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Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und einer funktionierenden Demokratie - die Rolle der Arbeitnehmer:innen im öffentlichen Sektor

Vom 21. bis 22. September 2023 fand in Straßburg / Frankreich ein Seminar zum Thema „Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und einer funktionierenden Demokratie - die Rolle der Arbeitnehmer:innen im öffentlichen Sektor“ statt, das von EUROFEDOP (Europese Federatie van het Overheidspersoneel) in Zusammenarbeit mit dem EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde.

Donnerstag, 21.09.2023 

Alain Mazeau, Vize-Präsident von EUROFEDOP, begrüßte alle 96 Teilnehmer:innen aus 15 unterschiedlichen Ländern im Europäischen Parlament in Straßburg, das sich aus 705 Abgeordneten aus allen 27 Mitgliedsstaaten der EU zusammensetzt. Er hob eine große gemeinsame Herausforderung hervor: die Schwierigkeit, qualifizierte Arbeitnehmer:innen für den öffentlichen Sektor zu finden. Der Mangel an Arbeitnehmer:innen und die Notwendigkeit eines Generationswechsels haben zu einer erhöhten Arbeitsbelastung geführt, die viele Arbeitnehmer:innen dazu zwingt, über ihre Kapazitäten und Fähigkeiten hinauszugehen, und die sich damit negativ auf das Wohlbefinden der Bürger:innen auswirkt. 

Piergiorgio Sciacqua, Co-Präsident des Europäischen Zentrums für Arbeit-nehmerfragen (EZA), betonte die Notwendigkeit eines klaren Fahrplans für die Ausrichtung der Gewerkschaft bis 2030 im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen, unter Berücksichtigung von Wirtschaftswachstum und technologischer Innovation. Er äußerte Zweifel daran, ob die Interessen des Silicon Valley mit denen der Allgemeinbevölkerung übereinstimmen, da die Mittelschicht bedroht ist. Vor diesem Hintergrund wies der Co-Präsident des EZA auf die Bedeutung von Politik, sozialem Dialog und Demokratie hin. Nach seinem Vortrag diskutierten die Teilnehmer:innen über mehrere Punkte. Es wurde festgestellt, dass der soziale Dialog auf allen Ebenen angegriffen wird, und es wurde betont, wie wichtig kollektives Handeln und Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Herausforderungen sind. Techno-Optimismus wurde als Konzept genannt, aber es wurde auch eingeräumt, dass Optimismus nicht immer zur praktischen Lebenswirklichkeit passt. Sciacqua betonte, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen gibt, die man ergreifen kann, um diese Herausforderungen zu bewältigen. 

Irène Weiss, Mitglied des Regionalrates der französischen Region Grand Est, konzentrierte sich auf die enge Zusammenarbeit des Europäischen Parlaments mit dem Sozial- und Wirtschaftsausschuss, die dazu dient, einen konstruktiven Dialog mit den Organisationen an der Basis zu führen. Das zeigt die Bedeutung der Meinungen an der Basis und die Wichtigkeit der Erkenntnisse für die Entscheidungsfindung. In dieser Hinsicht versucht das Europäische Parlament, das öffentliche Engagement zu fördern und dafür zu sorgen, dass die Menschen sich nicht als an den Rand gedrängt fühlen.   

Norbert Schnedl, Präsident von Eurofedop, sprach über das Wesen der Demokratie, die sehr stark vom Engagement jedes Einzelnen abhängt. Demokratie ist im Wesentlichen gleichbedeutend mit Beteiligung. Das verpflichtet die öffentlichen Bediensteten zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, die auf europäischer Ebene durch den Europäischen Gerichtshof geschützt wird, während die Europäische Charta der sozialen Rechte als Orientierung dient. Schnedl betonte außerdem die überragende Bedeutung unabhängiger Medien für den Erhalt der Demokratie. 

Lukas Mandl, Mitglied des Europäischen Parlaments (ÖVP/EVP Österreich) (Online), berichtete über Maßnahmen und Visionen im Zusammenhang mit der Anhebung des Lebensstandards und der Verbesserung der Lebensqualität für alle EU-Bürger:innen durch eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften. Kritisch wies er auf die Schwäche Europas bei der Zuwanderung von Arbeitnehmer:innen und die damit verbundene Gefahr der Deindustrialisierung hin, die zu einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit führen könnte. Dieses Thema ist eng mit der Gewährleistung der sozialen Rechte und der Wahrung der Stellung Europas in der globalen Landschaft verbunden. Die Diskussion im Anschluss an die Einführungsvorträge konzentrierte sich auf Aspekte wie den Grad des Vertrauens zwischen Gewerkschaften und Politiker:innen sowie die Rolle des Gesundheitswesens, das in die nationale Zuständigkeit fällt. 

Lazar Jovevski, Professor für Arbeits- und Sozialrecht, stellte Erkenntnisse zum sozialen Dialog und zur Rechtsstaatlichkeit in Europa aus einer vergleichenden Perspektive vor. Er wies auf Herausforderungen in allen europäischen Ländern hin, wie z. B. das Wohlfahrtssystem, das sich aufgrund von demografischen Verschie-bungen in der Bevölkerung im Wandel befindet, sowie auf die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz. In Bezug darauf kam die Frage auf, wie die notwendigen Fähigkeiten zur Anpassung an diese Veränderungen entwickelt werden können. Professor Jovevski betonte die Notwendigkeit einer Demokratisierung von Tarifverhandlungen, was bedeutet, dass wir mehr Gewerkschaften brauchen, die als repräsentative Sozialpartner auftreten. Daher müssen die Mitgliederzahlen erhöht und neue Mitglieder gewonnen werden. Es gibt eine Möglichkeit, die Ziele der Gewerkschaften trotzdem zu erreichen, auch wenn Tarifverhandlungen scheitern: Streik – oder sozialer Dialog auf der Straße. In den Gewerkschaften ist Einigkeit die erste und letzte Frage, um Macht zu gewinnen. Der Wissenschaftler ermutigte die Gewerkschaftsmitglieder, den Geist der Zusammenarbeit stets zu pflegen. 

In der an den Vortrag des Professors anschließenden Diskussion sprachen die Teilnehmer:innen über den anhaltenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in kritischen Sektoren wie dem Baugewerbe und in medizinischen Berufen, einschließlich Ärzt:innen. Außerdem sind Roboter und KI in der Lage, viele menschliche Aufgaben und sogar Arbeitsplätze zu ersetzen. Die Gewerkschaften müssen aktive Partner des Wandels sein und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen. Die Teilnehmer:innen aus dem Westbalkan sprachen außerdem die problematische Situation der Arbeitsmigration und die schwindenden Aussichten auf einen Beitritt ihrer Länder zur Europäischen Union an. Professor Jovevski schlug vor, den Menschen in den Mittelpunkt des Wandels zu stellen, um einen Schutzmechanismus zu schaffen. 

Freitag, 22.09.2023 

Anna Sander, Mitglied des Europäischen Parlaments (EVP Frankreich), betonte zunächst, dass die Rechtsstaatlichkeit ein Grundpfeiler unseres demokratischen Systems ist. Auch wenn unterschiedliche politische Ansichten manchmal zu Meinungs-verschiedenheiten führen können, lassen sich durch einen konstruktiven Dialog immer noch Kompromisse erzielen, was ein herausragendes Beispiel für unsere parlamentarische Arbeit ist. Es wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um den europäischen Rahmen für soziale Rechte voranzutreiben. Die laufenden Diskussionen über Mindestlohnstandards und Lohntransparenz waren für die Förderung fairer und gerechter Beschäftigungsbedingungen von zentraler Bedeutung. 

Henrik Kristensen, Exekutivsekretär des Europäischen Ausschusses für soziale Rechte (ECSR), betonte zunächst die Notwendigkeit, die Demokratie in Europa vor dem Hintergrund des derzeitigen Krieges auf unserem Kontinent zu schützen. Sein Vortrag konzentrierte sich auf die Europäische Sozialcharta, die 1961 angenommen wurde und zu den beiden grundlegenden Verträgen des Europarats gehört. Er stellte die Charta, ihre zahlreichen Bereiche und insbesondere zwei Mechanismen vor, nämlich die Berichterstattung und das Beschwerdeverfahren. Im Beschwerde-verfahren nehmen die Gewerkschaften eine privilegierte Stellung ein. Seit der Einführung des Mechanismus gehörte EUROFEDOP zu den ersten internationalen Organisationen, die dieses Verfahren Ende der 90er Jahre in Fällen, die das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung beim Militär betrafen, nutzten. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) kann zu allen Beschwerden Stellung nehmen und tut dies auch, oft mit großer Wirkung. Darüber hinaus kann der ECSR jede andere Organisation, Institution oder Person auffordern, als Dritte Informationen zu Beschwerden einzureichen. Das kann für EUROFEDOP wichtig sein, da es möglicherweise wichtige Informationen zu einzelnen Beschwerden liefern kann. Seit der Einführung des Beschwerdeverfahrens im Jahr 1998 gab es viele Beschwerden von Arbeitnehmer:innen aus dem öffentlichen Sektor, insbesondere in Bezug auf Gewerkschaftsrechte und vor allem bei Polizei und Militär.

Kristensen stellte einen Fall vor, in dem es um Gewerkschaftsrechte bei der Polizei ging und der zu einer veränderten Auslegung der Gewerkschaftsrechte durch den Ausschuss geführt hat. Er schloss mit der Feststellung, dass die Gewerkschaften und der Europarat gemeinsam Druck auf die (zahlreichen) Regierungen in Europa ausüben müssen, die noch immer nicht bereit sind, dem Beschwerdeverfahren beizutreten. Er ermutigte auch EUROFEDOP und seine Mitglieder, sich weiterhin nicht nur mit dem Beschwerdeverfahren, sondern auch mit dem Verfahren der Berichterstattung zu befassen.

József Hajdú, Professor für Arbeitsrecht und soziale Sicherheit sowie Mitglied des Europäischen Ausschusses für soziale Rechte des Europarates (Video), erklärte, dass Sozialpartner, wie EUROFEDOP, eine zentrale Rolle bei der Behandlung von Kollektivbeschwerden und damit verbundenen Verfahren spielen. Die Umsetzung eines neuen Systems soll im Jahr 2023 beginnen (Ad-hoc-Berichte), wobei die Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, einen Bericht vorzulegen, in dem der Beginn der Umsetzung der Europäischen Charta im jeweiligen Jahr detailliert beschrieben wird. Außerdem werden Nachfolgemechanismen, einschließlich Empfehlungen zu Durchführungsbeschlüssen, eingeführt. Hajdú äußerte sich besorgt über das Aufkommen von Cybermobbing als neues und alarmierendes Phänomen, bei dem Personen über längere Zeiträume hinweg belästigt werden können. Daher wird den Vertragsstaaten dringend empfohlen, Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung von Cybermobbing zu ergreifen. Darüber hinaus verschwimmt in vielen Situationen die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Bereich, und es stellt sich die Frage, ob es ein Arbeitsrecht für alle geben sollte. Die Arbeitsplätze mögen zwar gleich sein, aber die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsverhältnis sind jeweils sehr unterschiedlich. Es gibt jedoch Schlüsselelemente, die dafür sprechen, dass es weiterhin zwei unterschiedliche Bestimmungen im Arbeitsrecht geben sollte. Abschließend erinnerte Professor Hajdú die Teilnehmer:innen daran, dass der Schutz der Menschenrechte eine aktive Beteiligung der Sozialpartner erfordert: Unsere Rolle und Verantwortung enden nie. 

Daniela Senk, Referatsleiterin der Generaldirektion für Logistik und Konferenzen im Europäischen Parlament, gab einen Einblick in ihre Arbeit im Europäischen Parlament. Sie erörterte die Frage des Sitzes des Europäischen Parlaments in Straßburg und erläuterte, was dieser zusätzlich zum Europäischen Parlament in Brüssel an Vorteilen bietet. Die an ihren Vortrag anschließenden Diskussionen drehten sich um den Zugang der Bürger:innen und der Zivilgesellschaft zum Europäischen Parlament und zu den dort tätigen Politiker:innen. Bert Van Caelenberg wies darauf hin, dass Gewerkschaftsvertreter:innen eigentlich Lobbyist:innen ohne Geld sind. Eine unserer Aufgaben auf europäischer Ebene besteht darin, die von unseren Gewerkschaftsmitgliedern geäußerten Ideen und Anliegen zu kanalisieren und sie den Abgeordneten des Europäischen Parlaments wirksam zu vermitteln. Wir müssen weiterhin die Möglichkeit haben, direkt mit den Mitgliedern des Europäischen Parlaments zu kommunizieren, um sicherzustellen, dass die Perspektiven und Bedürfnisse unserer Gewerkschaftsmitglieder auch angemessen vertreten werden. 

Annick Wenger, Generalsekretärin von CFTC für die französische Region Grand Est, sprach über die Herausforderungen im französischen Gesundheitssektor. Besonders betroffen sind Krankenpfleger:innen, die mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen haben, darunter auch mit emotionaler Belastung. Diese Probleme sind auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen, darunter zahlreiche Gesundheitsreformen und die Einführung des als T2A („Tarification à l’activité“) bekannten Systems der leistungsbezogenen Preisgestaltung. Diese Veränderungen hatten unmittelbare physische und psychische Folgen für die Erbringer:innen von Gesundheitsleistungen. Die Situation verschärfte sich durch den Ausbruch der Coronakrise noch weiter, was die Belastung zusätzlich erhöhte. Viele Fachkräfte im Gesundheitswesen haben sich aus gesundheitlichen Gründen für einen Berufswechsel entschieden, und auch die Rentenreform wirkte sich zusätzlich negativ auf die Einstellung und Bindung von Personal im Gesundheitssektor aus. Angesichts dieser Herausforderungen besteht ein dringender Bedarf an einer umfassenden Reform des Gesundheitssystems. 

Schlussfolgerung

Als Teil der Schlussfolgerung wurde betont, dass der Gesundheitssektor vor der Herausforderung steht, mit weniger Ressourcen mehr Effizienz zu erreichen. Trotz der Dringlichkeit, die durch die Coronapandemie deutlich wurde, ist dieses Thema aus dem öffentlichen Diskurs weitgehend verschwunden. Es besteht der dringende Bedarf, Strategien für eine bessere Regulierung in diesem Sektor zu untersuchen, auch wenn Gesundheitsangelegenheiten nicht direkt in Handelsverträgen behandelt werden können. Es wurde festgestellt, dass es auf dem Höhepunkt der Coronakrise bereits bemerkenswerte Diskussionen zu diesem Thema gab. Die Bedeutung des Gesundheitswesens als diejenige Branche, die am ehesten eine positive Reaktion der Bürger:innen in Europa hervorrufen kann, wurde betont. 

Abschließend wurde festgestellt, dass innerhalb von Eurofedop zwar nicht alle Sektoren vertreten sind, der Bildungssektor jedoch als einer der wichtigsten gilt. Es wurde vorgeschlagen, zu versuchen, Organisationen mit Bildungssektoren zu ermitteln und sie für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Dazu sollten Kontaktanfragen an alle relevanten Organisationen verschickt und die Aufnahme bildungsbezogener Themen auf die Tagesordnung der nächsten Jahrestagung erwogen werden.