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Digitaler Wandel, Chancen und Risiken für Arbeitnehmer:innen

Vom 14. bis 17. November 2023 fand in Rennes / Frankreich ein Seminar zum Thema „Digitaler Wandel, Chancen und Risiken für Arbeitnehmer:innen“ statt, das von CFTC (Confédération Française des Travailleurs Chrétiens) in Zusammenarbeit mit dem EZA organisiert und von der Europäischen Union finanziert wurde. An dem Seminar nahmen 21 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Bulgarien, Frank-reich, Moldawien, Polen, Portugal, Rumänien und Serbien teil.

Das Seminar wurde von Joseph Thouvenel, Verbandssekretär von CFTC, geleitet und von Philippe Jacq, Präsident von CFTC Paris, eröffnet.

Einführung

Es lässt sich nicht leugnen, dass der digitale Wandel einen extrem starken Einfluss auf unser Leben (Privatleben, Arbeitsbedingungen) hat. Wir müssen uns sehr schnell anpassen und zudem vorausschauend handeln, was uns bisher noch nicht gelingt. Wir Sozialpartner müssen zusammenarbeiten, um unsere jeweiligen Regierungen zu warnen und Arbeitsplätze für alle zu finden. Klar ist bereits jetzt, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden und andere verloren gehen werden. Wir dürfen dabei niemanden auf der Strecke lassen. Wir befinden uns nicht in einer Umstellung, sondern in einem Wandel. Es handelt sich um einen echten Umbruch, der mit dem Aufstieg eines einzigen Tools, nämlich der Digitalisierung, zusammenhängt. Maschinen müssen an ihrem Platz bleiben und dürfen den Menschen nicht verdrängen, genau darin liegt unserer Meinung nach die Herausforderung dieser digitalen Revolution.

Seminarergebnisse

Künstliche „Intelligenz“ ist ein unpassender, wenn nicht sogar gefährlicher Begriff. Maschinen besitzen nicht alle Fähigkeiten, die die menschliche Intelligenz ausmachen, wie z. B. die Beziehungs- oder die Herzintelligenz. Sie verfügen nicht über körperliche, räumliche, zwischenmenschliche, kognitive, emotionale Intelligenz usw. Maschinen denken nicht, sondern wiederholen ausschließlich diejenigen Daten, die der Mensch ihnen bereitgestellt hat. Algorithmen sind allein das Werk des Menschen. Der Mensch erschafft ein Tool, über das er eigentlich die Oberhand haben soll, da es ihm weiterhin dienen muss.

Jean Piaget sagt: „Intelligenz ist nicht das, was man tut, sondern das, was man tut, wenn man etwas nicht weiß“. Maschinen können insofern nicht intelligent sein, da sie nicht in der Lage sind, Informationen zu liefern, die in ihrer Programmierung nicht enthalten sind. 

Die künstliche Intelligenz, die von denjenigen stammt, die Algorithmen erstellen, indem sie absichtlich oder unabsichtlich Verzerrungen einbauen, ist richtungsweisend. In der Arbeitswelt muss man sich vor dem Einsatz dieser Tools hüten, da sie die Arbeitnehmer:innen in ein Tool im Dienste der Maschinen verwandeln können. Wir riskieren eine binäre Welt, in der Sensibilität, Vorstellungskraft, Emotionen, also die eigentliche Natur der Menschheit verschwinden würde. 

In der Arbeitswelt geben jedoch laut mehreren Umfragen die meisten Unter-nehmer:innen und Arbeitnehmer:innen an, dass sie sich mit der Nutzung von Computern recht wohl fühlen. Sie sind eher optimistisch, was die Auswirkungen auf ihre eigene Zukunft und die möglichen Folgen für ihr Unternehmen betrifft. Dennoch haben einige der am wenigsten qualifizierten Arbeitnehmer:innen (einfache Arbeiter:innen) bereits verstanden, dass Maschinen sie letztendlich ersetzen könnten. Daher ist ihre Sorge berechtigt. Bei anderen, hoch qualifizierten Arbeitnehmer:innen, wie z. B. Jurist:innen, wächst hingegen die Sorge, dass ihre Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzt werden sollen, die sogar „in der Lage“ sind, Recht zu sprechen!

In Frankreich blicken 56 % der Unternehmer:innen positiv auf die Zukunft der Beschäftigung im digitalen Bereich, 54 % der Arbeitnehmer:innen sehen das Ganze negativer. Eine bzw. einer von drei Arbeitnehmer:innen betrachtet die Auswirkungen der Digitalisierung auf ihren bzw. seinen Arbeitsplatz als erhöhte Arbeitsbelastung, intellektuellen und psychologischen Druck sowie größeren Stress. 

Beschlüsse

Die Umgestaltung der Organisationen ist unausweichlich. Wohin gehen wir? Welche Art von Unternehmen, welche Unternehmenskultur werden wir mit dieser allgegen-wärtigen digitalen Technologie haben? Das sind die großen Fragen, die gestellt werden und auf die wir eine erste Antwort haben: Es liegt an uns und zwar nur an uns, zu entscheiden, wie wir diese Technologie nutzen wollen, denn nichts wird jemals das menschliche Gehirn ersetzen. Wir brauchen eine notwendige Reflexion über die Digitalisierung. Zunächst müssen wir die Auswirkungen der Digitalisierung erkennen, die weder in ihrer Verwendung noch in ihrer Konzeption neutral ist. Wie steht es mit ethischer Software? Wir müssen uns für einen digitalen Wandel entscheiden. Wir dürfen nicht abwarten, sondern müssen mit Maß und Ziel vorgehen. Wir müssen vertrauenswürdige Akteure als Datenhoster wählen. Wir müssen die Mitarbeiter:innen in den Unternehmen mit ins Boot holen. Wir müssen die Realität akzeptieren, dass sich Berufe verändern und sich anpassen, ohne dass Arbeitnehmer:innen dabei versklavt werden. Die Digitalisierung muss den Zweck haben, uns mehr Zeit zu verschaffen. Unternehmen müssen geschützt werden, da eine Offenheit gegenüber Technologien auch viele Gefahren birgt. Der Schutz personenbezogener Daten muss verstärkt werden. Angesichts der wiederkehrenden und exponentiellen Zahl von Cyberangriffen ist die Sicherheit und der Schutz der Daten von grundlegender Bedeutung. 

In diesem Umbruch muss man den Menschen aufwerten, denn ihn aufzuwerten bedeutet gleichzeitig, ihn leistungsfähiger zu machen. Man muss zudem Vertrauen in die Jugend, in Initiativen und in die Kreativität setzen. Man muss den Menschen wachsen lassen, denn vom Fortschritt der Mitarbeiter:innen hängt die Entwicklung eines Unternehmens ab. 

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich im vergangenen Jahr mit den Auswirkungen neuer Organisationen auf die Arbeitsbedingungen befasst und zwei grundlegende Stellungnahmen abgegeben. Die erste Stellungnahme befasste sich mit den Rechten und Grundsätzen der Digitalisierung. Wenn der digitale Wandel zu verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Vorteilen führt, muss dies unter Wahrung der Grundrechte und auf integrative Weise geschehen. Die Herausforderung besteht darin, eine digitale Kluft zu vermeiden (Zugang zu neuen Technologien für eine alternde und ländliche Bevölkerung). Die zweite Stellungnahme behandelte das mit dem europäischen Binnenmarkt verbundene Interesse. Darin ging es um Datensouveränität und den Weg zu einem fairen digitalen Wandel für die Bürger:innen. Die europäischen Sozialpartner haben am 22. Juni 2020 eine Rahmen-vereinbarung zur Digitalisierung unterzeichnet, die von den einzelnen europäischen Ländern umgesetzt werden muss. Die Vereinbarung greift zwar in die Modalitäten der Erreichbarkeit vs. Unerreichbarkeit ein, führt aber kein Recht auf Freiheit von beruflicher Kommunikation außerhalb der Arbeitszeit ein. Dieses Recht muss noch ausgehandelt werden, da es von wesentlicher Bedeutung und die Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch sich auch Auszeiten nehmen kann. Auf der anderen Seite thematisiert die Rahmenvereinbarung die Beibehaltung von Kontrolle über künstliche Intelligenz durch den Menschen. 

Schlussfolgerungen

Der digitale Wandel ist nicht per se schlecht. Er ist ein Tool, das sehr effizient sein und sehr große Dienste leisten, aber auch sehr zerstörerisch sein kann. Daher sollten wir darauf achten, nicht zu Sklav:innen dieses Tools zu werden, das im Dienste der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung stehen muss.

Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass wir den Sinn für das Tool (d. h. die Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten) verloren haben. Heute behindert uns die Digitalisierung in einer Reihe von Fällen eher, als dass sie uns befreit. Sind wir nicht dabei, eine Welt von großer Zerbrechlichkeit aufzubauen? Laut dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hat die Digitalisierung große Chancen geschaffen, gleichzeitig aber auch eine Reihe von ernsthaften Bedrohungen für die Menschheit hervorgebracht. Um diese und das soziale Gefüge zu erhalten, dürfen die neuen Tools nicht unterdrückerisch sein. Sie müssen auf demokratische Weise kontrolliert werden. Daher lehnt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Einrichtung eines Systems, das die europäischen Bürger:innen überwacht, ihnen folgt und ihre Aktivitäten und ihr Verhalten kontrolliert, vollständig ab. Der EWSA ist außerdem gegen alle privaten Datenbanken zur Gesichtserkennung. Die Auswirkungen der Digitalisierung und Automatisierung menschlicher Interaktionen auf die Lebensqualität und die Arbeitsbedingungen sind erheblich, insbesondere im Bereich der zwischen-menschlichen Beziehungen mit einem höheren Vorkommen von Einsamkeit und Problemen der psychischen Gesundheit. Wir stehen vor einem erhöhten Risiko der sozialen Entfremdung. Es liegt an uns allen, wachsam zu bleiben, den Prozess dieses obligatorischen Wandels abzusichern und uns technikfreie Zeiten zu verschaffen. 

Wünschen wir uns wirklich eine materialistische Gesellschaft, in der der materielle Erfolg das Wichtigste ist und der menschliche Erfolg mit seiner Komplexität und Sensibilität viel weniger zählt?