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SOTEU 2025: Europas Moment der Unabhängigkeit

Die Präsidentin der Kommission hielt eine kämpferische Rede mit wenigen Überraschungen, in deren Mittelpunkt die Notwendigkeit der EU stand, ihre Unabhängigkeit zu sichern.

Am 10. September 2025 hielt die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, vor dem Europäischen Parlament in Straßburg ihre erste Rede zur Lage der Europäischen Union (SOTEU) in ihrer zweiten Amtszeit.

In einem globalen Kontext, der sowohl von militärischen als auch von wirtschaftlichen Konflikten geprägt ist, rief Präsidentin von der Leyen die Mitgliedstaaten und demokratischen Fraktionen im EP zur Zusammenarbeit und Einheit auf und stellte dies als Europas Kampf um Unabhängigkeit in einer Welt dar, „in der viele Großmächte Europa gegenüber entweder ambivalent oder offen feindselig eingestellt sind“.

Von der Leyen erklärte nachdrücklich, dass es sich die EU nicht leisten könne, durch interne Konflikte gelähmt zu sein, und fragte, ob die EU den politischen Willen und die Fähigkeiten zu Kompromissen habe.

Ein Schwerpunkt der Rede lag auf der Außen- und Verteidigungspolitik. Russland, die Ukraine und Gaza nahmen zu Beginn ihrer Rede einen prominenten Platz ein. Von der Leyen kündigte eine neue Drohnenallianz mit der Ukraine und ein Programm zur qualitativen Stärkung der Streitkräfte (Qualitative Military Edge Programme) an, um die ukrainischen Streitkräfte zu stärken, und bestätigte, dass Europa 6 Milliarden Euro für diese Bemühungen bereitstellen werde. Sie forderte außerdem eine Überwachung der Ostflanke, einschließlich Investitionen in Überwachung, Drohnen und gemeinsame Verteidigungsprojekte, und betonte, dass Europa bereit sein müsse, „jeden Zentimeter seines Territoriums” zu verteidigen.

Im weiteren Verlauf ihrer außenpolitischen Ausführungen kam die eigentliche Überraschung, als sie auf den Konflikt in Gaza einging. Während Dutzende von Europaabgeordneten – darunter zwei Mitglieder ihres Kabinetts – rote Kleidung trugen, um auf die humanitäre Lage dort aufmerksam zu machen, nahm von der Leyen zum ersten Mal eine harte Haltung gegenüber Israel ein. Sie verurteilte Israels Einsatz von Hungersnöten als „Kriegswaffe“, bezeichnete die humanitäre Lage als „katastrophal“ und kündigte neue Maßnahmen an: Sanktionen gegen extremistische Mitglieder der Regierung und die teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens. Maßnahmen, für die es jedoch schwierig bis unmöglich sein wird, eine Mehrheit zu finden.

Ein weiterer wichtiger Teil ihrer Rede konzentrierte sich auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit Europas. Von der Leyen bekräftigte den Wettbewerbsfonds (der bereits zu Beginn ihrer Amtszeit angekündigt worden war), bestätigte den Scaleup Europe Fund und stellte neue Investitionen in KI-Gigafabriken vor. Auch Maßnahmen im Bereich saubere Technologien und Kreislaufwirtschaft wurden hervorgehoben, darunter ein Battery Booster-Paket und ein neu eingeführtes „Made in Europe“-Kriterium für das öffentliche Beschaffungswesen. Vor allem kündigte sie einen Fahrplan für den Binnenmarkt bis 2028 an, um interne Barrieren abzubauen, die einem Zollsatz von 45 % auf Waren entsprechen, um den unvollendeten Binnenmarkt zu vollenden. Im Bereich Energie kündigte sie zwei neue Initiativen an: Energieautobahnen und ein Netzpaket, um Engpässe zu beseitigen und die Kosten für Haushalte und Industrie zu senken. All dies vor dem Hintergrund der Bestätigung der verabschiedeten EU-Klimaziele. „Wir müssen unseren Kurs in Bezug auf unsere Klima- und Umweltziele beibehalten“, erklärte Von der Leyen und kündigte gleichzeitig mehr „Flexibilität“ für die Industrie an.

Rechtsstaatlichkeit und Demokratie fanden große Beachtung. Von der Leyen schlug ein Zentrum für demokratische Resilienz vor, um Manipulationen und Desinformation zu überwachen und aufzudecken, sowie ein Programm zur Stärkung der Medienresilienz, um den unabhängigen Journalismus zu unterstützen. Sie ging auch auf die Sorgen der Eltern hinsichtlich der Sicherheit ihrer Kinder im Internet ein und schlug vor, dass Europa in Betracht ziehen könnte, dem Beispiel Australiens zu folgen und den Zugang Minderjähriger zu sozialen Medien zu beschränken.

Im Bereich Soziales bekräftigte von der Leyen die Absicht der Kommission, ein Gesetz für hochwertige Arbeitsplätze und eine europäische Strategie zur Bekämpfung der Armut zu verabschieden, die bis 2050 beseitigt werden soll. Sie verwies erneut auf Maßnahmen für bezahlbare Energie und Wohnraum (der europäische Plan für bezahlbaren Wohnraum wurde nun von 2026 auf 2025 vorgezogen), kleine Elektroautos und Lebensmittelpreise und verband diese Initiativen direkt mit der europäischen Säule sozialer Rechte.

Insgesamt bestätigte die Rede die Prioritäten, die 2024 zu Beginn der zweiten Amtszeit der Kommission von der Leyen festgelegt wurden – allerdings in einem dringlicheren Ton und mit einer starken Betonung der Notwendigkeit der Einheit, wenn Europa Herr seines eigenen Schicksals bleiben will. Die soziale Dimension bleibt jedoch in der Agenda der Kommission zweitrangig.

Die heftigen Reaktionen in der Debatte nach der SOTEU, die sich hauptsächlich auf das Handelsabkommen zwischen der EU und den USA und die EU-Politik gegenüber Gaza bezogen, offenbarten die Fragilität des Bündnisses der demokratischen Mitte im Parlament. Ein Großteil der Kritik an der Kommission, auch aus den Hauptstädten der Mitgliedstaaten, in Bezug auf Gaza ist jedoch unfair: Die Kommission kann nur im Rahmen des ihr vom Rat erteilten Mandats handeln.

Von der Leyen hatte mit ihrem Aufruf zur Einheit innerhalb der EU absolut Recht. Zu viele EU-Mitglieder sind mit internen Streitigkeiten beschäftigt. Der Zeitpunkt für die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips ist wahrscheinlich verpasst worden – ein historisches Versäumnis. Umso mehr wird nun der politische Wille zum Kompromiss eine Voraussetzung für den erfolgreichen Kampf der EU um Unabhängigkeit sein.

Luc Van den Brande, Präsident

Sigrid Schraml, Generalsekretärin