Fast 100 Millionen Menschen in der EU waren im Jahr 2021 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wie aktuelle Daten von Eurostat zeigen. Dies entspricht mehr als einem von fünf Menschen in der EU. Das Risiko von Armut oder sozialer Ausgrenzung ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich, wobei die höchsten Anteile in Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Spanien zu verzeichnen sind. Es überrascht nicht, dass Frauen, junge Erwachsene, weniger gebildete Menschen und Arbeitslose besonders gefährdet sind.
In diesem Zusammenhang und im Anschluss an eine Reihe von Verpflichtungen auf EU-Ebene hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Empfehlung zu einem angemessenen Mindesteinkommen im September 2022 veröffentlicht. Dieses neue Instrument soll die Mitgliedstaaten bei der Verbesserung ihrer nationalen Mindesteinkommensregelungen unterstützen.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Mitgliedstaaten bis Ende 2030 sicherstellen, dass ihre Einkommensunterstützung ausreicht, um ein Leben in Würde zu gewährleisten. Die Höhe dieser Einkommensunterstützung sollte daher nach einer transparenten Methode festgelegt und regelmäßig aktualisiert werden, die bestimmte Kriterien (wie z. B. die Lebenshaltungskosten) berücksichtigt, und sie sollte bestimmten nationalen Referenzwerten (wie z. B. der nationalen Armutsgefährdungsquote) entsprechen.
Zweitens sollten alle Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, von diesen Mindesteinkommensregelungen erfasst werden, was bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nicht diskriminierende Kriterien für den Zugang zu diesen Leistungen festlegen müssen.
Drittens sollen vereinfachte Antragsverfahren, geringere administrative Hürden und leichter zugängliche Informationen sicherstellen, dass alle potenziellen Empfänger diese Leistungen in Anspruch nehmen.
Andere Bestimmungen zielen darauf ab, sicherzustellen, dass die Leistungsempfänger ausreichende Anreize und Unterstützung für den (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt erhalten, dass sie Zugang zu wesentlichen und grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Energie und Verkehr haben und dass sie rechtzeitig individuelle Unterstützung erhalten.
Die Empfehlung ist nach der kürzlich verabschiedeten Richtlinie über angemessene Mindestlöhne zweifellos ein weiterer wichtiger Rechtsakt im sozialen Bereich.
Es ist jedoch fraglich, ob der gewählte Rechtsakt (eine Empfehlung) die erwartete Wirkung haben wird, da Empfehlungen im Gegensatz zu anderen EU-Rechtsakten wie Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen keine bindende Kraft haben. Das bedeutet, dass die Kommission die Umsetzung dieser Empfehlung überwachen kann und wird, aber es wird keine Sanktionen für Mitgliedstaaten geben, die der Empfehlung nicht nachkommen. Zuvor muss die Empfehlung von den Regierungen der Mitgliedstaaten im Rat formell angenommen werden.