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Zwischen Auswanderung und Chancengleichheit: Arbeiten in Europa

Vom 13. bis 15. Oktober 2023 fand ein Seminar zum Thema „Zwischen Auswanderung und Chancengleichheit: Arbeiten in Europa“ statt, organisiert von UNAIE (Unione Nazionale delle Associazioni degli Immigrati ed Emigrati), in Zusammenarbeit mit EZA und finanziert durch die Europäische Union.

70 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Italien, Bosnien-Herzegovina, Bulgarien, Portugal, Frankreich, Deutschland, Belgien, Albanien und dem Vereinigten Königreich (als Gäste), Albanien, Belgien, Tschechische Republik, Frankreich, Deutschland, Spanien und der Ukraine nahmen an dem Seminar teil. 

Das Seminar befasste sich schwerpunktmäßig mit Diskriminierung und insbesondere mit der Ungleichbehandlung von Migrant:innen auf dem Arbeitsmarkt. Die Referent:innen näherten sich diesem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln und setzten unterschiedliche Länderschwerpunkte. Neben der wissenschaftlichen Betrachtung standen Ausführungen aus der Perspektive der Gewerkschaften, der Sozialverbände und der öffentlichen Stellen. Die geschilderten Erfahrungen aus verschiedenen Ländern mit ihren jeweiligen geografischen, demografischen und migrantischen Merkmalen stimmten bei aller Unterschiedlichkeit in einem Punkt überein: in der Dringlichkeit und Aktualität des Phänomens der Diskriminierung von Migrant:innen. Länderspezifische Unterschiede bestehen hinsichtlich der Branchen, in denen Migrant:innen Beschäftigung finden, angefangen bei der Landwirtschaft über Tourismus und Lebensmittelverarbeitung bis zu personenbezogenen Dienstleistungen. Aber es gibt auch beunruhigende Ähnlichkeiten im Hinblick auf Ausbeutung, Intransparenz, Rechtsverstöße und Diskriminierung in der Arbeitswelt ebenso wie im Alltagsleben. 

Diskriminierung war das zentrale Thema vieler Vorträge. Den Anfang machte Francesca Alice Vianello, die in ihrem Beitrag die Ergebnisse eines europäischen Projekts vorstellte. Hier wurde sofort deutlich, dass vergleichbare diskriminierende Praktiken je nach Land in verschiedenen Branchen anzutreffen sind. Rossella Vignola erläuterte die Theorie der Intersektionalität bezogen auf das Phänomen der Diskriminierung und sprach von einer Kluft zwischen Gesetzgebung und bestehenden Schutzformen, die auf nur einzelne Formen der Diskriminierung zielen, und der Realität, in welcher das Zusammentreffen mehrerer Faktoren im Einzelfall negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen bis hin zur Diskriminierung bei Kündigungen haben kann. Tomislav Durtka schilderte die Situation in Bosnien-Herzegowina, wo der Schutz von Minderheiten ein besonders komplexes und heikles Thema ist. Die ethnische und sprachliche Diversität sei in diesem Land nicht allein auf die jüngsten Migrationswellen zurückzuführen, sondern auch Teil des europäischen kulturellen Erbes. Die Suche nach Möglichkeiten für ein friedliches Zusammenleben stellt demnach eine Herausforderung dar, die Europa längst angenommen hat, doch sind wir noch weit entfernt von einer tragfähigen Lösung, die nur dann zu erreichen ist, wenn jeder Einzelne sich als Teil einer nationalen Gemeinschaft fühlen kann, ohne dafür seine Herkunftskultur aufgeben zu müssen. Über die demografische Lage und die innereuropäische Mobilität in Italien und in der Provinz Trient informierte Vincenzo Bertozzi die Teilnehmer:innen anschaulich anhand von Grafiken und Statistiken. 

Die am Samstag, den 14. Oktober, gehaltenen Vorträge boten hingegen die Möglichkeit für einen internationalen Vergleich. In vier Beiträgen ging es um die Migration damals und heute in Bulgarien, Portugal, Frankreich und Spanien. Dabei wurde deutlich, dass die Migrationsströme früherer Zeiten den Aufnahmeländern allen Schwierigkeiten und Verständnisschwierigkeiten zum Trotz zum Vorteil gereichten. In der Diskussion ging es zum großen Teil um die Faktoren, welche diese Entwicklungen begünstigt haben: die Gründe für die Auswanderung, die wirtschaftliche Lage, das Erlernen der Sprache und die Art und Weise, wie die Migrationsströme verwaltet wurden und werden. 

Am Samstagnachmittag standen zwei Präsentationen von Norma Mattarei und André Biveti über die gesellschaftliche Dimension der Bedürfnisse von Migrant:innen auf dem Programm. Norma Mattarei beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit der faktischen Diskriminierung, die durch alltägliche, von Misstrauen und Distanzierung geprägte Verhaltensweisen entstehe und nichts mit fehlenden oder missachteten Rechtsvorschriften zu tun habe. Der zweite Referent, André Biveti, konnte nicht zum Veranstaltungsort kommen. Stattdessen wurden zwei anderen Beiträge angesetzt. 

Zunächst wurde ein Grußwort des Abgeordneten Fabio Porta aus dem Wahlkreis Südamerika verlesen, der die Rückkehr der Emigrant:innen in ihr Heimatland und die mit einer mehrfachen Identität verbundenen Schwierigkeiten thematisierte. Anschließend sprach Yana Komitska als Zeitzeugin über die schmerzliche und dramatische Situation in der Ukraine. 

Der Nachmittag endete mit einer Diskussionsrunde unter Beteiligung von Reijna Cystri, Sophie Mengoni und Matteo Salvetti als Vertreter:innen von Gewerkschaften und öffentlichen Stellen, die täglich mit der Prävention und der Bekämpfung der Diskriminierung von Arbeitnehmer:innen befasst sind. Die Teilnehmer:innen stellten konkrete Maßnahmen und Informationsinitiativen zur Prävention und Bekämpfung von Diskriminierung vor und betonten die Bedeutung einer klaren und vollständigen Aufklärung der Arbeitnehmer:innen über Arbeitsverträge und ihre vertraglichen Rechte und Pflichten, insbesondere angesichts der sprachlichen und kulturellen Barrieren, denen Migrant:innen gegenüber stünden. 

Die Veranstaltung endete am Sonntag, den 15. Oktober, mit drei abschließenden Beiträgen. Thomas Capone und Francesco Ober präsentierten die Aktivitäten von UNAIE und der EZA-Plattform für junge Arbeitnehmer und gaben damit Denkanstöße für eine stärkere Berücksichtigung junger Arbeitnehmer:innen in der Debatte. Francesco Bocchetti, Leiter der Associazione Trentini nel Mondo [Verband der Trentiner in aller Welt], präsentierte anstelle von Elisabetta Zontini, die nicht persönlich anwesend sein konnte, ein Projekt, das der Wahrnehmung des Brexits und seiner Folgen für die in das Vereinigte Königreich ausgewanderten Familien gewidmet war. Den Teilnehmer:innen wurde ein kurzer Dokumentarfilm gezeigt. Vittorino Rodaro zog zu guter Letzt ein Fazit der Veranstaltung, auf der deutlich wurde, dass menschenwürdige Arbeit Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben und soziale Integration ist. Dazu bedarf es regulärer Verträge, aufgeklärter Arbeitnehmer:innen und verantwortungsbewusster Arbeitgeber:innen. Das Fehlen oder die Unzulänglichkeit des öffentlichen Sektors in diesen Bereichen, welche sich besonders in einigen Ländern zeigt – sei es wegen mangelnder Ressourcen, häufiger jedoch aufgrund von fehlendem politischen Willen – stellt eine Herausforderung für die Arbeitnehmerorganisationen, Gewerkschaften und Sozialverbände, dar, die aufgerufen sind, eine subsidiäre Rolle gegenüber dem Staat und der Lokalverwaltungen einzunehmen. 

UNAIE macht es sich zur Aufgabe, das Thema der Diskriminierung von Migrant:innen durch ihre Zweigstellen in Italien und im Ausland an Behörden heranzutragen und informiert als Kontakt- und Verbindungsstelle für andere Einrichtungen unmittelbar vor Ort sowie im In- und Ausland insbesondere über die Rechte rückkehrender Migrant:innen bezüglich Staatsangehörigkeit und gesellschaftlicher Integration.