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Berufe ohne Telearbeit sind anfälliger für Arbeitslosigkeit: Die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen beim Wandel des Arbeitsmarktes nach der Coronakrise

Vom 22. bis 25. Januar 2023 fand in Ponta Delgada / Portugal ein Seminar statt zum Thema „Berufe ohne Telearbeit sind anfälliger für Arbeitslosigkeit: Die Rolle der Arbeitnehmerorganisationen beim Wandel des Arbeitsmarktes nach der Coronakrise“, organisiert von FIDESTRA (Associação para a Formação, Investigação e Desenvolvimento Social dos Trabalhadores), mit Unterstützung von EZA und finanziert von der Europäischen Union. 83 Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen aus Portugal, Italien, Frankreich, Spanien, Rumänien, Albanien, Bulgarien, Litauen, den Niederlanden, Kroatien, Serbien, Deutschland, Polen und der Ukraine nahmen an dem Seminar teil.

Mit dem Seminar wurden unter anderem folgende Ziele erreicht:

-Beurteilung auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene des Verhaltens des Arbeitsmarktes in dem durch die vergangene Pandemie und die aktuelle globale Konjunktur bedingten Wandel

-Beurteilung der Auswirkungen der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt/der sozialen Ausgrenzung, die sich aus dem aktuellen globalen Kontext und der Covid-Krise ergeben

-Beurteilung der Wirksamkeit der auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene getroffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Wirtschaftssituation in stark vom Tourismussektor abhängigen Ländern wie beispielsweise Portugal

-Beurteilung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Telearbeit / Berufe ohne entsprechende Möglichkeiten, insbesondere in der Landwirtschaft und im Tourismus

-Ausarbeitung von Strategien, zur Förderung des Wechsels von Arbeitnehmern in neue, wachsende und arbeitsplatzschaffende Sektoren unter Vermeidung sozialer Ausgrenzung

-Ermittlung der regionalen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise, insbesondere in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte

-Den jungen Arbeitnehmern, die aktiv diesem rasanten Wandel der Arbeitswelt ausgesetzt sind, eine Stimme geben

-Einbeziehung der lokalen Bevölkerung und der Medien, um den Multiplikatoreffekt zu verstärken, der mit den im EZA-Netzwerk durchgeführten Seminaren erzielt werden soll.

Der Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus muss Aufmerksamkeit geschenkt werden, insbesondere in Regionen, in denen dieser Wirtschaftszweig aufgrund seines Gewichts eine wichtige Rolle spielt. Diese Situation setzt eine neue Art des Arbeitens im Tourismus voraus, und junge Menschen, die sich der Umweltproblematik stärker bewusst sind, stellen einen Mehrwert für diesen Sektor dar; daher ist auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene eine proaktive Politik notwendig.

Da es sich um einen Tätigkeitsbereich handelt, der auch große Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, ist es wichtig, alle Maßnahmen zu verstärken, die zur Verringerung der negativen Auswirkungen beitragen. In diesem Sinne ist es Aufgabe der Behörden, entsprechende Mechanismen zu schaffen. Die Unternehmen müssen berücksichtigen, dass prekäre Arbeitsverhältnisse niemals gleichbedeutend mit Wirtschaftswachstum und sozialer Kohäsion sein können, und die Bürgerinnen und Bürger müssen sich um nachhaltige Tourismusangebote bemühen und ihnen Priorität einräumen. Ein Beispiel dafür war die Entscheidung von FIDESTRA, bei der Organisation dieses Seminars vom Hotel bis zu den Restaurants nur solche auszuwählen, die in diese Kategorie fallen und eine Politik der sozialen und ökologischen Verantwortung verfolgen. Dieses Anliegen wurde verstärkt durch den an alle Teilnehmer gerichteten Appell, beim Kauf ihres Flugtickets eine persönliche Spende für den CO2-Ausstoß zu leisten.

Zur Zeit der Covid 19-Pandemie wurde die Bedeutung der Landwirtschaft besonders deutlich, da sie für die Ernährung der Weltbevölkerung unverzichtbar ist, sie aber auch die Problematik der Arbeit, der Ausbeutung von Arbeitskräften und der Anfälligkeit für Armut vieler Arbeitnehmer, insbesondere von Einwanderern und Flüchtlingen, deutlich macht.

Mit einem Umsatz von rund 400 Millionen Euro, von denen 80 % für den Export bestimmt sind, ist die Landwirtschaft der wichtigste Sektor in der Autonomen Region der Azoren. Dieser Sektor folgt den Leitlinien der Europäischen Union in Bezug auf die Nachhaltigkeit, was es schwierig macht, mit Drittländern zu konkurrieren, die diese Anforderungen nicht erfüllen.

Aus den Besichtigungen und Berichten haben wir gelernt, dass es, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht, möglich ist, nach der Pandemie Tätigkeiten wieder aufzunehmen, und somit Arbeitsplätze zu erhalten. Die besuchten Beispiele zeigen, dass das Gaststättengewerbe sich erholt und neu erfunden hat, sich aber vor allem auf die Sicherung der Arbeitsplätze durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern konzentriert hat. Der soziale Dialog war also der Schlüssel zum Erfolg, so dass diese Arbeitnehmer nicht in die Stadt (Ponta Delgada) oder sogar nach außerhalb der Insel abwandern mussten.

Der beschleunigte Wandel auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich in neuen Formen wie Telearbeit und digitalen Nomaden, und die Mobilität der Arbeitskräfte wird immer häufiger.

In der Zeit nach der Covid19-Pandemie hat sich gezeigt, dass Telearbeit vorausgesetzt und danach auch weiter fortgeführt wird. Dadurch sind allerdings Berufsgruppen ohne Telearbeit angreifbarer und anfälliger für Arbeitslosigkeit.

Es ist daher eine große Herausforderung, die verschiedenen Perspektiven eines jeden Mitarbeiters innerhalb eines Unternehmens und die Leistungsfähigkeit des Unternehmens aufeinander abzustimmen und in Einklang zu bringen, im Hinblick auf eine angemessene Integration und Weiterentwicklung jedes einzelnen Mitarbeiters.

Das Unternehmen muss seine organische Struktur anpassen und dabei die Aufmerksamkeit auf Wertschätzung, Weiterbildung und Investitionen in die Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters richten.

Wichtige Erkenntnisse des Seminars waren:

-Ohne Bildung keine Leistung! Für eine Gleichberechtigung der Arbeitnehmer sollten bei Bedarf jedem psychologische Unterstützung zur Überwindung psychischer Erkrankungen, Schutz vor Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz sowie Hilfe bei der Integration in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

-Die fortschreitende Digitalisierung muss alle Bevölkerungsgruppen in den Blick nehmen: Wenn z.B. die Sozialhilfe vollständig auf Computer umgestellt wird, hat nur noch ein Teil der Bevölkerung Zugriff darauf. 

-Entlassungen sind Anlass großer Sorge für junge Menschen. Vor allem, da Arbeitgeber Entlassungen häufig dazu nutzen, die Mitarbeiter später in Teilzeit anzustellen. 

-Junge Menschen von heute erwarten nicht mehr, dass sie ein Leben lang denselben Arbeitsplatz haben, sondern sie investieren in Mobilität, sie wollen andere Länder und andere Möglichkeiten kennen lernen.

-In der Frage der Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen bestehen immer noch Diskrepanzen, weshalb es notwendig ist, in die Stärkung der Rolle der Frau auf dem Arbeitsmarkt zu investieren, insbesondere in abgelegeneren Gebieten und in konservativeren Gesellschaften.

-Die jungen Menschen von heute sind die Führungskräfte von morgen.  Wir müssen daran glauben, dass es eine neue Generation positiv handelnder Führungskräfte geben wird, die sich für friedlichere Gemeinschaften und gerechtere Entscheidungen einsetzen werden! Entscheidend für das Erreichen dieses Ziels ist es, jungen Arbeitnehmern die Bedeutung der Arbeitnehmerorganisationen für den Aufbau eines Europas mit mehr sozialer Gerechtigkeit bewusst zu machen.

-Krisen müssen als ein Moment für neue Gelegenheiten gesehen werden.

-Der soziale Dialog ist der einzige Weg, um die Menschen in den Mittelpunkt des politischen Handelns zu stellen. Nur durch den sozialen Dialog werden wir es schaffen, eine integrativere Gesellschaft und ein Europa mit mehr Zusammenhalt aufzubauen. Der soziale Dialog ist das Werkzeug, das Menschen in den Mittelpunkt politischen Handelns stellen kann. Ein notwendiges Werkzeug, um in der situationsbedingten neuen Organisation des Arbeitsmarktes, kompetent und schnell handeln zu können.

-Es muss in Fördermaßnahmen und spezielle Bildungsangebote für die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen sowie in Ausbildung und Integration der Menschen investiert werden.

-Arbeitnehmer ohne Ausbildung sind nicht darauf vorbereitet, Herausforderungen zu bewältigen.

-Die Beschäftigungssituation in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte ist prekär. Es muss in technische, wirtschaftliche und ökologische Leistungsfähigkeit sowie in Ausbildung investiert werden, um das Wachstum, die Lebensqualität und die Beschäftigung zu steigern und so junge Menschen zu ermutigen, im ländlichen Raum zu bleiben.

-In Verbindung mit den geografischen Gegebenheiten ist es wichtig, Rechtsinstrumente zu entwickeln, die die soziale Ausgrenzung nicht noch begünstigen und verschärfen.

Zusammenfassend:

Wir müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen, um ein Europa aufzubauen, das seine Grundsätze und Werte nicht vergisst und in der Lage ist, Wirtschaftswachstum, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit miteinander zu vereinbaren. Ein Europa, das große Anstrengungen unternehmen muss, um Zusammenhalt und Solidarität zu zeigen, denn nur so wird es in der Lage sein, die schwere wirtschaftliche und soziale Krise zu bewältigen, die mit der schweren Gesundheitskrise einhergeht, die die Welt getroffen hat (Covid 19), durch den derzeitigen Krieg verschärft wird und deren Auswirkungen bereits auf dem Arbeitsmarkt und vor allem bei den am meisten gefährdeten Arbeitnehmern zu spüren sind. Ein Europa im Einsatz für menschenwürdige Arbeit, in dem die Wirtschaft keinen höheren Stellenwert bekommt als der Mensch. Wenn wir über Beschäftigungsstrategien sprechen und dabei der Mensch im Mittelpunkt steht, darf das von uns angestrebte Wirtschaftsmodell nicht auf Niedriglöhnen, ungleichen Chancen und ungleicher Behandlung oder der Aushebelung von Arbeitnehmerrechten beruhen. Wir müssen daher in nachhaltiges Wachstum und Entwicklung investieren und dabei die verschiedenen Interessen und Akteure - Arbeitnehmer und Arbeitgeber, öffentlicher und privater Sektor - in Einklang bringen und harmonisieren.

Der Aufbau eines Europas mit wohlhabenderen und weiter entwickelten Regionen basiert auf uneingeschränkter Achtung der Menschenrechte und der Würde eines jeden Bürgers, mit besonderem Augenmerk auf den am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, sei es durch wirtschaftliche Aspekte, durch soziale Eingliederung und den Kampf gegen Armut oder im Kampf für Chancengleichheit für alle.

Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen, fähigere, motiviertere und flexiblere Arbeitnehmer zu werden, da der sich schnell verändernde Arbeitsmarkt dies erfordert.

In dem Bewusstsein, dass diese neuen Tatsachen die Menschen und ihre Handlungsweise gesellschaftlich verändern werden, muss sie sich in Zukunft auf die Überwindung dieser Hindernisse konzentrieren und dabei den Schwerpunkt auf die Ausbildung, den Arbeitsmarkt und die Entwicklung von Werten legen, die für die europäische Integration wesentlich sind. Daher ist es wichtig, in einem Netzwerk zu arbeiten und den Mehrwert, den die Gewerkschaftsstrukturen in dieser entscheidenden Zeit darstellen sollten, zu stärken.

Und weil all diese Veränderungen nur in Frieden und in soliden Demokratien überleben können, müssen wir für die Glaubwürdigkeit der Sozial- und Arbeitspolitik kämpfen.