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In sieben Stationen aus der Krise

EZA-Partner aus Österreich zeigen in sieben Stationen Wege aus der Corona Krise auf - auf Basis der christlichen Soziallehre.

Die sieben Schritte aus der Krise. Bild: FCG-Österreich.

Andreas Gjecaj Photo: FCG

Franz Gosch. Photo: FCG

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: Station 1 “VORRANG MENSCH”

Eine Welt, in der jeder Mensch mit persönlicher Würde und unveräußerlichen Rechten als „Gesamtkunstwerk“ wahrgenommen wird.

Vor rund 100 Jahren begann der junge belgische Arbeiterpriester und spätere Kardinal, Joseph Cardijn, mit seiner Gründung der „Christlichen Arbeiterjugend – CAJ“, Lehrlinge und Fabrikarbeiter/innen zu ermutigen, indem er ihnen zurief: „Jede junge Arbeiterin, jeder junge Arbeiter ist mehr wert, als alles Gold der Erde!“

Leider verzeichnete die europäische Geschichte im vergangenen Jahrhundert zwei schreckliche Weltkriege und danach die Teilung des Kontinents durch den „Eisernen Vorhangs“, der erst im Jahr 1989 fiel. Dieser hatte Europa geteilt, in Menschen, die das Glück hatten, im freien Westen zu leben und Menschen im „Ostblock“, denen die kommunistischen Diktaturen jahrzehntelang ihre Lebenschancen raubten. Seit dem Fall mehrten sich jedoch Stimmen die behaupten, dass sich ohne den „real existierenden Sozialismus“ eine nur auf Gewinnmaximierung bedachte Form des Kapitalismus weltweit und auch in Österreich durchgesetzt hätte.

Doch siehe: mit dem Corona-Virus kam es ganz anders! Die österreichische Bundesregierung, die es unter Bundeskanzler Sebastian Kurz erstmals seit 60 Jahren geschafft hatte, ein Budget ohne Defizit auszuweisen und dies auch für heuer anstrebte, zog die Notbremse und gewährte damit den Menschen „Vorrang!“ Natürlich sind damit die Spielregeln der Wirtschaft nicht außer Kraft gesetzt und wir werden auch in Zukunft wieder ausgeglichene Haushalte und geordnete Staatsfinanzen benötigen, aber wenn der Finanzminister wörtlich sagt: „Koste es, was es wolle“ – weil die Gesundheit und das (Über-)Leben der Menschen Vorrang hat, dann ist diese erste Station der Soziallehre nicht nur erreicht, sondern auch vorbildlich umgesetzt.

Und jenen, die bereits wieder zu jammern beginnen, über die Kosten, die diese konsequente Haltung verursacht, sei gesagt: Es gibt Bereiche, die wir nicht dem Kosten-Nutzen-Kalkül der Wirtschaft unterziehen dürfen, die wir aus dieser „Berechnung“ heraushalten müssen. Ein leuchtendes Beispiel ist der Sonntag, der uns wöchentlich daran erinnert, dass die Frage, was es kostet, an einem Tag nicht zu arbeiten, unzulässig ist. Wenn wir den Sonntag in die „neue Normalität“ retten können, als Tag, der für andere Werte steht, als jene, die über den Ladentisch wechseln, ist uns Entscheidendes für das „Gesamtkunstwerk Mensch“ gelungen!

Franz Gosch ist FCG-Landesvorsitzender Steiermark & GPA-Bundesgeschäftsführer
Andreas Gjecaj ist FCG-Generalsekretär, ÖGB-Sekretär und Redakteur des „Vorrang Mensch“-Teams

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: Station 2 “GEMEINWOHL”

Eine Gesellschaft, die auf das Gemeinwohl baut und allen ermöglicht, ihr Menschsein zu verwirklichen.

„Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann – frage, was Du für Dein Land tun kannst“  lautet ein oft zitierter Satz aus der Antrittsrede des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy aus dem Jahr 1961. In das Spannungsfeld zwischen der Vertretung persönlicher Freiheiten und eigener Interessen gegenüber jenen unserer Mitbürger/innen und des ganzen Landes wurden wir durch die Corona-Krise ganz jäh hineingeworfen. Natürlich beinhaltet die Würde, Einheit und Gleichheit aller Menschen auch deren Gesundheit. In Österreich haben wir uns dafür entschieden, zum Schutz der Gesundheit, besonders jener Menschen, die wegen ihrer Vorerkrankungen oder ihres hohen Alters durch eine Virus-Infektion besonders bedroht wären, auf persönliche Freiheitsrechte zu verzichten.

Die Bundesregierung hat im Frühjahr 2020 diesen Weg vorgegeben, die Bevölkerung hat ihn in hohem Maße mitgetragen und damit Verantwortung für das Gemeinwohl übernommen. Dies ist umso bemerkenswerter, als am Beginn des 21. Jahrhunderts und des „digitalen Zeitalters“ in vielen Ländern die Gefahr eines Verlustes von Sinn- und Wirklichkeitsbezügen besteht. Die Digitalisierung schien eher einen Lebensstil, der aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit und Leichtsinn, keine Verantwortung mehr anerkennen will, zu bestärken. Doch angesichts globaler Herausforderungen, die lauten: Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und demographischer Wandel, wird ein Button mit der Bezeichnung: „Click here to save the world!“ nicht ausreichend sein. Die Krise hat in Erinnerung gerufen, dass die Übernahme von Verantwortung unbequem ist und es oft riskant erscheint, unsere „Komfortzone“ zu verlassen.

Nicht nur das Corona-Virus hat sich mit rasender Geschwindigkeit weltweit ausgebreitet, auch das Gemeinwohl muss weltweit gedacht werden und eine Form menschenwürdiger Globalisierung anstreben. Zur Schaffung eines universellen Gemeinwohls, im Respekt und unter Wahrung geschichtlicher und kultureller Eigenarten jedes Landes, wird es in einer „neuen Normalität“ wieder einen höheren Grad internationaler Ordnung und stabilere Beziehungen zwischen Staaten brauchen. Grundgedanke könnte dabei ein weiterer Satz aus der Antrittsrede sein: „Wenn eine freie Gesellschaft den vielen nicht helfen kann, die arm sind, kann sie die wenigen nicht retten, die reich sind.“

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: Station 3 “GERECHTE VERTEILUNG”

Das Streben nach einer möglichst gerechten Verteilung, weil die Erde für alle Menschen da ist.

Das bekannte Zitat Mahatma Gandhis: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“, hat in der Corona-Krise seine zeitlose Gültigkeit bewiesen. Eigentlich ist die „allgemeine Bestimmung“ der Güter unserer Erde als kennzeichnendes Prinzip der Soziallehre bekannt. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, die zu seiner Entwicklung notwendigen Güter in Anspruch zu nehmen. Beispiele sind die natürliche und menschliche Umwelt, trinkbares Wasser, saubere Luft, aber auch Zugang zu Information, Wissen und Ausbildung. Auf mindestens zwei Ebenen haben wir in Europa während des „Corona-Ernstfalls“ die gerechte Verteilung der Güter zugunsten von Angst und Gier geopfert: durch die „Hamsterkäufe“ vieler Bürger/innen und die „Exportverbote“ einzelner Regierungen.

Jene Staaten, die über medizinische Güter (Schutzanzüge, Masken, …) ein Exportverbot verhängten, wie z.B. Frankreich und Deutschland, müssen sich die Frage gefallen lassen, wodurch das zu rechtfertigen wäre. Soll wirklich, am Beginn des 21. Jahrhunderts und unter Mitgliedsstaaten der EU, deutsche Gesundheit und deutsches Leben schützenswerter sein, als jenes jenseits der Staatsgrenze, also polnisches, tschechisches oder österreichisches Leben? Und denkt man an die leergefegten Regale, weil in einer Mischung aus Angst und Gier mit übervollen Einkaufswägen, Konserven, Mehl und Klopapier gehamstert wurden, bleibt wohl nur Scham über dieses demaskierende Verhalten.

Die Soziallehre fordert uns zum Gegenteil auf, nämlich auf die Mitmenschen – und hier besonders die Armen – nicht zu vergessen. Papst Gregor der Große schrieb dazu: „Denn wenn wir die Bedürftigen mit dem Notwendigen versorgen, geben wir ihnen das Ihre zurück und verschenken nicht das Unsrige. Wir lösen eher das ein, was wir der Gerechtigkeit schulden, als dass wir ein Werk der Barmherzigkeit vollbringen.“

Selbst in der größten Krise ist Angst kein guter Ratgeber. Für eine „neue Normalität“ sollten wir ein Verhalten einüben, welches auf gegenseitiges Vertrauen setzt. Dies beinhaltet, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind, wir uns aufeinander verlassen können und die Ärmsten nicht aus dem Blick verlieren. Ein Vorbild liefert der im Mai 2020 verstorbene Bischof emeritus Johann Weber: „Vertrauen hat einen längeren Atem als Angst! Ich danke Ihnen!“

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: Station 4 “SUBSIDIARITÄT”

Mehr subsidiäre Stärkung von kleinen Einheiten, wie z.B. Familien und Gemeinden und weniger Zentralismus.

So sperrig und fremd das Wort „Subsidiarität“ auch klingen mag, ist es doch sehr einsichtig. Der „hilfreiche Beistand“ (vom lateinischen: „subsiduum – Hilfe“ abgeleitet) ist Hilfe zur Selbsthilfe und kennt immer zwei Seiten: Einerseits darf alles, was kleinere Einheiten, wie z.B. Familien und Gemeinden selbst zustande bringen, diesen keinesfalls entzogen werden. Andererseits ist es Aufgabe und Pflicht größerer Einheiten, wie z.B. von Staaten oder der EU, dort Hilfe zu leisten, wo die „Kleinen“ überfordert sind. Dies ist ein für unsere Gesellschaftsordnung wesentlicher Balanceakt, der ständig gegen die Gefahr eines überbordenden Zentralismus ankämpfen muss und gleichzeitig notwendige Hilfe nicht verweigern darf.

Im Frühjahr 2020 traten in der Corona-Krise beide Seiten in Erscheinung: In ganz vielen Familien haben sich bisher fast vergessene Qualitäten gezeigt. Mit Kraft und Kreativität wurde für die Kinder „Home-schooling“ jeden Tag neu erfunden, dies oft zusätzlich zur Verlagerung der Büroarbeit ins „Home-Office“ und der Bewältigung sämtlicher Hausarbeiten. Auch Nachbarn sind näher zusammengerückt, haben füreinander Verantwortung übernommen und sich deutlich mehr um Mitmenschen gekümmert, die allein und einsam sind. So überraschend und positiv diese Verhaltensweisen auch waren, zur gleichen Zeit hat die Krise schonungslos die Schwächen der EU aufgedeckt.

Die Ausbreitung des Virus ist nämlich nicht wie ein Rasenmäher über ganz Europa gefahren, sondern hat einzelne Regionen – mit tausenden Todesfällen – ganz massiv betroffen und andere nur ganz leicht gestreift. Hier wäre ein unverzüglicher „Feuerwehreinsatz“ notwendig, wo mit „Blaulicht“ aus wenig betroffenen Regionen Ärzt/innen, Krankenpfleger/innen und medizinische Güter zu den „Hot-Spots“ gelangen um in gemeinsamer Kraftanstrengung die Krise zu meistern. Stattdessen haben alle Mitgliedsländer der EU scheinbar das Wort „Union“ aus ihrem Bewusstsein verdrängt und innerhalb nationaler Grenzen jeweils eigene Programme umgesetzt.

Es liegt auf der Hand, was wir aus diesen Erfahrungen in einer „neuen Normalität“ anders und besser machen müssen: Unsere Nachbarn werden auch nach Corona einsam sein, unsere wertvollen Familien brauchen Liebe zum Leben und die EU hat Reformbedarf!

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: Station 5 “LEBENDIGE DEMOKRATIE

Ein Aufblühen der Demokratie, an der sich Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligen.

„Ein besonders Anliegen ist uns die europäische Dimension von Verbundenheit. Anstatt 25 Jahre Mitgliedschaft in der EU zu feiern und damit auch eine größer gewordene Begegnungsfreiheit im Schengen-Raum, blickten wir auf geschlossene Grenzen. Der Kampf gegen die Pandemie zeigt einmal mehr, wie wichtig unser gemeinsames Europa ist und auch wie zerbrechlich“ schreiben die österreichischen Bischöfe in ihrem Hirtenwort für eine „geistvoll erneuerte Normalität“. Die Demokratie steht und fällt mit der aktiven Mitverantwortung der Bürger/innen, als Einzelne, aber auch als gesellschaftliche Gruppen, wie z.B. politischer Parteien. Darum gehört die demokratische Bewusstseinsbildung zu den großen Anliegen einer selbstverantwortlichen, freien Gesellschaft, auch einer Gewerkschaftsbewegung. Die Corona-Krise hat zu Tage gefördert, wie wenig tragfähig das durch Verträge scheinbar abgesicherte „Gemeinsame“ in der EU ist, weil – fast reflexartig – die Grenzen der Nationalstaaten hochgefahren wurden. Dies ist umso erstaunlicher, als am Beginn des 21. Jahrhunderts Nationalstaaten immer mehr in Frage gestellt werden: Zum einen, weil weltweite Herausforderungen, wie z.B. die Klimakrise, nicht von einzelnen Staaten bewältigt werden können, sondern kontinentale, wenn nicht globale, Lösungen erfordern, zum anderen weil digitale „Plattformen“ – ebenfalls weltweit agierend – aus bisherigen Staats-Bürger/innen mittels neuer Abhängigkeiten Benutzer und „Follower“ machen, die sich, wie Prof. Christoph Türke schreibt, „in digitaler Gefolgschaft auf dem Weg in eine neue weltweite Stammesgesellschaft“ befinden. Über das Internet haben sich auch zahlreiche Verschwörungstheorien in rasender Geschwindigkeit ausgebreitet.

Die Aufgabe, Demokratie in der EU zu stärken, ist auch 75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs riesig und daher die Forderung des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers, Dr. Wolfgang Schüssel, plausibel: „Wir müssen Europa in größeren Maßstäben denken!“ Wenn wir in einer „neuen Normalität“ für ein Aufblühen der Demokratie sorgen wollen, dann dürfen wir die EU nicht zu einem Projekt der Kommissionen und Kommissare verkommen lassen, sondern müssen uns als aktive Bürger/innen in leidenschaftlicher Zusammenarbeit gegen nationalistische Kleinstaaterei engagieren. Dabei geht es nicht um mehr oder weniger EU, sondern um eine bessere EU!

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: Station 6 “SOLIDARITÄT”

Gelebte Solidarität, in der die Menschen in „gegenseitiger Verantwortung“ füreinander einstehen.

Der Satz: „Vor dem Virus sind alle gleich!“ ist schnell dahingesagt, meinte Prof. Paul M. Zulehner bei der „Weizer Pfingstvision“ um weiter auszuführen: „Vor dem Virus sind alle gleich. Aber das Virus trifft nicht alle gleich!“ Es trifft die Schwarzen in den USA mehr als die Weißen. Das reiche Österreich kann sich weit besser helfen, als das wirtschaftlich bedrängte Ecuador. Und der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un kann sich in seinen privaten Luxuszug setzen und in einen geschützten Badeort fahren. Aber zusammengepferchte Menschen in Flüchtlingslagern haben diese Möglichkeiten nicht. Das Corona-Virus deckt unverblümt herrschende Ungerechtigkeiten in dieser „Einen Welt“ auf.

Hier ist Solidarität gefordert, als eine persönliche Haltung mit universaler Reichweite und zugleich als Strukturprinzip der Gesellschaft, in der Menschen in „gegenseitiger Verantwortung“ füreinander einstehen. Solidarität, die ermutigt, sich für jene einzusetzen, die das Virus mehr als andere trifft. Angesichts der Tatsache, dass wir durch die Globalisierung längst schon zu Nachbarn geworden sind, ohne miteinander bekannt zu sein und Verantwortung füreinander zu übernehmen, ist dieses Verständnis von Solidarität keine sozialromantische Option, sondern eine alternativlose Überlebensstrategie. Oder sollte sich die weltweite Vernetzung wirklich nur auf „Youtube und Youporn“ beschränken?

Solidarität schließt das entschiedene Interesse und das wirksame Engagement für das Leben und das Wohlergehen anderer Menschen ein. Sie steht für Gerechtigkeit, die Frieden schafft. Im Psalm 85 heißt es: „Gerechtigkeit und Friede küssen sich!“ Ein Dauerauftrag für uns und für alle Politiker/innen: An Stelle von „Sonntagsreden“, ganz konkrete Schritte zu setzen, die für mehr Gerechtigkeit sorgen – nur so kann Solidarität wachsen. In einer „neuen Normalität“ müssen wir die Corona-Infektion hinter uns lassen, um uns von einer „Pandemie der Solidarität“ anstecken zu lassen, wie es Prof. Zulehner fordert. Damit ist nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung über das viele Leid gemeint, sondern eine feste und beständige Entschlossenheit, eine Haltung. In seinem neuesten Buch schreibt Matthias Strolz: „Die letzte Freiheit, die uns immer bleibt, ist die Haltung, die wir zu den Umständen einnehmen.

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: Station 7 „NACHHALTIGKEIT“

Eine Zivilisation der Nachhaltigkeit, in Balance zwischen wirtschaftlichem Wettbewerb, sozialem Schutz und Bewahrung der Lebensgrundlagen.

„Die ökologische Umkehr, die gefordert ist, um eine Dynamik nachhaltiger Veränderung zu schaffen, ist auch eine gemeinschaftliche Umkehr“ schreibt Papst Franziskus in der Enzyklika „Laudato si“. Noch bevor die weltweite Corona-Krise uns allen eine „Atempause“ aufgezwungen hat, wurden dank der von Greta Thunberg gegründeten „Fridays for Future“ – Bewegung die toten Flüsse, die gerodeten Amazonas-Wälder, die verheerende Verschmutzung der Weltmeere, die abschmelzenden Polkappen, die Sturm- und Hochwasserereignisse und sämtliche andere Klimakatastrophen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Offensichtlich steht die Menschheit in Bezug auf die Klimakrise vor der größten Herausforderung seit Generationen. Unser Lebensraum, unser „gemeinsames Haus“, wie es Papst Franziskus nennt, unsere Biosphäre, steht vor dem Zusammenbruch. Wenn es so weitergeht, wie bisher, dann geht es mit unserem Planeten nicht mehr lange weiter, dann haben wir keine Zukunft. In einem Buch zu Konsequenzen aus der Corona Krise haben Ärzte aus Kärnten die Weggabelung, an der wir stehen, so beschrieben: „Der Mensch kann bestimmen, ob er diese Welt verdient hat und zurückkehrt, oder sich nicht besser doch mit einem gigantischen Seufzer von diesem Planeten verabschiedet, damit die Einzeller wieder von vorne beginnen können; mit dem großen Experiment Leben.“ Wenn die Zukunft der Menschheit tatsächlich durch unsere Art zu leben und zu wirtschaften massiv bedroht ist, dann bedeutet eine Einführung in das gesellschaftliche Lebenswissen, die Sozialisation, nicht Menschwerdung für den Einzelnen und Zukunft für die Gesellschaft, sondern genau das Gegenteil. Mit Blick auf die zugespitzte Lage der Menschheitsgesellschaft formulierte Paul M. Zulehner einst: „Gefordert ist, den Zugang zu neuen Lebensmustern zu erschließen. In der Hoffnung, die Gesellschaft so zu ändern, dass sie wieder Zukunft hat.“

In einer „neuen Normalität“ müssen wir Fahrt aufnehmen in Richtung einer weltweiten „ökosozialen Marktwirtschaft“, die eine neue Balance zwischen einem – in jeder Marktwirtschaft stattfindenden – fairen Wettbewerb, einem gerechten Ordnungsrahmen im Sozialstaat und dem lebensnotwendigen Schutz der Umwelt sucht und findet. Nur so werden wir von einer „Zivilisation des Raubbaus“ zu einer „Zivilisation der Nachhaltigkeit“ gelangen!

In 7 Stationen von der Krise in eine neue Normalität: CONCLUSIO

Die Werte der „Christlichen Soziallehre“ haben uns im Frühjahr 2020 zum Nachdenken eingeladen. Auch wenn wir scheinbar mit „Haut und Haar“ im System des Marktes stecken dürfen wir fragen, wo wir mit unseren Herzen und Hirnen hinwollen. Dabei bietet die Soziallehre wertvolle Orientierungen für eine „neue Normalität“ – nach Bewältigung der Krise:

VORRANG MENSCH: Wir müssen uns Bereiche bewahren, die wir nicht unter dem Kosten-Nutzen-Kalkül der Wirtschaft betrachten dürfen, weil es um die Menschenwürde geht. Ein Beispiel dafür ist das Geschenk des Sonntags.

GEMEINWOHL: Die Globalisierung darf sich nicht ausschließlich an wirtschaftlichen Erfordernissen orientieren, sondern muss universelles Gemeinwohl schaffen. Dazu braucht es internationale Ordnungsrahmen.

GERECHTE VERTEILUNG: Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, die zum Leben notwendigen Güter der Erde in Anspruch zu nehmen. Dies erfordert, Angst und Gier zu beherrschen und gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln.

SUBSIDIARITÄT: In vielen Familien wurde in der Krise Großartiges geleistet. Für die Zukunft ist für Familien der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lebensraum sicherzustellen. Und es braucht gesellschaftliche Balance.

LEBENDIGE DEMOKRATIE: Um die Demokratie in der EU zu stärken, dürfen wir die EU nicht zu einem Projekt der Kommissionen und Kommissare verkommen lassen, sondern müssen uns als aktive Bürger/innen politisch engagieren.

SOLIDARITÄT: Der weltweiten Pandemie, die Menschen völlig unterschiedlich getroffen und Ungerechtigkeit aufgedeckt hat, muss eine „Pandemie der Solidarität“ folgen, die Gerechtigkeit fördert, um Solidarität wachsen zu lassen.

NACHHALTIGKEIT: Beim Neustart nach der wirtschaftlichen Talsohle müssen wir statt eines „freien Marktes“ einen „fairen Markt“ schaffen, der eine neue Balance zwischen Wirtschaft, Sozialstaat und Schutz der Umwelt herstellt.

Jedes Nachdenken, jede Orientierung, bietet die Chance zu einer Richtungsänderung. In der Krise traten in unserer Gesellschaft besonders drei Defizite zu Tage: der Mangel an Gerechtigkeit, der Mangel an Gemeinschaft und der Mangel an Sinn. Doch hinter diesen Bedrohungen werden neue „Lebenszeichen“ sichtbar, die Paul M. Zulehner „Spuren des Himmels“ nennt. Er ermutigt, nach vorne zu schauen: „Vertieft Euer Leben, verlasst das enge Gefängnis Eurer Angst und werdet wahrhaft solidarisch liebende Menschen!“