EZA MAGAZINE
EZA PODCAST

Demokratie und Mobilität in Europa: die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen

Das mit Unterstützung von EZA und von der EU finanzierte Internationale Seminar von ACLI mit dem Titel „Demokratie und Mobilität in Europa: die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen“ fand vom 18. bis zum 20. November 2023 in München (Deutschland) statt. An dieser Veranstaltung nahmen ungefähr 100 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Frankreich, Deutschland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und der Tschechischen Republik und weiteren nichteuropäischen Ländern (als Gäste) teil. 

Ihnen allen bot diese Veranstaltung Gelegenheit, um Themen von hoher gesellschaftlicher Relevanz aufzuwerfen und die europäischen Organisationen, die sich die Förderung und den sozialen Dialog, die Arbeitskultur und die bürgerschaftliche Partizipation zur Aufgabe gemacht haben, zum gemeinsamen Gespräch aufzurufen.

Der breit gefächerte Teilnehmerkreis bestand aus Personen unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Generation und Verbandszugehörigkeit. Mit ihnen gemeinsam wollten wir über Europa sprechen. Unser Ausgangspunkt war Dachau, wo wir am ersten Tag das dortige Konzentrationslager als Ort der Erinnerung an den dunkelsten Moment in der Geschichte unseres Kontinents besuchten, denn zwischen den tragischen Ereignissen jener Zeit und dem Engagement für die Fortsetzung und Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Ländern besteht ein enger Zusammenhang.

„Wo es einst Unterdrückung gab, entstand die Europäische Union. Dank dieser Erinnerungsorte ist uns Tag für Tag bewusst, dass dies unser Europa ist, in dem sich die ACLI wiedererkennen: ein Europa, das seinen Ursprung in den Konzentrationslagern hat, sich dann aber aus den Ruinen erhoben hat und zu einem Leuchtturm der Hoffnung geworden ist.“ Dies sind die Worte von Emiliano Manfredonia, dem nationalen Präsidenten der ACLI. „Noch heute müssen wir Europa mit den Augen derer sehen, die Jahre zuvor an Europa geglaubt haben. Auch wenn die EU als gemeinschaftlicher und geteilter Verbund bislang noch keine eigenständigen Friedensvorschläge unterbreitet hat, weil es an einer gemeinsamen Außenpolitik fehlt, dürfen wir nicht länger warten. Wir müssen uns für eine Politik einsetzen, die die Menschen zusammenbringt, aber nicht, um sie mit leeren Worten zu beruhigen, sondern um sie spürbar zu schützen.“ 

Europa ist eine Notwendigkeit, aber keine Selbstverständlichkeit. Europa muss daher wieder populär werden, und nur wenn die Länder zusammenarbeiten, können wir es angehen und Frieden und nachhaltige Entwicklung garantieren. Europa hat jedoch seine Anziehungskraft und seine Fähigkeit, Hoffnungen zu wecken, verloren. 

Es ist unsere Aufgabe, eine Vorstellung von Europa zu entwickeln, die an das Leben der Menschen anknüpft und sich mit drei einfachen Worten zusammenfassen lässt, die das Erbe aller sind, denen es um einen neuen Humanismus geht: Frieden, Arbeit und Gleichheit. Daran anzuknüpfen heißt, zurückzukehren zum Kernpunkt des europäischen Traums, der über die Vergemeinschaftung wirtschaftlicher Werte hinausgeht und ein Wirtschaftssystem mit menschlichem Antlitz umfasst.

Diesem von uns zu beschreitenden Weg ist der zweite Teil des Seminars gewidmet, in welchem die Referent:innen Strategien in den Blick nahmen, die von der Europäischen Union zu verfolgen sind, um ihre Rolle in der Welt wahrzunehmen, Ungleichheiten zu bekämpfen und soziale Rechte zu garantieren.   

Zum Thema Frieden äußerte sich Daniela Dibenedetto, Präsidentin von Com.It.Es München, wie folgt: „Internationalismus ist nicht die Summe vieler verschiedener Nationalismen, sondern ihr Gegenteil: die Überwindung jedweden Nationalismus. Der internationale Handel, unsere von Mobilität geprägten Lebensläufe und die Zusammenarbeit mit anderen Bürger:innen in Europa sind ein Garant für Frieden.“ 

„Warum müssen europäische Mittel in solchem Umfang für Rüstung und die militärische Forschung ausgegeben werden? Warum wird anderen Haushaltsposten in Europa und in den Mitgliedstaaten nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteil?“ Diese Fragen wurden von Reiner Braun, Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros, aufgeworfen. „Wir brauchen eine neue Debatte darüber, wie wir eine soziale und demokratische Struktur in Europa nach dem Wegbrechen der alten Struktur schaffen wollen. Wir sind es, die dies bewerkstelligen müssen, wir als Bürger:innen, als Kirche, als Gewerkschafter:innen und als Verbände, weil die Eliten es nicht tun.“ 

Cinzia Del Rio, Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), verdeutlichte uns die von der Union ergriffenen oder geprüften Maßnahmen im Bereich der sozialen Rechte. Diese Maßnahmen erstrecken sich auf verschiedene Bereiche, angefangen von der Jugendgarantie über die in der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmer:innen verankerte Arbeitsmobilität bis hin zur Kindergarantie für die Kleinen und zu einer frauenfreundlichen Politik durch Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie vom Mai diesen Jahres. 

Wie wichtig die Unabhängigkeit von Frauen ist und welche Rolle die Verbände bei der Frauenemanzipation spielen, erläuterte Sabine Slawik von der Initiative für Europa: „Die Unabhängigkeit der Frauen und die Rolle der Verbände bei der Frauenemanzipation sind heutzutage von fundamentaler Bedeutung. Wir müssen daher fortfahren, uns auf internationaler Ebene über bewährte Vorgehensweisen auszutauschen, und uns für eine innovative Sozialpolitik öffnen.“   

„Um in der Welt der Arbeit wirklich etwas bewirken zu können“, ergänzte Stefan Riediger von der Arbeiterpastoral der Diözese Rottenburg-Stuttgart, „müssen die Verbände und Organisationen zusammenarbeiten. Für und mit den Arbeitnehmer:innen arbeiten, Solidarität und gemeinsames Engagement – darauf kommt es an.“ 

Eine wichtige Botschaft hatte auch Norbert Kreuzkamp, Mitglied des Verwaltungsrates der ACLI in Deutschland, für uns. Er mahnte uns, „die gemeinschaftliche Partizipation an den europäischen Prozessen wiederzuentdecken. Wir meinen oft, dass die Dinge noch nie so komplex waren wie jetzt. Europa hat aber schon viel gesehen und viel Leid erlebt. Dennoch hat Europa immer wieder die Kraft gefunden, sich zu öffnen und die globalen geopolitischen Schwierigkeiten aktiv und partizipativ anzugehen. Und auch heute kann Europa wie einst diese Komplexitäten überwinden.“ 

Ein großartiges Beispiel für demokratische Partizipation wurde uns von jungen Menschen unter 30 Jahren vor Augen geführt, die uns ihr bürgerschaftliches Engagement in ihren jeweiligen Jugendorganisationen (ACLI-Jugend, Stiftung A. Megliazzi, Junge Europäische Föderalist:innen, Youth Forum, Nationaler Jugendrat Italien und StudiCentro (Europäische Studierendenorganisation)) und ihre gegenseitige Vernetzung erläuterten. 

„Die jungen Menschen wollen etwas tun; sie wollen sich einbringen. Sie bringen Fähigkeiten mit, die sie in den Dienst ihrer Mitmenschen stellen wollen. Sie opfern ihre Zeit in dem Bemühen, eine bessere Zukunft auf einer besseren Gegenwart zu errichten“, sagte Simone Romagnoli, nationaler Koordinator der ACLI-Jugend. „Alles, was heute, auch im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans (PNRR), ausgegeben wird, wird die nachkommenden Generationen von morgen belasten: Wir haben das Recht, unsere Stimme zu erheben und uns zu den Modalitäten und Leitlinien, nach denen diese Mittel verwendet werden, zu äußern. Junge Menschen sind daher unbedingt in Entscheidungen einzubinden, welche diesen Zuweisungs- und Strategieprozess betreffen.“ 

Und weiter zu den jungen Menschen: „Wie werden die Jugendverbände in Europa unterstützt? Wir müssen uns unbedingt fragen, wie neue Investitionen in diese Verbände bewerkstelligt werden sollten: In Italien fehlen uns diese Unterstützungsmöglichkeiten in Form von Ausschreibungen und Projekten auf nationaler Ebene“, sagte Maria Cristina Pisani, Präsidentin des Nationalen Jugendrats Italiens. „Diese Verbände sehen ihre Arbeit nicht nur durch fehlende Ressourcen und Finanzierungen erschwert; überdies wird ihnen die Anerkennung ihrer gesellschaftlichen und strukturellen Rolle in den Bereichen Arbeit und Bildung versagt. Unser Land muss die Wirkungsmacht der informellen Bildung neu entdecken.“ 

In den Seminarablauf eingefügt waren verschiedene Arbeitsgruppen. Jeder war gefragt, sich einzubringen. Jeder musste die Mühe auf sich nehmen, aus seiner Passivität herauszukommen. In kleinen Gruppen hatten die Teilnehmer:innen in der Art eines synodalen Prozesses Gelegenheit zur Auseinandersetzung und zum Austausch von Erfahrungen und Ideen für eine europaweite Mobilisierung als Arbeitnehmerverband. Es ging um ein Nachdenken über Europa innerhalb und außerhalb seiner Grenzen. Berücksichtigt wurde dabei auch der Blickwinkel derer, die von außerhalb auf Europa schauen. 

Vorschläge, die von unseren Verbänden aufgegriffen werden sollten für ein Europa, das die Interdependenz von menschenwürdiger Arbeit, Inklusion und Umwelt in den Mittelpunkt rückt:

-Unterstützung der Entwicklung einer gemeinschaftlichen Fiskalpolitik für ein Europa mit mehr Gleichheit, auch im Hinblick auf eine unmittelbar von Europa verwaltete Besteuerung, angefangen bei Großvermögen, multinationalen Unternehmen und Finanzspekulation 

-Förderung einer gemeinschaftlichen Politik der Mobilität und der Aufnahme und Engagement für die Einsetzung eines Kommissars mit Zuständigkeit hierfür, ausgehend von einer solidarischen Überarbeitung des Abkommens von Dublin. Eine solche Politik muss auf der Übertragbarkeit von Rechten, auf einer nicht erzwungenen, sondern behutsam gehandhabten Flexibilität und auf einem Prozess der Integration zur Schaffung eines Zusammengehörigkeitsgefühls beruhen und die außereuropäische Perspektive berücksichtigen. 

-Mobilisierung im Interesse einer gemeinsamen Friedenspolitik, die auf Prävention und Schlichtung im Konfliktfall ausgerichtet ist, mit der Perspektive eines zivilen und militärischen Friedenskorps im Dienste der Vereinten Nationen.

Vorschlag für eine Mobilisierungskampagne, einschließlich der einzusetzenden Mittel:

-Initiierung einer Sensibilisierungskampagne für die Teilnahme an Wahlen im Ausland und Förderung von Informationsstellen, Engagement für den Abbau bürokratischer Hindernisse und für Transparenz bei den Wahlen sowie für die notwendige Eintragung in das Register für im Ausland lebende Italiener (AIRE) 

-Durchführung einer Informationskampagne über europäische Richtlinien

-Durchführung einer Informations- und Sensibilisierungskampagne mit dem Ziel, die Politik und den Wert europäischer Institutionen in den Fokus zu rücken (Stärkung des Vertrauens in die positiven Aspekte des Verbleibs in Europa) und dem politischen Desinteresse und dem Misstrauen gegenüber den Konsulaten entgegenzuwirken

Vorschlag für eine auf junge Menschen zielende Mobilisierungskampagne, einschließlich der einzusetzenden Mittel:

-Präsenzveranstaltungen / Kampagnen in den sozialen Medien 

-Mobilisierung in Schulen (informelle Bildung, Vermittlung und Nahebringen der europäischen Institutionen durch diversifizierte Strategien wie z. B. Escape Room) 

-lokale Europäische Jugendveranstaltungen (EYE): die lokalen Europäischen Jugendveranstaltungen bringen ein einmaliges Erlebnis in die verschiedenen europäischen Städte und Regionen, indem sie jungen Menschen aus allen Gegenden unseres Kontinents die Gelegenheit bieten, Gleichaltrige zu treffen, sich gegenseitig zu inspirieren und Ideen mit Expert:innen, Aktivist:innen und Entscheidungsträger:innen auszutauschen.