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Portugal Vorbild für EU-Lösung

Das Land am Atlantik hat eine lange Tradition bei Mindestlöhnen. Davon könnte nun auch die EU profitieren.

Photo: Symbolbild: Portugiesische Fischer bei der Arbeit. EC - Audiovisual Service // Patricia De Melo Moreira

Portugal hat eine langjährige Erfahrung, was die Etablierung eines monatlichen Mindestlohns betrifft. Davon kann auch die EU profitieren, sagt João Paolo Branco vom EZA-Mitgliedszentrum CFTL.

Portugal verfügt bereits über langjährige Erfahrungen in der Umsetzung eines monatlichen Mindestlohns, der kurz nach der demokratischen Revolution von 1974 eingeführt wurde. Sein Wert wird jährlich von der Regierung nach Anhörung der Sozialpartner festgelegt. Für das Jahr 2020 wurde der Mindestlohn auf 635 EUR pro Monat festgelegt, und das Programm der Regierung sieht vor, dass er bis 2023 750 EUR erreicht.

Da die Wettbewerbsfähigkeit der portugiesischen Wirtschaft historisch gesehen auf der Beibehaltung niedriger Löhne beruhte, hat der Mindestlohn seit seiner Einführung eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Arbeitsmarktes gespielt.

Effektive und unmittelbare Auswirkung

Der Mindestlohn hat eine effektive und unmittelbare Auswirkung auf das Leben von Arbeitnehmern mit niedrigem Lohn. Seine Bedeutung liegt aber auch darin, dass er einen Maßstab für Tarifverhandlungen darstellt. Durch Tarifverhandlungen werden die Auswirkungen von Mindestlohnerhöhungen auf andere Arbeitnehmer ausgeweitet – insbesondere auf diejenigen, deren Lohn knapp über dieser Untergrenze liegt. In dieser Hinsicht ist das Vorgehen in Portugal beispielhaft. Ein Teil der Maßnahmen der Troika (2011-2014) konzentrierte sich auf die Schwächung der Tarifverhandlungen, die mit einer Stagnation des Mindestlohns einherging. Nach 2015 ist der Mindestlohn jedoch wieder gestiegen, und zwar um durchschnittlich beachtliche 4,5% pro Jahr. Allerdings wurde in diesem Zeitraum fast nichts zur Wiederaufnahme von Tarifverhandlungen unternommen. Allerdings wurde in diesem Zeitraum fast nichts zur Wiederaufnahme von Tarifverhandlungen unternommen.

Dies hatte zur Folge, dass die Entfaltungskraft weitgehend verloren ging. Betrug im April 2011 der Anteil der Arbeitnehmer, die den Mindestlohn beziehen, noch 9,4%, so erreichte dieser Anteil im April 2017 bereits 25,7%.

Erfahrungen Portugals wichtig für europäischen Mindestlohn

Die Erfahrungen Portugals bieten somit wichtige Anhaltspunkte für die Diskussion um den europäischen Mindestlohn. Der Vorschlag des Ausschusses zum europäischen Mindestlohn konzentriert sich auf den Mindestlohn als Instrument zur Bekämpfung von Armut. Dies ist verständlich und entspricht den Bedürfnissen zweier Ländergruppen innerhalb der Union.

In den nordeuropäischen Ländern, in denen die Wohlfahrtsstaaten fortgeschritten und die Strukturen für Tarifverhandlungen stark ausgeprägt sind, ist der europäische Mindestlohn ein relevantes Instrument, um mehr oder weniger sporadische Fälle extremer Ausbeutung zu verhindern, die irgendwie durch die Netze der Tarifverhandlungen und des sozialen Dialogs fallen. In Osteuropa wiederum kann der europäische Mindestlohn angesichts der Fragilität der Wohlfahrtsstaaten und ihrer Instrumente zur Regulierung der Arbeit ein wichtiges Element zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller Arbeitnehmer sein.

Verhältnis Mindestlohn und Tarifverhandlungen

Dies sind lobenswerte Ziele, und als solche verdient der Vorschlag der Kommission unsere Solidarität. Wir müssen jedoch feststellen, dass der Vorschlag sehr wenig über die Komponente aussagt, die in den südeuropäischen Ländern am relevantesten ist: das Verhältnis zwischen dem europäischen Mindestlohn und den Tarifverhandlungen. Wie bereits im Text des Vorschlags selbst eingeräumt wird, haben die Strukturen des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen in den letzten Jahren eine starke – und oft gezielte – Entwertung innerhalb der Union erfahren. Diese Entwicklung war in den Ländern, die am stärksten von der Schuldenkrise betroffen waren, wie Spanien, Portugal oder Griechenland, besonders ausgeprägt. Und diese Komponente ist von grundlegender Bedeutung. Betrachten wir beispielsweise den Fall Portugals, so wird ein europäischer Mindestlohn kaum Auswirkungen haben, da der nationale Mindestlohn ein seit langem etabliertes politisches Instrument ist.

Für Länder wie Portugal wird der wirkliche Vorteil eines europäischen Mindestlohns nicht im Lohn selbst liegen, sondern im legislativen und institutionellen Rahmen, der seine Umsetzung und Überwachung begleiten wird – und vor allem in der Art und Weise, wie dieser Rahmen es ermöglichen wird, in jedem Mitgliedsland Tarifverhandlungen und Dialog wieder in den Mittelpunkt der Debatte und der politischen Ziele zu rücken. Wenn er mit Elementen wie politischen Empfehlungen zur Koppelung des Mindestlohns an die übrige Lohnstruktur oder durch Zielvorgaben (mit der entsprechenden systematischen Erfassung von Informationen) für die Qualität und den Umfang von Tarifverhandlungen einhergeht, können sie den europäischen Mindestlohn zu einem wichtigen Element der Erneuerung des sozialen Dialogs machen.

(João Paulo Branco)