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Das System der beruflichen Bildung in Italien und die Berufe auf dem Arbeitsmarkt

Die Ereignisse der letzten Jahre - wie die jüngste Pandemie, die ukrainisch-russische Krise, die demografischen und ökologischen Veränderungen, die industrielle Revolution, die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz und die Globalisierung - haben die europäischen Länder wirtschaftlich tiefgreifend beeinflusst und den Arbeitsmarkt in Bezug auf die Art der Arbeit, die Berufe und die erforderlichen Kompetenzen verändert. All dies hat neue Herausforderungen mit sich gebracht, die den Mangel an Arbeitnehmer/innen mit geeigneten Qualifikationen, das sogenannte skill missmatch und skill gap deutlich gemacht haben. Dies sind europäische Phänomene, denen dringend entgegengewirkt werden muss, indem nicht nur Bildungseinrichtungen, sondern auch Unternehmen und Arbeitnehmervertreter/innen auf nationaler und europäischer Ebene einbezogen werden.

Das EZA-Seminar zum Thema „Das System der beruflichen Bildung in Italien und die Berufe auf dem Arbeitsmarkt“, das vom 13. bis 15. Dezember 2023 in Mailand / Italien stattfand und von FLC (Fondazione Luigi Clerici) organisiert wurde, war daher eine ideale Gelegenheit, um den notwendigen Austausch und eine Diskussion über das oben genannte Thema unter Einbindung wichtiger Akteure/innen aus Italien und dem Ausland ermöglichte zu ermöglichen. Das Seminar wurde in Zusammenarbeit mit EZA organisiert und finanziert durch die Europäische Union.

Im Verlauf des Seminars hatten die Referenten/innen die Gelegenheit, die Herausforderungen für das Berufsbildungssystem zu veranschaulichen und Strategien auszutauschen, um gemeinsam in einem Dialog praktische und konkrete Lösungen zur Bewältigung dieser neuen Herausforderung (insbesondere skill miss match und skill gap) zu finden. 

Das Seminar wurde von 63 Vertreter/innen von Arbeitnehmerorganisationen besucht. Die Teilnehmer/innen kamen aus: Italien, Irland, Bulgarien, Spanien, Slowenien und Rumänien.

Die folgenden Themenbereiche wurden erörtert:

  • Neue Perspektiven für das System der beruflichen Bildung und der vertikalen Gliederung

  • Bedürfnisse der Unternehmen und neue Kompetenzen im Berufsbildungssystem 

  • Die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen bei der Umschulung und Höherqualifizierung

  • Die Bedeutung des Unternehmenssystems für die Umschulung und Fortbildung

  • Die Bedeutung der Barrierefreiheit in der Ausbildung

  • Umgestaltung und Innovation von Lernräumen

  • Neue Lernmethoden

  • Flexibilität beim Lernen

Aus den Gesprächen und aus den verschiedenen Präsentationen gingen mehrere Ergebnisse hervor:

  • Anpassung der Qualifizierungs- und Umschulungslehrgänge in Italien: Es gibt zahlreiche Elemente, wie z. B. demografische Aspekte (Überalterung der Bevölkerung), Digitalisierung, der so genannte "grüne Übergang" und die Internationalisierung der Märkte, die eine Anpassung der Berufsausbildung erfordern: kürzere Ausbildungswege, Definition und Antizipation des Ausbildungsbedarfs, Flexibilität und leichtere Zugänglichkeit der Ausbildung auch durch Stipendien, Deckung der Kosten, modulare Gestaltung (ein gutes Modell ist das finnische System, in dem beispielsweise die Berufsausbildungswege maßgeschneidert sind; die während eines Ausbildungsweges absolvierten Module bleiben gültig, wenn eine neue Ausbildung eingeschlagen wird; der Erwerb eines Diploms/einer Qualifikation hängt vom Abschluss der vorgesehenen Module ab, was  flexible, nicht im Voraus festgelegte Zeitrahmen,  mit sich bringt).

  • In Italien muss die Zusammenarbeit der Unternehmen mit dem Berufsbildungssystem gestärkt werden, und zwar nicht nur bei der Erfassung des Bedarfs, sondern vor allem bei der Mitgestaltung von Ausbildungsgängen, bei der Aktualisierung der Ausbildungsstandards und bei der Förderung der Lehrlingsausbildung. Darüber hinaus wird ein Wandel in der Unternehmenskultur angestrebt: Das Duale System muss als Mehrwert für die Unternehmen und nicht als Belastung angesehen werden, da dies zur Ausbildung der künftigen Arbeitskräfte beitragen kann. Daher ist es notwendig, dass die Unternehmen den Schülern/innen die Leidenschaft für die Arbeit und den Beruf vermitteln.

  • Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, bietet das deutsche Berufsbildungssystem neben den schulischen Ausbildungsmöglichkeiten auch ein duales Ausbildungssystem an, das darauf abzielt, Schüler/innen mit spezifischen beruflichen Fähigkeiten auszubilden. Darüber hinaus bieten fast 50 Prozent der deutschen Unternehmen sowohl betriebliche als auch außerbetriebliche Ausbildungsprogramme im Bereich der Weiterbildung an.

  • In den meisten Beiträgen - sowohl der italienischen als auch der ausländischen Redner/innen - wurde die Bedeutung von Querschnittskompetenzen in einer Arbeitswelt, die durch Unsicherheit, ständige Veränderungen und Aktualisierungen gekennzeichnet ist, hervorgehoben. Es wird empfohlen, dieser Art von Fähigkeiten Aufmerksamkeit zu schenken, da sie in der Tat "transversal" sind und als solche unabhängig von der Rolle, dem Profil oder dem Kontext, in dem die Person arbeitet, angewendet werden können. So entstehen Arbeitskräfte, die in der Lage sind, sich an Veränderungen in einer Welt, die keineswegs statisch ist, anzupassen. Dies beruht auf der Annahme, dass Querschnittskompetenzen, wenn sie einmal verfeinert sind, immer relevant bleiben, im Gegensatz zu beruflichen Fähigkeiten, die ständig den neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Mit anderen Worten: Arbeitnehmer/innen mit Querschnittskompetenzen sind ein Mehrwert für Unternehmen.

  • Die Bedeutung des flexiblen Lernens (Flexibility in Learning) durch digitale Werkzeuge, die die Verpflichtung zur physischen Anwesenheit verringern, eine größere Anzahl von Teilnehmern/innen (z. B. Studierende aus ländlichen Gebieten) ermöglichen, das Lernen durch den Einsatz von Online-Simulatoren vereinfachen usw., wurde in mehreren Beiträgen hervorgehoben. Ebenso wurde in diesen Beiträgen nicht vergessen auf eventuelle Hindernisse hinzuweisen, die beim flexiblen Lernen auftreten können. Dazu gehören: Eine geeignete Internetverbindung, der Besitz eines geeigneten IT-Geräts, ein angemessener Arbeitsraum, Selbstdisziplin, das Risiko der Isolation, die Glaubwürdigkeit und der Ruf eines Kurses usw. Aus diesen Gründen wird ein maßgeschneiderter Ansatz empfohlen, der die Merkmale und Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigt.

  • Höherqualifizierung und Umschulung müssen alle Altersgruppen von Arbeitnehmer/innen einbeziehen und das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Arbeitnehmerorganisationen sowie der Unterstützung durch Bildungsanbieter/innen sein. Ein gutes Beispiel ist das österreichische Modell, über das eine Referentin berichtet: Die österreichischen Gewerkschaften spielen eine Schlüsselrolle in diesem Prozess als Förderinnen und Anbieterinnen von Kursen.

Die Stiftung Luigi Clerici konnte insbesondere dank des Dialogs mit den Referenten/innen aus anderen europäischen Ländern ihr Ausbildungssystem mit anderen europäischen Modellen vergleichen. Obwohl dieses System auf regionaler Ebene umfassend geregelt ist, ist es dennoch möglich, die von den Fachleuten vorgeschlagenen Methoden und Techniken anzuwenden, insbesondere im Hinblick auf Folgendes: flexibles und zugängliches Lernen, Erweiterung unseres Ausbildungsangebots, um mit den aktuellen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes Schritt zu halten und weitere Intensivierung des Dialogs mit Unternehmen.

Das Seminar war auch eine Gelegenheit, Partner/innen und Einrichtungen aus ganz Europa zusammenzubringen, was einen direkten Vergleich und Austausch von Ideen und bewährten Verfahren ermöglichte. All dies erleichterte den unmittelbaren Beginn neuer fruchtbarer Kooperationen zwischen den Teilnehmern/innen.