es in die Zuständigkeit der EU - aber es gibt auch ein Abkommen über politische Zusammenarbeit. Wenn ein separates Abkommen abgeschlossen wird, muss der Handelsteil lediglich von den EU-Institutionen (Europäisches Parlament, Europäischer Rat und Europäische Kommission) genehmigt werden. Auch der Rest des Abkommens muss von allen Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Die Parlamente Österreichs, Irlands, Frankreichs, Luxemburgs, der Niederlande und - für Belgien - die Regionalparlamente Walloniens und Brüssels haben bereits mitgeteilt, dass sie dem Abkommen in seiner jetzigen Form nicht zustimmen können. Denn das Abkommen steht nicht im Einklang mit der europäischen Politik und dem europäischen Rechtsrahmen zur Förderung einer ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung.

Es ist dem ACV auch klar, dass dieses Abkommen nicht den Zielen entspricht, die wir uns für fairen Handel und bessere Handelsabkommen gesetzt haben. In diesem Herbst gibt es viel zu tun: Sensibilisierungskampagnen in der Öffentlichkeit und unter unseren Mitgliedern und vor allem Lobbyarbeit bei unseren Politikern, um ihnen klar zu machen, dass wir bessere Handelsabkommen wollen, die auf menschenwürdige Arbeit und einen sozial gerechten Übergang ausgerichtet sind.

(Karin Debroey - Abteilung ACV-CSC International & Europa)